Digitaler Binnenmarkt: Parlament bringt sich in Stellung

Nachdem die EU-Kommission im Mai die Agenda zum digitalen Binnenmarkt vorgestellt hat, bringt sich jetzt auch das Europäische Parlament in Stellung. Das Paket wird aktuell in den zuständigen Ausschüssen heiß diskutiert.

Brüssel, 17.09.2015 — Es ist viel drin für den kooperierenden Mittelstand: Breitbandausbau, eine Neuerung des europäischen Verbraucherrechts, Ansätze zur Aus- und Weiterbildung des Personals oder gar Änderungen des Europäischen Wettbewerbsrechts. Die im Mai 2015 vorgestellte Kommissionsmitteilung "Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa" spricht viele Bereiche an, die den kooperierenden Handel, Dienstleister und betreffen werden.

Direkte Folge der Strategie ist die von der Generaldirektion Wettbewerb lancierte Sektoruntersuchung im Bereich E-Commerce, deren Ergebnisse derzeit noch erwartet werden. Wie die einzelnen Teilbereiche ausgestaltet werden sollen, beschäftigt derzeit auch das Europäische Parlament. Bis Anfang 2016 soll ein Bericht vorgelegt werden. Dieser soll Schwerpunkte für die zukünftige Arbeit der Kommission setzen.

Rechtsausschuss – Alles um den Verbraucher

Dabei sind viele Ausschüsse des Europäischen Parlaments mit der Erarbeitung des Endberichts befasst. Erste Einblicke in die zu erwartenden Forderungen konnten in den jüngsten Sitzungen verfolgt werden. So steht der Rechtsausschuss (JURI) des Europaparlaments kurz vor der Annahme seiner Stellungnahme – die Basis, auf Grundlage dessen im Anschluss der Endbricht verfasst wird.

Der Ausschuss wünscht sich vor allem mehr Rechtssicherheit für den Verbraucher, wenn es um den grenzüberschreitenden Erwerb von Waren und digitalen Inhalten geht. Unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung müssten Online-Geschäfte vereinfacht werden. Dazu zählt der Rechtsausschuss klar eine Vereinheitlichung der Gewährleistungsrechte.

Zu einem einheitlichen digitalen Binnenmarkt gehöre zudem, dass der Verbraucher digitale Inhalte unabhängig von seinem Herkunftsland erwerben und in jedem Mitgliedstaat gleichermaßen in Anspruch nehmen kann. Beispielhaft werden in diesem Zusammenhang immer Online-Dienste für Filme und Serien angeführt. In vielen Mitgliedstaaten können die online erworbenen Angebote nur in einem Mitgliedstaat eingesehen werden. Das soll sich nach den Vorstellungen des JURI-Ausschusses ändern.

Neue Arbeitswelt - Ausschuss für Beschäftigung und Soziale Angelegenheiten

Der Ausschuss für Beschäftigung und Soziale Angelegenheiten unter der Berichterstatterin Jutta Steinruck geht das Thema Digitalisierung unter einem anderen Aspekt an: Inwieweit müssen bestehende Vorschriften des Arbeitsschutzes und der sozialen Sicherheit angepasst werden, um den tatsächlichen Gegebenheiten des digitalen Binnenmarkts gerecht zu werden?

So werde das Thema "Outsourcing" von Dienstleistungen nach Ansicht der Berichterstatterin zukünftig eine noch stärkere soziale Komponente erhalten. Die Digitalisierung der Arbeitswelt mache es möglich, dass innerhalb von kürzester Zeit Dienstleistungen im Netz abgefragt werden könnten. Dies bedinge eine Zunahme im Bereich der selbstständigen Dienstleister. Die hohe Geschwindigkeit der Anfragen mache jedoch auch die Vergabe immer kleinere Aufträge möglich. Im Ergebnis bestehe so die Gefahr, dass eine Selbstständigkeit im Zweifel nicht für einen sicheren Lebensunterhalt und schon gar nicht zur Bildung von Rücklagen für den Ruhestand ausreicht.

Welcher Mitgliedstaat kommt dann für den Selbstständigen auf und wie werden Beitragszahlungen aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten miteinander verrechnet? Die Berichterstatterin fordert daher einen europaweiten Vergleich zum Stand der Auswirkungen solcher Beschäftigungsverhältnisse auf den Arbeitsmarkt.

Darüber hinaus mahnt Steinruck an, dass die Flexibilisierung von Arbeit durch die zur Verfügung stehenden technischen Mittel auch zu prekären Beschäftigungsverhältnissen führen kann. Die Kommission solle daher besonderen Wert auf diesen Aspekt legen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Aus- und Weiterbildung von Beschäftigten im Rahmen der voranschreitenden Digitalisierung. Hierbei gebe es bereits freiwillige Initiativen. Ein rechtlicher Rahmen wird daher zunächst nicht gefordert- dies ist wohl auch dem Umstand geschuldet, dass die Aus- und Weiterbildung in den ausschließlichen Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten fällt.

Ausblick

Die unterschiedlichen Ansätze zeigen, dass der von der Kommission angestoßene Prozess in fast alle Bereiche der " Offline-Welt" hineinstrahlt. Alte Diskussionen, wie die Flexibilisierung der Arbeitszeit und dessen Ausgestaltung werden damit erneut entfacht. DER MITTELSTANDSVERBUND hatte in den vergangenen Konsultationen der Kommission jedoch vor allem davor gewarnt, "online" und "offline" getrennt zu betrachten. Die im MITTELSTANDSVERUND zusammengeschlossenen Verbundgruppen erleben bereits jetzt eine Verschmelzung der einzelnen Vertriebskanäle. Im Sinne eines gelebten Bürokratieabbaus muss daher darauf verzichtet werden, gesonderte Regeln nur für den digitalen Binnenmarkt zu entwerfen.

Gerade mit Blick auf eine eventuelle weitere Vereinheitlichung der europäischen Verbraucherrechte warnt DER MITTELSTANDSVERUND davor, die Rechtslage noch weiter zu verkomplizieren.

Insgesamt besteht daher noch ein großer Diskussionsbedarf mit den politischen Akteuren, bis die Digitale Agenda tatsächlich eine Erleichterung für den kooperierenden Mittelstand darstellen kann.


Weitere Informationen:

Sektoruntersuchung E-Commerce: MITTELSTANDSVERBUND informiert
Digitale Agenda: So will die EU den Anschluss behalten

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