Kein Urlaubsverfall ohne vorherigen Hinweis

Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verfällt nicht automatisch, wenn der Arbeitnehmer keinen Urlaub beantragt hat. Der Arbeitgeber muss ihn zuvor auf den drohenden Verfall hinweisen und ihn in die Lage versetzen, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Dies haben der EuGH und im Nachgang das BAG entschieden.

Berlin, 12.4.2019 – Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in zwei verbundenen Rechtssachen – Urteile vom 06. November 2018 in den Rechtssachen C-619/16 und C-684/16 Sebastian W. Kreuziger / Land Berlin und Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. / Tetsuji Shimizu – zu der Frage Stellung genommen, inwieweit ein Arbeitnehmer seine Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub automatisch verliert, wenn er keinen Urlaub beantragt hat. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat dies nun in seine Rechtsprechung umgesetzt.

Leitsätze des EuGH

Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verfällt nicht automatisch, wenn der Arbeitnehmer keinen Urlaub beantragt hat.Ein Arbeitnehmer darf seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht automatisch deshalb verlieren, weil er keinen Urlaub beantragt hat. Weist der Arbeitgeber jedoch nach, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage darauf verzichtet hat, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, nachdem er in die Lage versetzt worden war, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen, steht das Unionsrecht dem Verlust dieses Anspruchs und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – dem Wegfall einer finanziellen Vergütung nicht entgegen.

Sachverhalte

Der erste Kläger absolvierte als Rechtsreferendar beim Land Berlin seinen juristischen Vorbereitungsdienst. Er hatte sich in den letzten fünf Monaten seines Referendariats dazu entschieden, keinen Jahresurlaub zu nehmen. Nach Abschluss seines Referendariats beantragte der Kläger eine finanzielle Abgeltung des nicht genommenen Resturlaubs. Das Land Berlin lehnte den Antrag mit der Begründung ab, § 9 der Verordnung über den Erholungsurlaub der Beamten und Richter sehe einen Abgeltungsanspruch nicht vor.

Der zweite Kläger war bis zum 31. Dezember 2013 aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge bei der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (MPG) beschäftigt. Mit Schreiben vom 23. Oktober 2013 forderte die MPG ihn auf, vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses seinen Urlaub zu nehmen, ohne Urlaubstage von sich aus einseitig und für den Kläger verbindlich festzulegen. Da der Kläger nur zwei Tage Urlaub nahm, forderte er die MPG zur Zahlung und Abgeltung von 51 nicht genommenen Urlaubstagen auf.

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg beziehungsweise das Bundesarbeitsgericht (BAG) haben dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, die den Verlust des nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs vorsieht, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht beantragt hat.

Entscheidungen

Der EuGH hat entschieden, dass Art. 7 der EU-Arbeitszeitrichtlinie es nicht zulässt, dass ein Arbeitnehmer die ihm zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen Urlaub automatisch deshalb verliere, weil er vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Urlaub beantragt habe.

Diese Ansprüche könnten nur dann untergehen, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, die fraglichen Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen, was der Arbeitgeber zu beweisen habe.

Zeige sich, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenen Konsequenzen darauf verzichtet habe, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, nachdem er in die Lage versetzt worden war, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen, stehe Art. 7 der EU-Arbeitszeitrichtlinie dem Verlust dieses Anspruchs und - bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses - dem Wegfall der finanziellen Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub nicht entgegen.

Das Bundesarbeitsgericht  (BAG) ist dem zwischenzeitlich gefolgt und hat mit Urteil vom 19. Februar 2019 - 9 AZR 541/15 – sich inhaltlich angeschlossen. Es hat den zweiten Fall (MPG / Tetsuji Shimizu) zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses wird nun aufzuklären haben, ob der Arbeitgeber seinen Obliegenheiten tatsächlich nachgekommen ist.

Exkurs: Sonderurlaub für Schwerbehinderte

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat die Grundsätze des EuGH bereits auf einen ähnlich gelagerten Fall übertragen, in dem es um den Sonderurlaub für Schwerbehinderte ging. Mit Urteil vom 16. Januar 2019 – 2 Sa 567/18 – hat es entschieden, dass mangels eines ausreichenden Hinweises des Arbeitgebers dieser Schadensersatz für nicht genommenen Sonderurlaub zu zahlen hat. Das Urteil ist zur Revision zum BAG zugelassen.

Bewertung/Folgen der Entscheidungen

Der Arbeitgeber zukünftig darauf achten müssen, dass er den Arbeitnehmern die Möglichkeit einräumt, ihren Urlaub zu nehmen und dies nachweisen kann. Dazu genügt es, den Arbeitnehmern rechtzeitig mitzuteilen, dass ihr Urlaub am Ende des Bezugs- oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn sie ihren Urlaub nicht nehmen.

Will der Arbeitgeber zukünftig sicherstellen, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub nimmt, kann es sich anbieten, stärker vom Bestimmungsrecht des Arbeitgebers Gebrauch zu machen. Danach darf der Arbeitgeber den Urlaubszeitraum selbst verbindlich festlegen, wenn der Arbeitnehmer keine Urlaubswünsche äußert. Der Arbeitgeber ist jedoch auch zukünftig nicht verpflichtet, seine Arbeitnehmer zu zwingen, den ihnen zustehenden Urlaub tatsächlich zu nehmen.

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