Koalitionsvertrag-Check: Arbeitsmarkt und Qualifizierung

Der Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP hält im Bereich Arbeitsmarktpolitik einige für mittelständische Unternehmen relevante Punkte bereit. Die Ampelkoalition widmet sich besonders der (beruflichen) Qualifizierung. DER MITTELSTANDSVERBUND informiert.

Berlin, 14.12.2021 – In unserer mehrteiligen Beitragsreihe zum gemeinsamen Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung bewerten wir die verschiedenen Vorhaben von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP nach den Themenschwerpunkten, die besondere Relevanz für die mittelständischen Unternehmen haben. Damit möchten wir Ihnen einen kompakten und gleichzeitig fundierten Überblick zur politischen Agenda der neuen Ampel-Koalition sowie deren Auswirkungen auf den kooperierenden Mittelstand bieten.

Die wesentlichen Vorhaben der zukünftigen Koalition im Bereich Arbeitsmarkt stellt sich im Detail wie folgt dar:

Weiterbildung und Qualifizierungsförderung durch die BA/Transferkurzarbeitergeld

Der Bundesagentur für Arbeit soll nach dem Willen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP eine stärkere Rolle bei der Qualifizierung und dazugehöriger Beratung zukommen. Dafür sollen u.a. die Weiterbildungsverbünde weiter ausgebaut und der Aufbau von Weiterbildungsagenturen unterstützt werden (S. 67). Es soll ein ans Kurzarbeitergeld angelehntes Qualifizierungsgeld auf Basis von Betriebsvereinbarungen geschaffen werden. Das Transfer-Kurzarbeitergeld soll ausgeweitet werden. Nach einer Weiterbildung soll mindestens ein Anspruch auf drei Monate Arbeitslosengeld bestehen (S. 68).

Aus Sicht des MITTELSTANDSVERBUNDES wird es hier sehr stark darauf ankommen, wie die inhaltliche Ausgestaltung der Rolle der BA erfolgen soll. Falsch wäre eine stärkere Verstaatlichung von betrieblicher Weiterbildung, weil nur Betriebe und Beschäftigte wissen können, was sinnvolle, notwendige und zukunftsgerichtete betriebliche Qualifizierungen sind. Qualifizierungsförderung und Beratung sind bereits jetzt Aufgaben der BA, die sie ausfüllt und stetig weiterentwickelt. Ein Zusammenwirken mit den verschiedenen Akteuren im regionalen Netzwerk ist grundsätzlich sinnvoll. Hier gibt es allerdings keine Lösung, die zentral geplant werden kann, da die Strukturen, Netzwerke und Akteure regional sehr unterschiedlich sind. Instrumente der Arbeitsförderung müssen grundsätzlich allen Beschäftigten und Unternehmen offenstehen und dürfen daher nicht an die Voraussetzung einer Betriebsvereinbarung gebunden werden. Gebraucht werden stattdessen eine Flexibilisierung und Vereinfachung der Beschäftigtenförderung.

Bildungs(teil)zeit

Mit einer Bildungs(teil)zeit nach österreichischem Vorbild wollen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP Beschäftigten finanzielle Unterstützung für arbeitsmarktbezogene Weiterbildung bieten. Dies soll z. B. das Nachholen eines Berufsabschlusses oder eine berufliche Neuorientierung ermöglichen. Voraussetzung ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten. Die BA soll die Fördervoraussetzungen prüfen. (S. 67)

Generell können Arbeitgeber und Beschäftigte am besten beurteilen, welche Weiterbildungsmaßnahmen im konkreten Fall sinnvoll sind. Positiv ist daher zu sehen, dass eine Bildungs(teil)zeit wie auch in Österreich arbeitsmarktbezogen sein und nur auf Grundlage einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten möglich sein soll.

Neuer Fokus der Nationalen Weiterbildungsstrategie

Die Nationale Weiterbildungsstrategie soll mit einem stärkeren Fokus auf die allgemeine Weiterbildung fortgesetzt werden. (S. 97)

Die Nationale Weiterbildungsstrategie ist bislang aus guten Gründen auf die berufliche Weiterbildung beschränkt, weil dort die größten Herausforderungen mit Blick auf den Strukturwandel liegen. Eine Ausweitung auf die gesamte Erwachsenenbildung ist nicht zielführend und wird eine Verständigung auf gemeinsame Themen und Lösungen aufgrund der Vielzahl der Akteure deutlich erschweren.

Einführung eines Lebenschancen-BAföG

Mit einem Lebenschancen-BAföG soll ein neues Instrument für die selbstbestimmte Weiterbildung auch jenseits berufs- und abschlussbezogener Qualifikation für alle geschaffen werden. Dazu soll eine einfache Möglichkeit zum Bildungssparen in einem Freiraumkonto entstehen. Menschen mit geringem Einkommen sollen hierfür jährliche Zuschüsse erhalten. (S. 67)

Auch wenn dieses Projekt vielversprechend klingt, so ist der Nutzen ist zudem unklar, wie Erfahrungen in anderen Ländern zeigen. Insbesondere die unkonditionierte Förderung von Weiterbildung unabhängig von einer beruflichen Verwertbarkeit ist zu überdenken. Ausgestaltung und Finanzierung des Lebenschancen-BAföG sind zu klären. Das Prinzip eines Bildungssparens (Freiraumkonto) im Sinne von Learning Accounts erscheint sehr aufwändig.

