Wahlprogramm-Check: Soziale Sicherung

Zur Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme haben die Parteien sehr unterschiedliche Vorstellungen. Wie geht es weiter mit der Rente? Wird die Absicherung von Selbständigen reguliert? Wer trägt welche Kosten? DER MITTELSTANDSVERBUND informiert.

In unserer mehrwöchigen Beitragsreihe zur Bundestagswahl 2021 vergleichen und bewerten wir die Wahlprogramme der Parteien nach Themenschwerpunkten mit besonderer Relevanz für die mittelständischen Unternehmen. Dabei betrachten wir lediglich die Parteien, die nach gegenwärtigem Ermessen eine realistische Chance haben, an der kommenden Bundesregierung beteiligt zu sein. Damit möchten wir Ihnen einen kompakten und gleichzeitig fundierten Überblick zu den verschiedenen Wahlprogrammen und den dahinterstehenden Vorhaben der Parteien bieten.

Berlin, 26.08.2021 – Die sozialen Sicherungssysteme von der Rente bis zur Pflege sind essenziell für die Verfügbarkeit von Fachkräften einerseits und die Entwicklung der Arbeitskosten andererseits. Angesichts der demografischen Entwicklung liegen hier große Aufgaben vor der künftigen Bundesregierung.

CDU / CSU

Die Unionsparteien bekennen sich zu dem Ziel, die Lohnzusatzkosten auf einem stabilen Niveau von maximal 40 Prozent zu halten. Bei der Rente machen sie jedoch keine konkreten Vorschläge zur weiteren Ausgestaltung. Nach der Wahl soll ein Expertengremium Vorschläge insbesondere zur gesetzlichen Rente entwickeln. Konkreter werden CDU/CSU bei ihren Empfehlungen für die betriebliche und private Vorsorge. Die Mitnahme von betrieblicher Vorsorge beim Jobwechsel soll erleichtert und für Geringverdiener eine „Betriebliche Altersvorsorge für alle“ entwickelt werden. Für die private Vorsorge soll es ein gefördertes Standardvorsorgeprodukt geben, das verpflichtend für alle Beschäftigten wird, es sei denn, sie widersprechen (Opt-Out). Zusätzlich wird eine „Generationenrente“ von Geburt an vorgeschlagen – mit einem staatlichen Monatsbeitrag zur Anlage in einem Pensionsfonds.

In der gesetzlichen Krankenversicherung setzen die Unionsparteien weiter auf einkommensabhängige paritätische Beiträge, Eigenbeteiligung und einen Steueranteil für versicherungsfremde Leistungen. Einer Beitragssteigerung in der Pflegeversicherung soll mit einer Verlängerung des Pflegevorsorgefonds entgegengewirkt werden, zudem sollen betriebliche Pflegezusatzversicherungen gefördert werden.

Zur Vermögensbildung setzen CDU/CSU auf eine Verbesserung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung und Steuererleichterungen bei den vermögenswirksamen Leistungen.

Um den sozialen Schutz von Selbstständigen zu verbessern, soll eine Altersvorsorgepflicht für alle Selbstständigen, die nicht bereits anderweitig abgesichert sind, eingeführt werden. Dabei soll es Wahlfreiheit zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und anderen insolvenzsicheren und zugriffsgeschützten Vorsorgearten geben. Für die Bestandsselbständigen soll es Übergangslösungen und für Existenzgründer Erleichterungen geben.

SPD

Die SPD verspricht eine starke gesetzliche Rente, d.h. ein dauerhaftes Rentenniveau von mindestens 48%. Eine mögliche Erhöhung des Renteneintrittsalters wird ausdrücklich abgelehnt. Verbesserungen soll es bei der Erwerbsminderungsrente geben, außerdem sollen unterschiedliche Arbeitszeiten und familienbedingte Tätigkeiten „gerechter behandelt“ werden. Der Finanzierungsvorschlag ist die Bürgerversicherung: auch alle Selbstständigen, Beamte, freien Berufe und Mandatsträger sollen einzahlen. Auch die freiwillige Zahlung zusätzlicher Beiträge für Pflichtversicherte soll ermöglicht werden. Um mehr Menschen in der betrieblichen Altersvorsorge abzusichern, sollen tarifvertraglich vereinbarte kollektive Vorsorgeformen bevorzugt und auch die Doppelverbeitragung in der Krankenversicherung beendet werden. In der privaten Altersvorsorge setzt die SPD auf ein neues standardisiertes Angebot, dessen Nutzung für geringe und mittlere Einkommen gefördert wird.

Auch in der Krankenversicherung setzt die SPD auf ein einheitliches System, d.h. die Bürgerversicherung mit „solidarischer“ Finanzierung. Gleiches gilt für die Pflege. Dort soll die Bürgerversicherung auch eine Vollversicherung sein, die alle pflegerischen Bedarfe abdeckt. Künftige Kostensteigerungen sollen durch Beiträge sowie einen dynamischen Bundeszuschuss finanziert werden. In der Arbeitslosenversicherung wird eine längere Bezugsdauer, abhängig von der Zeit der Einzahlung, angekündigt.

