Weltweite Lieferketten mit weltweiter Haftung?

Die Diskussion um unternehmerische Haftung in der Lieferkette reißt nicht ab: Eckpunkte zu einer rein nationalen Regelung stehen neben europäischen Initiativen. Auch wenn das zugrunde liegende Ziel, Menschenrechte auf dem gesamten Globus zu schützen, unterstützenswert ist, so gehen die aktuellen Vorschläge nicht nur an diesem vorbei sondern schüren auch vollkommen unrealistische Erwartungen.

Berlin, 24.11.2020 – Unternehmerische Sorgfaltspflichten in der Lieferkette werden seit einigen Jahren verstärkt in der Politik diskutiert: 2016 trat der Nationale Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ (NAP) in Kraft, ab 2019 erfolgten – in ihrer Ausführung vielfach kritisierte – Evaluationen zu seiner freiwilligen Umsetzung in der Unternehmenspraxis. Parallel dazu entstanden Initiativen, die eine gesetzliche Verpflichtung der Unternehmen forderten, verschiedene Pflichten über die gesamte Wertschöpfungskette ihrer Vorlieferanten hinweg sicher zu stellen.

Nationale Diskussion – das Sorgfaltspflichtengesetz

In Deutschland wurde dies insbesondere vom zuständigen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) aufgegriffen und an einer gesetzlichen Regelung gearbeitet. Im Frühjahr 2020 wurden erste Entwürfe für „Eckpunkte eines Bundesgesetzes über die Stärkung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in globalen Wertschöpfungsketten (Sorgfaltspflichtengesetz)“ bekannt. Der weitere Fortgang der Gesetzgebung wird derzeit vor allem vom Bundeswirtschaftsministerium gebremst, trotz mehrfacher Versuche gab es noch keine Einigung zwischen den Häusern. Ein abgestimmter Entwurf für Eckpunkte könnte noch vor Weihnachten erscheinen.

Im Wesentlichen sind folgende, von BMZ und BMAS geplante Punkte noch strittig:
1. Es soll eine zivilrechtliche Haftung für die gesamte globale Wertschöpfungskette möglich sein. Ein Verstoß kann Grundlage für Schadensersatzklagen Betroffener vor deutschen Gerichten sein. Unternehmen sollen im Falle einer "Beeinträchtigung" haften, die bei Erfüllung der Sorgfaltspflicht „vorhersehbar und vermeidbar“ war. Sie haften nicht, wenn "das Angemessene im Rahmen der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten" getan wurde und es dennoch zu einer Schädigung gekommen ist. Die Pflichten sollen sich nicht nur auf Menschenrechte, sondern auch auf Arbeitsstandards sowie auf Umweltaspekte und Korruptionsbekämpfung erstrecken.
2. Neben dem Haftungsrisiko sind eine Reihe von weiteren Pflichten geplant. So sollen Unternehmen insbesondere Risiken ermitteln und analysieren, Maßnahmen ergreifen und deren Wirksamkeit überprüfen, einen Beschwerdemechanismus einrichten und transparent und öffentlich berichten (für jeden einsehbar im Internet).
3. Das Gesetz soll auf folgende Unternehmen anwendbar sein: In Deutschland ansässige Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern werden erfasst. Die Beschäftigten von „verbundenen“ Unternehmen zählen zusammen.

Aus Sicht des MITTELSTANDSVERBUNDES ist eine Haftung für die gesamte Lieferkette untragbar. Sie darf nur so weit reichen, wie Unternehmen tatsächlich und wirksam Einfluss nehmen können. Diese Möglichkeit der Einflussnahme wird sich in der Regel höchstens auf den direkten Vertragspartner beschränken, in vielen Fällen ist aber auch das gerade für KMU gegenüber ihren marktmächtigen Vertragspartnern nicht durchsetzbar.

Kritikwürdig ist auch, dass die Eckpunkte inhaltlich deutlich über die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNLP) hinausgehen, welche lediglich menschenrechtliche Aspekte adressieren.

Weiterhin sind die spezifischen Risiken je nach Land und Sektor der (Vor)Lieferanten unterschiedlich und damit kaum zu überblicken. Das Mindestmaß an politischer Hilfestellung wäre die Anerkennung bereits vorhandener freiwillige Qualitätsmanagementsysteme/-zertifizierungen sowie das Angebot von praktikablen länder- und ggf. sektorspezifischen Leitlinien, die den Unternehmen Handlungssicherheit geben können.

Hinsichtlich des geplanten Anwendungsbereichs ist der Grenzwert ist niedriger als in anderen, oftmals als Vorbild genannten Ländern – so gilt in Frankreich eine Grenze von 5.000 Beschäftigten. Durch die Zusammenzählung von verbundenen Unternehmen werden auch viele KMU erfasst, die erklärtermaßen nicht Ziel des Gesetzes sein sollen.

Das Kriterium „in Deutschland ansässig“ schafft einen klaren Wettbewerbsnachteil gegenüber allen Unternehmen aus dem europäischen und nichteuropäischen Ausland, die hier ohne eigene Betriebsstätte eine Geschäftstätigkeit ausüben.

Europäische Vorschläge

Das Thema wird jedoch nicht nur auf nationaler, sondern auch auf Europäischer Ebene diskutiert. So hat die Europäische Kommission eine öffentliche Konsultation zu den Pflichten der Geschäftsführung und nachhaltiger Unternehmensführung eingeleitet. Im 2. Quartal 2021 soll ein legislativer Vorschlag zu "nachhaltiger Unternehmensführung" vorgelegt werden.

Parallel dazu wird aktuell im Europäischen Parlament ein Entschließungsantrag zum Thema Sorgfaltspflichten und unternehmerische Verantwortung in der Lieferkette diskutiert, mit folgenden Kernpunkten:

Ziel ist eine Richtlinie zu Mindestanforderungen an unternehmerische Sorgfalt – diese müsste anschließend in nationales Recht umgesetzt werden und könnte schlimmstenfalls neben den drohenden nationalen Standard ein zweites Rechtsregime setzen. Der Anwendungsbereich soll nicht nur für größere, sondern für alle in der EU niedergelassenen Unternehmen, unabhängig von Größe oder Sektor geöffnet sein. Lediglich die geplanten Pflichten sollen proportional zur Größe gestaltet werden. Eine Unternehmerische Haftung für die komplette Wertschöpfungskette ist jedoch – genau wie in Deutschland – ebenfalls geplant. Diese soll Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt erfassen.

Die inhaltlichen Vorschläge erscheinen mindestens so kritisch wie die auf nationaler Ebene und sind aus den gleichen Gründen zu kritisieren.

DER MITTELSTANDSVERBUND ist hier auf beiden Ebenen aktiv und wird Sie weiter informieren.

Weitere Informationen können Sie der Internetseite des Helpdesks Wirtschaft und Menschenrechte sowie des Nationalen Aktionsplans "Wirtschaft und Menschenrechte" entnehmen.

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