Vorgaben zur "Kettenbefristung"

Das Bundesarbeitsgericht hat erstmals zahlenmäßige Grenzen dafür festgelegt, ab wann ein Rechtsmissbrauch bei sogenannten „Kettenbefristungen“ indiziert sein kann.

Berlin, 26.09.2017 – Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 26. Oktober 2016 - 7 AZR 135/155 - erstmals zahlenmäßige Grenzen dafür festgelegt, ab wann ein Rechtsmissbrauch bei sogenannten „Kettenbefristungen“ – also bei mehrmaliger Sachgrundbefristung – nach dem Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) indiziert sein kann.

Leitsätze des Gerichts

Besteht ein Sachgrund für die Befristung eines Arbeitsvertrags nach § 14 Abs. 1 TzBfG, ist eine umfassende Kontrolle nach den Grundsätzen eines institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) in der Regel geboten, wenn die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses acht Jahre überschreitet – oder aber mehr als zwölf Verlängerungen des befristeten Arbeitsvertrags vereinbart wurden.

Allerdings auch, wenn die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses sechs Jahre überschreitet und mehr als neun Vertragsverlängerungen vereinbart wurden.

Unter diesen Voraussetzungen hängt es von weiteren, zunächst vom Kläger vorzutragenden Umständen ab, ob ein Missbrauch der Befristungsmöglichkeit anzunehmen ist.

Von einem indizierten Rechtsmissbrauch ist in der Regel auszugehen, wenn die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses zehn Jahre überschreitet oder mehr als 15 Vertragsverlängerungen vereinbart wurden. Auch wenn mehr als zwölf Vertragsverlängerungen bei einer Gesamtdauer von mehr als acht Jahren vorliegen, ist von einem indizierten Rechtsmissbrauch auszugehen. In einem solchen Fall hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Annahme des indizierten Gestaltungsmissbrauchs durch den Vortrag besonderer Umstände zu entkräften.

Sachverhalt

Vom 15. Oktober 2007 bis zum 7. Februar 2014 wurde der Kläger ohne Lehramtsbefähigung am städtischen Gymnasium des beklagten Landes als Vertretungslehrer für das Fach Sport aufgrund von mindestens 16 sachgrundbefristeten Verträgen beschäftigt.

Die genaue Anzahl ist zwischen den Parteien streitig. Zuletzt arbeitete er mit Arbeitsvertrag – vom 25. Juli 2013 befristet bis zum 7. Februar 2014 – zur Vertretung der wegen Inanspruchnahme von Elternzeit abwesenden Lehrerin W.

Der Kläger wendet sich mit der Klage gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der im Arbeitsvertrag vereinbarten Befristung. Der Sachgrund der Vertretung liege nicht vor, jedenfalls könne sich das beklagte Land nicht auf ihn berufen. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben.

Entscheidungsgründe

Das Bundesarbeitsgericht hält die Revision des Beklagten für begründet. Das Arbeitsverhältnis habe aufgrund der im Arbeitsvertrag vom 25. Juli 2013 vereinbarten Befristung am 7. Februar 2014 geendet. Die dort vereinbarte Befristung sei durch den Sachgrund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG i. V. m. § 21 Abs. 1 BEEG gerechtfertigt. Das beklagte Land könne sich auch auf den Sachgrund der Vertretung berufen, daran sei es nicht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs gehindert, weil ein solcher nicht vorliege.

Die vereinbarte Befristung habe auf der mittelbaren Vertretung der Kollegin W beruht. Der für den Sachgrund der Vertretung erforderliche Kausalzusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall der Vertretenen und der Einstellung der Vertretungskraft sei gegeben – denn die Stunden der W seien nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts so umverteilt worden, dass der Kläger den von ihm zu leistenden Unterricht im Fach Sport erteilen konnte.

Entgegen der Ansicht der Vorinstanz habe sich das beklagte Land auch auf den Sachgrund der Befristung berufen können. Dies stelle keinen Rechtsmissbrauch dar. Für die Bestimmung der Schwelle zum institutionellen Rechtsmissbrauch seien die Gesamtdauer der befristeten Verträge sowie die Anzahl der Vertragsverlängerungen maßgeblich.

Bestünde danach Anlass für eine Rechtsmissbrauchskontrolle, seien weitere Umstände zu berücksichtigen. Während der Senat in der Vergangenheit keine quantitativen Angaben dazu machte, wo die zeitlichen und/oder zahlenmäßigen Grenzen für einen Rechtsmissbrauch liegen, nennt das Bundesarbeitsgericht in diesem Urteil solche Zahlen und Grenzen.

Der Senat geht dabei von einem dreistufigen System aus:

1. Stufe:

Der Senat knüpft zur Bestimmung der Schwelle eines Rechtmissbrauchs an die gesetzlichen Wertungen in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG (sachgrundlose Befristung von zwei Jahren) an. Liegt ein die Befristung rechtfertigender Sachgrund vor, besteht kein gesteigerter Anlass zur Missbrauchskontrolle, wenn die in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG bezeichneten Grenzen nicht um ein Mehrfaches überschritten sind.

