EU beendet Sektoruntersuchung E-Commerce

Die Europäische Kommission hat die Ergebnisse der seit 2015 durchgeführten Sektoruntersuchung E-Commerce vorgestellt. DER MITTELSTANDSVERBUND befürchtet Folgemaßnahmen.

Brüssel, 12.05.2017 - Die Europäische Kommission hat den Abschlussbericht über die im Mai 2015 eingeleitete Sektoruntersuchung zum Wettbewerb im elektronischen Handel veröffentlicht. Die Untersuchung ist Teil der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt. Zu den wichtigsten Zielen gehört ein besserer Zugang für Verbraucher und Unternehmen zu Waren und Dienstleistungen durch EU-weiten elektronischen Handel. Im Zuge der Untersuchung holte die EU-Kommission von knapp 1.900 Unternehmen, die im elektronischen Handel mit Verbrauchsgütern und digitalen Inhalten tätig sind, Informationen ein und prüfte rund 8.000 Vertriebs- und Lizenzvereinbarungen.

Die ersten Ergebnisse der Kommission wurden bereits im September 2016 in einem Zwischenbericht vorgestellt und haben sich nach Auffassung der Kommission im Rahmen der nach seiner Veröffentlichung durchgeführten öffentlichen Konsultation bestätigt. Der Abschlussbericht zeigt nun Geschäftspraktiken auf, die den Wettbewerb einschränken könnten. Der Bericht ermöglicht nach Auffassung der Kommission eine zielgerichtete Durchsetzung des EU-Kartellrechts im elektronischen Handel und hat bereits einige Unternehmen dazu veranlasst, ihre Praktiken zu überprüfen.

EU-Wettbewerbsrecht durchsetzen

„Bestimmte Geschäftspraktiken im elektronischen Handel könnten den Wettbewerb beeinträchtigen, da sie unverhältnismäßig stark einschränken, wie Waren in der EU vertrieben werden. Unser Bericht bestätigt dies", erklärte die für Wettbewerbspolitik zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager am 10. Mai in Brüssel.

Diese Einschränkungen könnten die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher begrenzen und niedrigere Preise im elektronischen Handel verhindern. Gleichzeitig müssten die Interessen der Online-Händler und der herkömmlichen Einzelhändler ausgewogen berücksichtigt werden. All das solle den Verbrauchern zugutekommen. "Die Ergebnisse der Sektoruntersuchung ermöglichen uns eine zielgerichtete Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts im elektronischen Handel", so Vestager weiter. 

Weitere Gespräche geplant

Eine kohärente Auslegung der EU-Wettbewerbsvorschriften zu Geschäftspraktiken im elektronischen Handel ist für Unternehmen bei der Planung ihrer Vertriebsstrategien in der EU von entscheidender Bedeutung.

Auf Grundlage der Ergebnisse der Sektoruntersuchung wird die Kommission im Rahmen des Europäischen Wettbewerbsnetzes den Dialog mit den nationalen Wettbewerbsbehörden über die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im elektronischen Handel ausweiten, um diese Kohärenz zu erreichen. Durch eine verstärkte Durchsetzung des Wettbewerbsrechts wird die Kommission Interessensträgern zudem eine Orientierungshilfe in Bezug auf Praktiken im Bereich des elektronischen Handels bieten.

Die wichtigsten Ergebnisse des Abschlussberichts:

