Endlich Rechtsklarheit für virtuelle Generalversammlungen in Genossenschaften

Rückwirkende Gesetzesänderung erklärt virtuelle Generalversammlungen und Beschlussfassungen auch ohne ausdrückliche Satzungsregelung für zulässig

Eine Einzelfallentscheidung des OLG Karlsruhe hatte sich Ende März 2021 mit der Zulässigkeit von virtuellen General-/Vertreterversammlungen, insbesondere auf Grundlage des § 3 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (COVMG), befasst. Das Gericht kam dabei überraschenderweise zum Ergebnis, dass virtuelle General- und Vertreterversammlungen auf Grundlage von § 3 Abs. 1 S. 1 COVMG nicht möglich sind.   

Die Entscheidung war zwar noch nicht rechtskräftig - es wurde mit einer Rechtsbeschwerde zum BGH gerechnet. Die Auffassung des OLG wurde aber vielerorts als unzutreffend kritisiert. Gleichwohl führte die Entscheidung zu Rechtsunsicherheit, weil es soweit ersichtlich, die erste und bislang einzige obergerichtliche Entscheidung zu dieser Thematik war. Auch aus diesem Grund hat sich ein ad-hoc Arbeitskreis des DGRV Fachausschusses für Recht, an dem alle Spitzen-, Regional- und Fachverbände und damit auch DER MITTELSTANDSVERBUND teilgenommen haben, unverzüglich mit den rechtlichen Auswirkungen und Konsequenzen des Beschlusses beschäftigt. Darüber hinaus wurde durch den DGRV eine klarstellende Gesetzesänderung durch Anpassung des § 3 Abs. 1 COVMG gefordert. Diese Gesetzesänderung ist nun erfolgt. Dazu informiert der DGRV mit Rundschreiben vom 11.06.2021:

"Wir können nun mitteilen, dass sämtliche von uns geforderten Positionen durch Art. 32 und Art. 36 des Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe (BT-Drs. 19/30516) umgesetzt worden sind und die Rechtsunsicherheiten, die durch den o. g. Beschluss im Zusammenhang mit der Durchführung von virtuellen General-/Vertreterversammlungen entstanden sind, rückwirkend beseitigt werden.

Das Gesetz ist am 10. Juni 2021 durch den Deutschen Bundestag in der 2./3. Lesung beschlossen worden und wird nach der Verkündung bezüglich der nachstehend bezeichneten Änderungen in § 3 Abs. 1 Satz 1 COVMG rückwirkend zum 28. März 2020 in Kraft treten. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Klarstellungen:

I. Klarstellung, dass virtuelle General- und Vertreterversammlungen zulässig und hierfür keine Satzungsregelungen erforderlich sind

Durch Art. 32 Nr. 1 des o. g. Gesetzes wird in § 3 Abs. 1 Satz 1 COVMG nach den Wörtern „nicht ausdrücklich zugelassen ist“ die Wörter [Ergänzungen farblich hervorgehoben]

㤠3 Genossenschaften
(1) ¹Abweichend von § 43 Absatz 7 Satz 1 des Genossenschaftsgesetzes können Beschlüsse der Mitglieder auch dann schriftlich oder elektronisch gefasst werden, wenn dies in der Satzung nicht ausdrücklich zugelassen ist oder die Satzung keine Regelungen zu schriftlichen oder elektronischen Beschlussfassungen einschließlich zu virtuellen Versammlungen enthält; die elektronische Beschlussfassung schließt Beschlussfassungen in Gestalt von virtuellen Generalversammlungen ohne physische Präsenz der Mitglieder ein.²Der Vorstand hat in diesem Fall dafür zu sorgen, dass der Niederschrift gemäß § 47 des Genossenschaftsgesetzes ein Verzeichnis der Mitglieder, die an der Beschlussfassung mitgewirkt haben, beigefügt ist.³Bei jedem Mitglied, das an der Beschlussfassung, auch in Gestalt einer virtuellen Versammlung, mitgewirkt hat, ist die Art der Stimmabgabe zu vermerken.⁴Die Anfechtung eines Beschlusses der Generalversammlung kann unbeschadet der Regelungen in § 51 Absatz 1 und 2 des Genossenschaftsgesetzes nicht auf Verletzungen des Gesetzes oder der Mitgliederrechte gestützt werden, die auf technische Störungen im Zusammenhang mit der Beschlussfassung nach Satz 1 zurückzuführen sind, es sei denn, der Genossenschaft ist Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen.“ 