2. Stufe:

Werden die Grenzen des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG alternativ oder kumulativ mehrfach überschritten, ist eine umfassende Missbrauchskontrolle geboten. Ein mehrfaches Überschreiten liegt vor, wenn entweder einer der in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG bezeichneten Werte um mehr als das Vierfache oder beide dort bezeichneten Werte um mehr als das Dreifache überschritten werden. Es hängt dann von weiteren Umständen ab, ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt. Diese Umstände muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen.

3. Stufe:

Werden die in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG genannten Grenzen alternativ oder kumulativ in besonders gravierendem Ausmaß überschritten, kann ein Rechtsmissbrauch indiziert sein. Von einem indizierten Rechtsmissbrauch sei in der Regel auszugehen, wenn durch befristete Verträge einer der Werte aus § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG um mehr als das Fünffache überschritten wird oder beide dort genannten Werte mehr als das jeweils Vierfache betragen. Bei einem indizierten Rechtsmissbrauch hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Annahme des Rechtsmissbrauchs durch den Vortrag besonderer Umstände zu entkräften.

Bei Anwendung dieser Grundsätze könne das beklagte Land sich auf den Sachgrund der Vertretung berufen. Ein Rechtsmissbrauch sei nicht indiziert, denn die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses betrage sechs Jahre und knapp vier Monate und die Parteien hätten 15 Vertragsverlängerungen vereinbart. Die Schwelle von mehr als 16 befristeten Arbeitsverhältnissen, ab deren Vorliegen ein Rechtsmissbrauch als indiziert gelte, sei nicht erreicht.

Zwar sei eine Rechtsmissbrauchsprüfung veranlasst gewesen, da die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses sechs Jahre überschreite und 15 Vertragsverlängerungen vorlägen, wodurch beide in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG genannten Werte um mehr als das Dreifache überschritten seien.

Der Kläger habe jedoch keine hinreichenden weiteren Umstände vorgetragen, die für Rechtsmissbrauch sprächen. Die unveränderte Beschäftigung des Klägers als Sportlehrer an derselben Schule lasse hier nicht auf einen dauerhaften Beschäftigungsbedarf und damit auf Rechtsmissbrauch schließen.

Ebenso wie die mehrfach erfolgte Befristung auf das Ende des Schulhalbjahres handle es sich dabei um schultypische (und damit "branchentypische") Besonderheiten, die es rechtfertigten, befristete Arbeitsverträge mit Vertretungslehrern trotz eines darüber hinaus bestehenden Vertretungsbedarfs einer einzelnen Stammkraft schulhalbjahresbezogen abzuschließen.

Bewertung | Folgen für die Praxis

Mit der Entscheidung betreibt das Gericht Rechtsfortbildung. Grundsätzlich gehen weder die Befristungsrichtlinie (1999/70/EG) noch das TzBfG von zeitlichen Grenzen für Sachgrundbefristungen aus.

Vielmehr genügt der Vortrag eines Sachgrunds, um die Befristungsabrede zu rechtfertigen. Dennoch hat bereits der EuGH in seiner Entscheidung vom 26. Januar 2012 (C-586/10/; Rechtssache Kücük) nationalen Gerichte dazu aufgefordert, auch bei Sachgrundbefristungen eine Missbrauchskontrolle durchzuführen, wenn eine große Zahl solcher Befristungen unmittelbar über einen längeren Zeitraum aufeinander folgt.

Maßstab für Missbrauchskontrolle konkretisiert

Das BAG hat nunmehr seinen Maßstab für eine Missbrauchskontrolle wie folgt konkretisiert:

Eine Rechtsmissbrauchskontrolle findet in Fällen statt, in denen

• das befristete Arbeitsverhältnis länger als sechs Jahre besteht und mehr als     neunmal verlängert wird oder

• das befristete Arbeitsverhältnis länger als acht Jahre besteht oder

• das befristete Arbeitsverhältnis mehr als zwölfmal verlängert wird.

Für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs ist zusätzlich Voraussetzung: Ein detaillierter und umfassender Vortrag des Arbeitnehmers über Gründe, die einen "rechtsmissbräuchlichen" Einsatz des befristeten Arbeitsvertrages als möglich erscheinen lassen.

Das BAG geht von einem Indiz für einen Rechtsmissbrauch aus, wenn das befristete Arbeitsverhältnis

• mehr als acht Jahre andauert und innerhalb dieser mehr als acht Jahre             häufiger als zwölfmal verlängert wird oder

• mehr als zehn Jahre andauert oder

• mehr als fünfzehnmal verlängert wird.

Der Arbeitgeber kann besondere Umstände benennen, um die Annahme eines Missbrauchs zu entkräften. Außerhalb dieser Grenzen ist eine Rechtsmissbrauchskontrolle nicht geboten.

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