Ausbau des Aufstiegs-BAföG

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollen zur Unterstützung des persönlich motivierten lebensbegleitenden Lernens das Aufstiegs-BAföG ausbauen, den Unterhaltsbeitrag für Teilzeitfortbildungen öffnen, Weiterbildungen auch auf der gleichen Stufe des Deutschen Qualifikationsrahmens und auch für eine zweite vollqualifizierte Ausbildung fördern, die Fördersätze und Freibeträge deutlich erhöhen. Ziel ist, dass Aufstiegslehrgänge und Prüfungen mit angemessenen Preisen kostenfrei sind. (S. 67)

Eine Stärkung der Aufstiegsfortbildung durch eine erneute Ausweitung der Förderung ist grundsätzlich positiv. Dennoch sollte eine Konditionierung auf Fortbildungen, die z.B. die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern oder aufgrund des Strukturwandels erforderlich sind, bedacht werden. Die Finanzierung der zukünftig „kostenlosen“ Lehrgänge und Prüfungen ist zudem unklar.

Schaffung einer Ausbildungsgarantie

Geplant ist eine Ausbildungsgarantie, die allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglicht, stets vorrangig im Betrieb. In Regionen mit erheblicher Unterversorgung wollen die Koalitionäre in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern bedarfsgerecht außerbetriebliche Ausbildungsangebote initiieren. Die Koalitionäre wollen die Ausbildungsallianz fortsetzen. (S. 66)

Der Zugang zur Ausbildung wird in der Ausbildungsallianz von Politik und Wirtschaft im Sinne einer “Chancengarantie” mit konkreten betrieblichen Ausbildungsangeboten für alle Jugendlichen bereits seit 2013 gemeinsam gesichert. 2021 standen wie in den Vorjahren für 4 Bewerber 5 betriebliche Ausbildungsangebote zur Verfügung. Außerbetriebliche Angebote werden, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, auch jetzt schon in den wenigen Regionen mit erheblicher Unterversorgung gemeinsam mit den Sozialpartnern entschieden. Damit bleibt offen, was im Sinne einer “Ausbildungsgarantie” noch zusätzlich angedacht sein könnte.

Erleichterter Zugang von Selbstständigen zur Arbeitslosenversicherung

Der Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung für Selbstständige erleichtert und geprüft werden, ob und wie ein Zugang ohne Vorversicherungszeit möglich ist. Geschäftsführerin oder Geschäftsführer in einer GmbH (etc.), die Beiträge entrichtet haben, sollen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. (S. 69)

Die in der Arbeitslosenversicherung bestehende Möglichkeit zur freiwilligen Weiterversicherung von Selbstständigen, die zuvor bereits als Beschäftigte versichert waren, hat sich bewährt und bedarf lediglich einiger Korrekturen bei der Höhe des möglichen Arbeitslosengeldes und bei den Regelungen zum Ausscheiden.

Stärkung der Erwerbsmigration

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollen die Erwerbsmigration ausbauen. Dazu soll die Gewinnung von ausländischen Fachkräften durch Bürokratieabbau und Digitalisierung der Verfahren vereinfacht und beschleunigt und das Einwanderungsrecht weiterentwickelt werden. Bewährte Ansätze des Fachkräfteeinwanderungsgesetz und die Westbalkanregelung sollen entfristet werden. Zusätzlich soll eine Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems als zweiter Säule zur Arbeitsplatzsuche vor Ort etabliert werden. Die Blue Card soll auf nicht-akademische Berufe ausgeweitet und die Hürden bei der Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen aus dem Ausland abgebaut werden. (S. 33 u. S. 138)

Die langwierigen und komplizierten Verfahren der Erwerbsmigration sind das größte Hindernis für mehr Erwerbsmigration, da sie Arbeitgebern und Zuwandernden keine Planungsmöglichkeiten geben. Eine Beschleunigung und Vereinfachung der Verfahren durch eine stärkere Digitalisierung und den Abbau von Hemmnissen bei der Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen ist deshalb der richtige Schwerpunkt für die neue Legislaturperiode. Die Entfristung bestehender Zuwanderungsmöglichkeiten ist sinnvoll. Sie sollten dabei auf mögliche Erweiterungen und Verbesserungen überprüft werden. Bereits das heutige Aufenthaltsrecht kennt Möglichkeiten zur Einreise für die Arbeitsplatzsuche, die aber bisher wenig genutzt werden. Es ist deshalb sinnvoll, wenn die Koalition diese Möglichkeiten erweitern und neu ordnen möchte.

Umfassendere Integrationspolitik und erweiterte Bleiberechtsmöglichkeiten von Geflüchteten

Die Ampelkoalition will Integrationskurse für alle Menschen, die nach Deutschland kommen, von Beginn an anbieten, die Berufssprachkurse stärker fördern und ausbildungsbegleitende Unterstützungsangebote für Geflüchtete weiter öffnen. Asylverfahren sollen beschleunigt und die Rechtsprechung vereinheitlicht werden. Arbeitsverbote sollen abgeschafft, bei Bleiberechtmöglichkeiten wie der Beschäftigungsduldung sollen die Anforderungen gesenkt werden und es soll das sog. „Chancen-Aufenthaltsrechts“ neu eingeführt werden. Gleichzeitig soll es eine Rückführungsoffensive geben, um Ausreisen konsequenter umzusetzen. Dazu sollen auch Asylanträge aus Ländern mit geringen Anerkennungsquoten zur Verfahrensbeschleunigung priorisiert werden. (S. 137ff)

Die Ausweitung der Integrationsangebote, die Abschaffung von Arbeitsverboten und die Beschleunigung der Asylverfahren können die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten deutlich verbessern und für Arbeitgeber mehr Rechtssicherheit schaffen. Dazu helfen auch Bleiberechtsregelungen, die die unsichere Bleibeperspektive von gut integrierten Geduldeten auflöst. Gleichzeitig schaffen die zügige Asyl- und Klageverfahren und gezielte Rückführungen schnell Klarheit über die Bleibeperspektive von abgelehnten Asylbewerberinnen und- bewerbern.

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