Kontrahierungszwang im Internet?!

Muss ein Unternehmen künftig Online in alle EU-Mitgliedstaaten liefern? Im Gespräch mit der Europaparlamentarierin Evelyne Gebhardt hat sich DER MITTELSTANDSVERBUND entschieden gegen eine solche Beschränkung der unternehmerischen Freiheit ausgeprochen.

Brüssel, 28.05.2015 — Die EU-Kommission hatte in ihrer Strategie zur Schaffung des digitalen Binnenmarkts viele Hindernisse identifiziert. Darunter zählen auch Verhaltensweisen von Unternehmen, die Waren und digitale Inhalte nur für einen Mitgliedstaat anzubieten. Verbraucher könnten nach Ansicht der Kommission dadurch diskriminiert werden. In der Strategie stellte die Kommission daher in Aussicht, solche Verhaltensweisen zukünftig als unzulässig anzusehen.

Um die Einstellung des Europaparlaments zu diesem Thema zu erfahren, traf sich DER MITTELSTANDSVERBUND, vertreten durch den Leiter des Europabüros, Tim Geier, mit der Binnenmarktexpertin und sozialdemokratischen Europaabgeordneten, Evelyne Gebhardt.

Ihre Einstellung zu dem Thema ist klar: Ungerechtfertigte Verhaltensweisen von Unternehmen müssten zukünftig durch eine entsprechende Änderung der europäischen Vorschriften unterbunden werden. So dürften beispielsweise Preise für Online gebuchte Reisen nicht von der Herkunft des Verbrauchers abhängen. Auch Praktiken, wie das sogenannte Re-Routing, bei der ein Verbraucher aus Frankreich, der beispielsweise eine Kaffeemaschine wegen des niedrigeren Preises auf der Homepage eines europaweit agierenden Online-Händlers kaufen möchte, automatisch auf dessen französische Homepage – mit höheren Preisen – weitergeleitet wird, seien unakzeptabel.

Geier erklärte in der Diskussion, dass dieses Thema zunächst eine Frage des Wettbewerbsrechts sei. Ein Verhalten sei danach nur erheblich und verboten, wenn eine bestehende Marktmacht unzulässigerweise ausgenutzt, oder der Unternehmer mit anderen Unternehmen kollusiv zum Ausschluss von Wettbewerb agiert habe. Das Europäische Wettbewerbsrecht stelle detaillierte Regeln zur Beantwortung der Frage der Zulässigkeit eines solchen Verhaltens bereit.

Mit der anstehenden Sektoruntersuchung für den E-Commerce untersucht die Kommission zudem, ob die bestehenden Regeln und auch die Durchsetzung durch die nationalen Wettbewerbsbehörden den Anforderungen der zunehmenden Digitalisierung des Handels entsprechen. Erste Ergebnisse sind bis Anfang 2016 zu erwarten, ein Endbericht soll bis Mitte 2016 vorliegen. Erst danach bestehe eine ausreichende Erkenntnisgrundlage, um über weitergehende Schritte nachzudenken.

Die Kommission kündigt jedoch in ihrer Strategie auch an, die bestehenden Regeln zum Diskrimierungsverbot überarbeiten zu wollen. Damit könnten nicht nur die oben genannten Fälle erfasst werden, auch die Weigerung eines Unternehmers, aus wirtschaftlichen Gründen nicht ins Ausland zu liefern, könnten damit plötzlich erheblich werden. Eine solche Einschätzung liefe dem Grundsatz unternehmerischer Vertragsfreiheit entgegen. Geier sprach sich daher entschieden gegen eventuelle Ansätze aus.

Verbundgruppen sehen sich bislang, bedingt durch die unterschiedlichen Verbraucherrechte der Mitgliedstaaten einer Vielzahl rechtlicher Probleme gegenübergestellt. Harmonisierte Vorschriften in diesem Bereich könnten dabei Abhilfe verschaffen.

Aber selbst darüber hinaus dürfen Unternehmer nicht unter den Generalverdacht einer Verbraucherdiskriminierung gestellt werden. Dies läuft auf eine nicht tragbare Rechtfertigungssituation für Unternehmer hinaus, die wiederum – genau diametral entgegensetzt zur eigentlichen Zielsetzung der Kommission – zu einem starken Vorbehalt von Unternehmern gegenüber dem europäischen Binnenmarkt führen könnte. In der Konsequenz würde eine solche Qualifizierung zudem auf einen Kontrahierungszwang für Unternehmen hinauslaufen – ein untragbarer Zustand!

Auch das Beispiel der unterschiedlichen Preise sei nicht verständlich. Seit Jahren kämpft DER MITTELSTANDSVERBUND für die Möglichkeit, einheitliche Preise durchsetzen zu können – bislang ohne Erfolg. Gerade die Preisunterschiede würden nach der oben genannten Argumentation jedoch nun zum Vorwurf gegen die Unternehmer.

Insgesamt konnte so verdeutlicht werden, dass unilaterale Entscheidungen von Unternehmern auch weiterhin zulässig sein müssen. Auch wenn die Kommission an anderer Stelle bereits die Aussagen ihrer Strategie relativiert hat, wird dieser Punkt in der weiteren Diskussion über den digitalen Binnenmarkt genauesten zu beobachten sein.

Die Europaparlamentarierin nahm die angesprochenen Punkte dankend auf. Durch die Möglichkeit branchenübergreifend Beispiele aus dem Alltag des kooperierenden Mittelstands zu geben, bleibt DER MITTELSTANDSVERBUND auch zukünftig kompetenter Ansprechpartner für das Europäische Parlament.

Weitere Informationen:

Download: EU-Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa
Digitale Agenda: So will die EU den Anschluss behalten
EU geht gegen Barrieren im europaweiten Online-Handel vor
EU plant Aufhebung von Geoblocking (Sektoruntersuchung E-Commerce)

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