eingefügt. Des Weiteren wird ein neuer Satz 5 (Art. 32 Nr. 3 des o. g. Gesetzes) in § 3 Abs. 1 COVMG ergänzt, der wie folgt lautet: 

„[5] Für Vertreterversammlungen im Sinne des § 43a des Genossenschaftsgesetzes gelten die Sätze 1 bis 4 entsprechend; insbesondere sind auch virtuelle Vertreterversammlungen ohne physische Präsenz der Vertreter ohne entsprechende Regelungen in der Satzung zulässig.“  

Die Ergänzungen bewirken, dass nun auch ausdrücklich im Gesetzeswortlaut des COVMG klargestellt wird, dass bei einer Genossenschaft rein virtuelle General- oder Vertreterversammlungen zulässig sind, ohne dass es hierfür einer ausdrücklichen Regelung in der Satzung bedarf.

Durch die Ergänzung in § 3 Abs. 1 Satz 1 COVMG am Ende wird ebenfalls klargestellt, dass es weder einer ausdrücklichen Satzungsregelung zur Zulässigkeit einer virtuellen General-/Vertreterversammlung bedarf (das “Ob“), noch dass es in der Satzung sonstiger weiterer Regelungen zu Beschlussfassungen oder Versammlungen in elektronischer/virtueller Form bedarf (das „Wie“).

Darüber hinaus wird durch Art. 32 Nr. 2 des o. g. Gesetzes in § 3 Abs. 1 Satz 3 COVMG durch die Ergänzung „auch in Gestalt einer virtuellen Versammlung“ zur weiteren Klarstellung ergänzt, dass bei jedem Mitglied, das an der Beschlussfassung mitgewirkt hat, die Art der Stimmabgabe auch in einer virtuellen Versammlung zu vermerken ist. Die Ergänzung bewirkt ebenfalls, dass der Anwendungsbereich des Satzes 1 nicht durch Auslegung unter Verweis auf Satz 3 „künstlich“ auf Beschlussfassungen außerhalb von General- oder Vertreterversammlungen reduziert wird.

II. Klarstellung, dass entsprechende Satzungsregelungen zur virtuellen General- und Vertreterversammlung zulässig sind

Im Umkehrschluss ergibt sich aus der Ergänzung in § 3 Abs. 1 Satz 1 COVMG, dass auch virtuelle Versammlungen aufgrund einer Satzungsregelung zulässig sind.

In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/30516, S. 72) wird ausgeführt, dass „solche virtuelle Versammlung entgegen einigen in Teilen der Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansichten nach § 43 Abs. 7 Genossenschaftsgesetz (GenG) bereits bisher zulässig sind, sofern die Satzung ein entsprechendes Regelwerk vorsieht, durch das sichergestellt ist, dass die Rechte aller Mitglieder gewahrt bleiben und die Ordnungsmäßigkeit der Stimmabgabe gewährleistet ist“.

Wir sehen hierin eine Bestätigung unserer Anpassungen der Mustersatzungen zur virtuellen General- und Vertreterversammlung, z. B. in §§ 36a – 36c der Mustersatzung der Volksbanken und Raiffeisenbanken.

III. (Echte) Rückwirkung auf den 28. März 2020

Auch diese sehr bedeutsame Forderung ist umgesetzt worden, indem in Art. 36 Abs. 3 bestimmt wird, dass die Änderungen in § 3 Abs. 1 COVMG rückwirkend zum 28. März 2020 in Kraft treten. Damit ist die durch den Beschluss des OLG Karlsruhe eingetretene Rechtsunsicherheit beseitigt worden." 

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