Für Selbständige plant die SPD, Schutzlücken zu beseitigen und deren soziale Absicherung zu verbessern. Vorgesehen ist eine grundsätzliche Pflicht zur Altersvorsorge und die schrittweise Integration aller Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung. Ziel sind einkommensabhängige Beiträge wie bei abhängig Beschäftigten. Der Zugang zur freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung soll verbessert werden. Daneben soll es über die Bundesagentur für Arbeit ein durch Beiträge der Selbständigen finanziertes „Sicherungsgeld“ geben, das in Notlagen greift, die über branchen- und saisonübliche Schwankungen hinausgehen.

FDP

Für alle Zweige der Sozialversicherung will die FDP Vermischungen mit den staatlichen Aufgaben unterbinden und festschreiben, dass zusätzliche versicherungsfremde Leistungen künftig vollständig aus dem Bundeshaushalt finanziert werden müssen.

Die Altersvorsorge möchte die FDP flexibler gestalten. Vorsorgebausteine aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Vorsorge sollen bei Wechseln zwischen Arbeitgebern oder zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit einfach übertragbar sein. Für die gesetzliche Rente soll in der Rentenformel sichergestellt werden, dass die Renten nicht stärker steigen als die Verdienste der Beitragszahler. Das Renteneintrittsalter soll flexibel gestaltet werden, daraus folgt eine unterschiedliche Rentenhöhe. Wenn mindestens das Grundsicherungsniveau erreicht ist, ist ab dem 60. Lebensjahr ein Renteneintritt möglich. Für Geringverdiener ist eine Basisrente oberhalb der Grundsicherung angedacht. Zuverdienstgrenzen sollen abgeschafft, Teilrenten leichter möglich werden. Zudem ist eine Verbesserung der Erwerbsminderungsrente geplant. Unter dem Namen „gesetzliche Aktienrente“ wird vorgeschlagen, die Beiträge zur gesetzlichen Rente nur noch zum (größeren) Teil in die Umlagen fließen zu lassen und einen anderen, kleineren Anteil in einer kapitalgedeckten Altersvorsorge anzulegen. Um die betriebliche Altersvorsorge zu stärken, sollen breitere Anlageformen ermöglicht und die Doppelverbeitragung beendet werden. In der privaten Altersvorsorge soll es ein Altersvorsorge-Depot geben, in dem u.a. die Vorteile von Riester-Rente (Zulagen-Förderung) und Rürup-Rente (steuerliche Förderung) zusammengefasst werden können.

Die Pflegeversicherung soll eine Teilleistung bleiben und durch Kapitaldeckungselemente ergänzt werden. Betriebliche Modelle zur Pflegezusatzvorsorge sollen unterstützt werden.

Mit Blick auf die Selbständigen will die FDP die Ungleichbehandlung gegenüber abhängig Beschäftigten abbauen, insbesondere sollen sich die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung an den tatsächlichen Einnahmen orientieren. In der Altersvorsorge spricht sich die FDP für eine Vorsorgepflicht aus und setzt sich dabei für maximale Wahlfreiheit ein. So soll auch der Zugang zur gesamten geförderten privaten Altersvorsorge möglich werden. Für die Gründungsphase sind Karenzfristen angedacht.

Bündnis 90/Die Grünen

Die Bürgerversicherung ist das große Thema der Grünen in den Zweigen der Sozialversicherung. Dies gilt zunächst für die Rentenversicherung. Dort soll das Rentenniveau bei mindestens 48% gesichert werden. Die Grundrente soll zu einer Garantierente weiterentwickelt werden, die deutlich mehr Menschen als bisher einbezieht und besserstellt. Durch eine von den Arbeitgebern finanzierte Mindestbeitragsbemessungsgrundlage sollen vollzeitbeschäftigte Geringverdienende bei langjähriger Beschäftigung im Alter eine auskömmliche Rente erhalten. Grundsätzlich wird an der Rente mit 67 festgehalten, aber dennoch soll ein flexiblerer Renteneintritt möglich sein. Eine ergänzende kapitalgedeckte Altersvorsorge soll über einen öffentlich verwalteten Bürger*innenfonds organisiert werden, der die Riester- und die Rürup-Rente ersetzt. In ihn sollen alle einbezogen werden, die nicht aktiv widersprechen. Die Zulagenförderung soll dabei auf niedrige und mittlere Einkommen fokussiert werden. Dieses Produkt soll auch für die betriebliche Altersvorsorge geöffnet werden.

Auch in bei der Krankenversicherung setzen die Grünen auf die Bürgerversicherung, in die Beamte, Selbständige, Unternehmer und Abgeordnete einkommensabhängig unter Berücksichtigung aller Einkommensarten einzahlen. Gleiches gilt für die Pflegeversicherung. Dort soll zudem an den Eigenanteilen festgehalten werden, sie sollen jedoch gedeckelt werden.

Selbständige Berufstätigkeit wollen die Grünen sozial besser absichern. Sie möchten den Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung erleichtern und neben dem Anspruch auf Arbeitslosengeld I auch einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld in besonderen Notsituationen schaffen. Selbständige und Unternehmer sollen auch in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden, unter Berücksichtigung von bereits bestehenden privaten Alters- vorsorgeformen sowie Altersgrenzen. Selbständige sollen auch beim Zugang zu Vorsorgeprodukten gleiche Möglichkeiten haben wie abhängig Beschäftigte.

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