Bundesverfassungsgericht kippt BAG-Rechtsprechung

Die BAG-Rechtsprechung, die einen sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag nach mindestens dreijähriger „Pause“ als zulässig erachtete, wurde vom Bundesverfassungsgericht als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar verworfen. Damit macht jede auch lange zurückliegende Beschäftigung eine solche Befristung unmöglich. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, hier nachzubessern.

Berlin, 27.6.2018 – Mit Beschlüssen vom 6. Juni 2018 - 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 – hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) klar gestellt, dass das in § 14 Abs. 2 S. 2 enthaltene Verbot von mehrfachen sachgrundlosen Befristungen mit dem selben Arbeitgeber verfassungsgemäß ist. Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts auf die Verfassungsbeschwerde eines Arbeitnehmers und den Vorlagebeschluss eines Arbeitsgerichtes hin entschieden.

Die BAG-Rechtsprechung, die einen sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag nach mindestens dreijähriger „Pause“ als zulässig erachtete, wurde vom Bundesverfassungsgericht als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar verworfen. Der Senat hat gleichzeitig klargestellt, dass eine – vom Bundesarbeitsgericht vorgenommene – Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG), die eine wiederholte sachgrundlose Befristung zwischen denselben Vertragsparteien immer dann gestattet, wenn zwischen den Arbeitsverhältnissen ein Zeitraum von mehr als drei Jahren liegt, mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren ist. Richterliche Rechtsfortbildung darf den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht übergehen und durch ein eigenes Regelungsmodell ersetzen. Hier hatte sich der Gesetzgeber klar erkennbar gegen eine solche Frist entschieden.

Sachverhalte

Der Entscheidung liegen Klagen auf Entfristung eines Arbeitsvertrages zugrunde. Die Beschäftigten machten gegenüber ihrem jeweiligen Arbeitgeber geltend, die zuletzt vereinbarte sachgrundlose Befristung ihres Arbeitsverhältnisses sei unwirksam. Sie verstoße gegen § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG, weil sie bereits zuvor bei demselben Arbeitgeber beschäftigt waren. 

In einem Verfahren – 1 BvL 7/14 – hatte das Arbeitsgericht dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Regelung mit den Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, wenn damit eine sachgrundlose Befristung auf die erstmalige Beschäftigung beim jeweiligen Vertragsarbeitgeber beschränkt sei. 

In dem anderen Verfahren – 1 BvR 1375/14 – wollte der Arbeitnehmer nicht nochmals befristet, sondern nun unbefristet beschäftigt werden. Das Arbeitsgericht ist jedoch der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt und damit davon ausgegangen, dass eine erneute sachgrundlose Befristung nach Ablauf von drei Jahren wieder zulässig sei. Die Entfristungsklage war erfolglos. Dagegen wendet sich der Arbeitnehmer mit der Verfassungsbeschwerde. Die Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG durch das Bundesarbeitsgericht verletze seine Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, denn sie überschreite die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Das BVerfG erkennt zwar an, dass das Verbot sachgrundloser Befristung eines Arbeitsvertrags, wenn zuvor bereits einmal ein Beschäftigungsverhältnis vorlag, sowohl die Berufswahlfreiheit von Arbeitssuchenden (Art. 12 Abs. 1 GG) als auch die berufliche und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit von Arbeitgebern (Art. 12 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG) beeinträchtigt. Dem Interesse der Arbeitgeber an Flexibilisierung werde allerdings dadurch Rechnung getragen, dass ihnen Alternativen zur sachgrundlosen Befristung zur Verfügung stehen, wozu auch die vom Gesetzgeber in bestimmten Fällen erlaubte, mit Sachgrund befristete Beschäftigung gehört.

Diese Einschränkung in der Vertragsgestaltung sei grundsätzlich zumutbar, denn der Gesetzgeber wolle mit § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG die strukturell dem Arbeitgeber unterlegenen Arbeitnehmer vor Kettenbefristungen schützen und zugleich das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform sichern. Hier habe der Gesetzgeber einen großen Spielraum. Wenn er entscheidet, die sachgrundlose Befristung zwar als Brücke in eine Dauerbeschäftigung zuzulassen, dies aber grundsätzlich beschränkt, ist das verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Unzumutbar ist ein generelles Verbot der sachgrundlosen Befristung bei nochmaliger Einstellung bei demselben Arbeitgeber allerdings, wenn und soweit eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten.

Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lang zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist. Das können bestimmte geringfügige Nebenbeschäftigungen während der Schul- und Studienzeit oder der Familienzeit sein, die Tätigkeit von Werkstudierenden oder die lang zurückliegende Beschäftigung von Menschen, die sich später beruflich völlig neu orientieren. Die Fachgerichte können und müssen in solchen Fällen den Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einschränken.

Die Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG durch das Bundesarbeitsgericht ist allerdings mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht zu vereinbaren. Die Annahme, eine sachgrundlose Befristung des Arbeitsvertrages sei immer dann zulässig, wenn eine Vorbeschäftigung mehr als drei Jahre zurückliege, überschreitet die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, weil der Gesetzgeber sich hier erkennbar gegen eine solche Befristung entschieden hatte.

Die Auslegung der Gesetze durch die Fachgerichte muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren. Die Materialien aus dem Gesetzgebungsverfahren zeigten hier deutlich auf, dass eine sachgrundlose Befristung zwischen denselben Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich nur einmal und nur bei der erstmaligen Einstellung zulässig sein soll. Das damit klar erkennbare gesetzliche Regelungskonzept darf von den Fachgerichten nicht übergangen und durch ein eigenes Konzept ersetzt werden.

Bewertung der Entscheidung

Das Bundesverfassungsgericht hat eine aus Arbeitgebersicht begrüßenswerte und praxisnahe Auslegung des § 14 Abs. 2 TzBfG verworfen. Dies ist bedauerlich. Nun ist der Gesetzgeber aufgefordert, eine klare neue Regelung zu treffen, die eine erneute sachgrundlose Befristung unter bestimmten Voraussetzungen zulässt. Das BVerfG selbst hat in seiner Entscheidung Fallbeispiele genannt, in denen es eine solche Regelung für denkbar hält, etwa für sehr lange zurückliegende, ganz anders geartete oder sehr kurzfristige Vorbeschäftigungen. 

Die vom Bundesarbeitsgericht (BAG) vorgenommene Gesetzesauslegung, die alle länger als drei Jahre zurück liegenden Beschäftigungsverhältnisse als unschädlich für eine sachgrundlose Befristung erachtete, war angemessen und praxisgerecht. Europarechtlich zulässig wäre sogar ein viel kürzerer Zeitraum. So reicht nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – Urteil vom 12. Juni 2008 - C-364/07 – sogar ein Zeitraum von drei Monaten aus, um als Arbeitnehmer erneut einen befristeten Arbeitsvertrag abschließen zu dürfen. Bis zum Jahr 2000 galt in Deutschland ein Zeitraum von sechs Monaten. 

In der betrieblichen Praxis ist ein stringentes, zeitlich unbefristetes Ersteinstellungsgebot kaum durchzuhalten: Liegt ein Beschäftigungsverhältnis über zehn Jahre zurück, kann der Arbeitgeber mangels Personalakten nicht einmal mehr überprüfen, ob schon einmal ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Bei anders gearteten Tätigkeiten in der Vergangenheit, etwa im Rahmen eines Schülerjobs oder einer Werksstudententätigkeit, besteht kein besonderes Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers vor einer sachgrundlosen Befristung. Bei längeren Zeitabläufen mit Unternehmensfusionen oder Umfirmierungen ist sogar denkbar, dass selbst der Arbeitnehmer nicht weiß, dass er bereits zuvor beim selben Arbeitgeber beziehungsweise seinem Rechtsvorgänger beschäftigt war.

Daher ist es dringend erforderlich, dass der Gesetzgeber hier handelt. Er muss in § 14 Abs. 2 TzBfG eine Frist einziehen, nach der eine erneute Einstellung mit sachgrundloser Befristung möglich ist. Andernfalls ist dieses personalwirtschaftliche Instrument nicht mehr rechtssicher handhabbar.

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