Koalitionsvertrag-Check: Soziale Sicherung

Die Sozialpolitik ist für Arbeitgeber höchst relevant mit Blick auf Verwaltungsaufwand, aber auch als langfristiger Kostenfaktor. Der Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP hält hierzu einiges bereit, lässt jedoch weitgehend Aussagen zur Finanzierung vermissen. DER MITTELSTANDSVERBUND informiert.

Berlin, 07.12.2021 – In unserer mehrteiligen Beitragsreihe zum gemeinsamen Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung bewerten wir die verschiedenen Vorhaben von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP nach den Themenschwerpunkten, die besondere Relevanz für die mittelständischen Unternehmen haben. Damit möchten wir Ihnen einen kompakten und gleichzeitig fundierten Überblick zur politischen Agenda der neuen Ampel-Koalition sowie deren Auswirkungen auf den kooperierenden Mittelstand bieten.

Die verschiedenen Vorhaben in der Sozialpolitik haben eine große Leerstelle – die nachhaltige Finanzierung der Sozialsysteme im demografischen Wandel. Es fehlen die Konzepte, wie die Beitragssatzobergrenze von 40 Prozent eingehalten werden kann. Vielmehr finden sich Vorhaben, die stark ausgabensteigernd wirken werden.

Die wesentlichen Vorhaben der zukünftigen Koalition im Bereich soziale Sicherung stellen sich im Detail wie folgt dar:

Minjobs

Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass sich künftig die Minijob-Grenze an einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden zu Mindestlohnbedingungen orientiert. Sie wird dementsprechend mit Anhebung des Mindestlohns auf 520 Euro erhöht. Gleichzeitig soll verhindert werden, dass Minijobs als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht oder zur Teilzeitfalle insbesondere für Frauen werden.

Die geplante Anhebung der Minijobgrenze verhindert zumindest vorübergehend, dass Minijobbende, die bis zur Höhe der derzeitigen Minijobgrenze verdienen, bei jeder Lohnanhebung ihre Arbeitszeit verringern, um nicht die Vorteile eines Minijobs zu verlieren. Dies ist zu begrüßen. Denn vielfach sind gerade die Minijobbenden nicht an einem Verlust des Status interessiert, so dass auf diese Weise Arbeitszeitvolumen zumindest erhalten bleiben kann.

Midijobs

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP wollen die Midijob-Grenze von 1.300 auf 1.600 Euro erhöhen. Dieser Vorschlag ist abzulehnen, denn er begünstigt ausschließlich Teilzeittätigkeit. Dabei sollten mit Blick auf den Arbeits- und Fachkräftemangel alle Anreize so gesetzt werden, dass möglichst viele Beschäftigte in Vollzeit oder zumindest vollzeitnah arbeiten.

Neuerungen bei A1-Bescheinigungen

Unnötige Erfordernisse bei A1 Bescheinigungen bei grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung sollen nach dem Willen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP rasch abgeschafft werden, indem ein europäisches elektronisches Echtzeitregister eingeführt wird. Zudem sollen bestimmte Dienstreisen von der Notifizierungspflicht zur A1- Bescheinigung ausgenommen werden, wenn keine Dienstleistungen erbracht oder Güter veräußert werden. Dies ist begrüßenswert, muss jedoch im Sinne eines pragmatischen und bürokratiearmen Ansatzes auch auf kurze Entsendungen zur Dienstleistungserbringung ausgeweitet werden.

Arbeits- und Gesundheitsschutz

Die Koalitionäre wollen den hohen Arbeits- und Gesundheitsschutz erhalten und ihn neuen Herausforderungen anpassen. Sie wollen sich intensiv der psychischen Gesundheit widmen und einen Mobbing-Report erarbeiten. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen sollen bei Prävention und Umsetzung des Arbeitsschutzes unterstützt werden. Das betriebliche Eingliederungsmanagement soll gestärkt werden.

Zu begrüßen sind die Bemühungen der Koalitionspartner, vor allem KMU durch sinnvolle und niederschwellige Unterstützungsangebote anzusprechen. Das weitere Entstigmatisierung des Themas psychische Gesundheit ist ebenso sinnvoll. Die Initiative zu einem „Mobbingreport“ ist neu. Es muss geklärt werden, was empirische Grundlagen, Ziele und Inhalte sind.

Flexiblen Renteneintritt für einen längeren Verbleib im Arbeitsleben ermöglichen

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP möchten mit den Sozialpartnern in einen Dialogprozess eintreten, wie Wünsche nach einem längeren Verbleib im Arbeitsleben einfacher verwirklicht werden können. Darüber hinaus soll der Bekanntheitsgrad der Flexi-Rente gesteigert und die Hinzuverdienstgrenzen bei vorzeitigem Rentenbezug entfristet werden. (S. 74)

Bewertung: Zielsetzung sollte sein, Anreize für einen längeren Verbleib im Arbeitsleben zu stärken. Hierfür müssen insbesondere Frühverrentungsanreize, wie z. B. die abschlagsfreie Rente ab 63, abgeschafft werden. Eine Flexibilisierung des Renteneintritts sollte einhergehen mit einer Anpassung des Renteneintrittsalters an die immer weiter steigende Lebenserwartung. Eine Steigerung des Bekanntheitsgrades der Flexi-Rente ist zu begrüßen. Die Entfristung der Hinzuverdienstgrenzen ist ebenfalls positiv zu bewerten, da sie einen Beitrag dazu leisten kann, rentennahe Fachkräfte länger am Arbeitsmarkt zu halten.