  • Es wird bestätigt, dass die Zunahme des elektronischen Handels über die letzten zehn Jahre und insbesondere die Erhöhung der Preistransparenz und des Preiswettbewerbs die Vertriebsstrategien der Unternehmen und das Verhalten der Verbraucher erheblich beeinflusst haben. Die Endergebnisse der Sektoruntersuchung zeigen insbesondere folgende Markttendenzen.
  • Viele Hersteller haben sich in den letzten zehn Jahren dazu entschlossen, ihre Produkte in eigenen Online-Shops direkt an die Verbraucher zu verkaufen, und stehen damit zunehmend in Konkurrenz mit ihren Vertriebshändlern.
  • Durch den verstärkten Rückgriff auf selektive Vertriebssysteme, bei denen nur vorab ausgewählte, zugelassene Händler die Produkte verkaufen dürfen, können die Hersteller ihre Vertriebsnetze, insbesondere in Bezug auf die Qualität des Vertriebs, aber auch auf die Preise, stärker kontrollieren.
  • Immer häufiger werden vertragliche Beschränkungen genutzt, um die Kontrolle über den Vertrieb zu erhöhen. Je nach Geschäftsmodell und -strategie können solche Beschränkungen unterschiedliche Formen haben. So gibt es beispielsweise preisbezogene Beschränkungen, Marktplatzverbote (Plattformverbote), Beschränkung der Nutzung von Preisvergleichsinstrumenten oder den Ausschluss reiner Online-Unternehmen vom Vertriebsnetz. Einige dieser Praktiken sind zum Beispiel dadurch zu vertreten, dass sie die Qualität des Produktvertriebs verbessern. Andere hingegen könnten eine größere Auswahl und niedrigere Preise im elektronischen Handel, die Verbrauchern zugutekommen würden, verhindern und rechtfertigen ein Einschreiten der Kommission zur Durchsetzung der EU-Wettbewerbsvorschriften.
  • Die Ergebnisse der Sektoruntersuchung bestätigen, dass es für Anbieter digitaler Inhalte entscheidend ist, Lizenzen von Urheberrechtsinhabern für solche Inhalte zu erhalten, und dass die Verfügbarkeit von Lizenzen ein wichtiger Wettbewerbsfaktor ist.
  • In dem Bericht wird auf bestimmte Lizenzierungsverfahren verwiesen, die neuen Online-Geschäftsmodellen und -Dienstleistungen Steine in den Weg legen könnten. Bei einer Bewertung solcher Verfahren nach den EU-Wettbewerbsvorschriften müssen jedoch immer die Besonderheiten dieser Branche berücksichtigt werden.
  • Eine wichtige Erkenntnis aus der Sektoruntersuchung ist, dass fast 60 % der teilnehmenden Anbieter digitaler Inhalte mit den Rechteinhabern vertraglich „Geoblocking“ vereinbart haben. Anbieter digitaler Inhalte können Geblocking aus objektiv gerechtfertigten Gründen vornehmen, beispielsweise um keine Probleme im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer zu haben oder Vorschriften zum Schutz des Gemeinwohls Rechnung zu tragen. Die Kommission hat bereits Legislativvorschläge gemacht, um zu gewährleisten, dass Verbraucher, die Güter oder Dienstleistungen in einem anderen EU-Mitgliedstaat über das Internet oder vor Ort erwerben möchten, nicht durch unterschiedliche Preise, Verkaufs- oder Zahlungsbedingungen diskriminiert werden, sofern dies nicht aus objektiven und nachprüfbaren Gründen gerechtfertigt ist.

Wie geht es nun weiter?

DER MITTELSTANDSVERBUND befürchtet nun weitere Maßnahmen im Bereich der kartell- bzw. wettbewerbsrechtlichen Missbrauchskontrolle sowie ggfls. gesetzgeberische Aktivitäten in diesem Bereich. Bereits im Februar hatte die Kommission drei getrennte Untersuchungen zu Geschäftspraktiken im Zusammenhang mit Hotelpreisen, dem Vertrieb von PC-Videospielen bzw. den Preisen für Verbraucherelektronik eingeleitet, da diese möglicherweise den Wettbewerb einschränken.

Und in der Tat: die Kommission selbst weist in ihrem Abschlussbericht darauf hin, dass mit dem Wachstum des elektronischen Handels einige Geschäftspraktiken entstanden bzw. weiterentwickelt worden sind, die nach ihrer Meinung Anlass zu wettbewerbsrechtlichen Bedenken geben. Es sei daher wichtig, dass unterschiedliche Interpretationen der EU-Wettbewerbsregeln in Bezug auf Geschäftspraktiken im elektronischen Handel vermieden werden, da sonst erhebliche Hindernisse für Unternehmen entstehen könnten, die in kartellrechtlich zulässiger Weise in mehreren Mitgliedstaaten aktiv werden wollen, was zu Lasten eines digitalen Binnenmarkts ginge.

Die Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikalvereinbarungen (GVO Vertikal) läuft im Mai 2022 aus und die Ergebnisse der Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel bestätigen laut Kommission, dass eine vorzeitige Überarbeitung nicht notwendig ist. Die große Menge an Daten und Informationen, die im Laufe der Sektoruntersuchung gesammelt wurden, und alle Hinweise, die sich aus anschließenden Durchsetzungsmaßnahmen ergeben, werden jedoch bei der zukünftigen Überarbeitung berücksichtigt werden.

Angesichts der Ergebnisse der Sektoruntersuchung wird die Kommission daher künftig die Durchsetzung der Wettbewerbsregeln der EU für die am weitesten verbreiteten Geschäftspraktiken vorantreiben, die infolge des Wachstums des elektronischen Handels entstanden sind bzw. sich weiterentwickelt haben und die negative Auswirkungen auf den Wettbewerb und den grenzüberschreitenden Handel und damit auf einen funktionierenden digitalen Binnenmarkt habe können.

DER MITTELSTANDSVERBUND wird die weiteren Entwicklungen sehr genau beobachten und dafür Sorge tragen, dass die Interessen des kooperierenden Mittelstandes im Zusammenhang mit den Herausforderungen des E-Commerce sowie der Digitalisierung bestmöglich vertreten werden.

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