Pflegeversicherung

©Finanzfoto, Adobe StockSPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollen den Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung „moderat“ anheben. Sie wollen das Pflegegeld ab 2022 dynamisieren. Für eine mögliche Ergänzung der sozialen Pflegeversicherung um eine freiwillige, paritätisch finanzierte Vollversicherung soll eine Expertenkommission bis 2023 konkrete Vorschläge vorlegen. Versicherungsfremde Leistungen, z.B. Rentenbeiträge für pflegende Angehörige oder pandemiebedingte Zusatzkosten, sollen aus Steuermitteln finanziert werden.

Aus Sicht des MITTELSTANDSVERBUNDES ist eine (weitere) Anhebung des Beitragssatzes abzulehnen, weil dadurch der Gesamtsozialversicherungsbeitrag über die 40-%-Marke zu steigen droht und somit Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung gefährdet würden.

Wer will, kann sich schon heute zur sozialen Pflegeversicherung zusätzlich absichern. Allein die geplante Finanzierung versicherungsfremder Leistungen aus Steuermitteln ist sachgerecht.

Krankenversicherung

Das in vielen Wahlkämpfen umstrittene Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung ist im Koalitionsvertrag nicht angesprochen. Für Selbständige ist jedoch interessant, dass sie entlastet werden sollen, indem Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung oberhalb der Minijobgrenze nur noch strikt einkommensbezogen erhoben werden. Das bedeutet faktisch eine Absenkung der Mindestbeiträge für Selbstständige in der Krankenversicherung und damit endlich eine Gleichbehandlung mit abhängig Beschäftigten.

Gesetzliche Rentenversicherung

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollen das Mindestrentenniveau von 48 Prozent dauerhaft sichern, zugleich keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters vornehmen.

Zur Erfüllung dieser Versprechen müsste der Beitragssatz nach Berechnungen der Deutschen Bundesbank bis 2040 auf etwa 27 % steigen – oder der Steuerzuschuss in die Rentenversicherung massiv steigen. Beides hieße, allein die junge Generation mit den Kosten des demografischen Wandels zu belasten.

Zudem plant die Koalition, in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einzusteigen. Diese soll als dauerhafter Fonds von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Stelle verwaltet werden und global anlegen, in einem ersten Schritt mit einem Kapitalstock von 10 Milliarden Euro.

Dieser Schritt in eine stärkere Kapitaldeckung in der Alterssicherung ist im Grundsatz zu begrüßen, die Details bleiben jedoch abzuwarten.

Pflicht zur Altersvorsorge für neue Selbstständige

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollen eine Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheit für alle neuen Selbstständigen einführen, die bisher keinem obligatorischem Alterssicherungssystem unterliegen. DER MITTELSTANDSVERBUND hat einer Altersvorsorgepflicht für Selbstständige im Grundsatz nie widersprochen. Maßgeblich sind insbesondere Flexibilität, Wahlfreiheit für den Vorsorgeweg sowie großzügige und pragmatische Regelungen für Existenzgründer und Bestandsselbständige.

Betriebliche Altersvorsorge

Die Koalition will die betriebliche Altersversorgung stärken, unter anderem durch die Erlaubnis von Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen. Zusätzlich soll das mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz bereits in der vorletzten Legislaturperiode auf den Weg gebrachte Sozialpartnermodell nun umgesetzt werden.

Das Bekenntnis zur betrieblichen Altersvorsorge ist zu begrüßen. Insbesondere ist die „Erlaubnis von Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen“ (gemeint sind möglicherweise Erleichterungen für die arbeitsrechtlich zulässigen Zusagearten) ein Schritt, um den Auswirkungen der Niedrigzinsphase entgegenzuwirken. Die im Rahmen des Sozialpartnermodells neu eingeführte reine Beitragszusage kann einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung der bAV leisten. Allerdings fehlen konkrete Vorschläge zur Umsetzung.

private Altersvorsorge

Das bisherige System der privaten Altersvorsorge soll grundlegend reformiert werden. So soll zum einen die gesetzliche Anerkennung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen als Riester geprüft werden. Eine Förderung soll Anreize für untere Einkommensgruppen bieten, diese Produkte in Anspruch zu nehmen. Zum anderen gibt es einen Prüfauftrag für einen möglichen im Rahmen der privaten Altersvorsorge angebotenen öffentlich verantworteten Fonds als Opt-Out-Modell.

Eine Reform der privaten Altersvorsorge ist im Grundsatz zu begrüßen da sie stagniert und die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht an die Bedingungen der Niedrigzinsphase angepasst sind. Fraglich ist jedoch, warum anstelle einer Überarbeitung bestehender Modelle neue Instrumente geschaffen werden müssen. Eine flexiblere Kapitalanlage schafft höhere Renditechancen und trägt zur Erhöhung des Versorgungsniveaus in der zusätzlichen Altersvorsorge bei. Ob ein öffentlich verantworteter Fonds Vorteile bieten kann, die die Produkte der privaten oder betrieblichen Altersvorsorge nicht ebenfalls erfüllen könnten, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Eine staatlich angeordnete automatische Entgeltumwandlung mit Opt-Out-Regelung würde die Arbeitgeber mit zusätzlicher Bürokratie belasten.

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