Veltmann: Nicht über einen Kamm scheren

Zum Ende des Jahres 2016 zieht Dr. Ludwig Veltmann Bilanz. Im Interview erklärt der Hauptgeschäftsführer des MITTELSTANDSVERBUNDES, dass der Mittelstand die richtigen Rahmenbedingungen braucht, um die digitale Transformation zu schaffen.

Berlin, 19.12.2016 – Insgesamt zieht Dr. Ludwig Veltmann eine positive Bilanz für 2016. Allerdings könne sich die gute Ausgangslage jederzeit ändern. „Für 2017 müssen wir also die Augen offen halten und uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen.“ Die größte Herausforderung bliebe nach wie vor die Digitalisierung. Hier werde DER MITTELSTANDSVERBUND gemeinsam mit seinen Mitgliedern innovative Lösungen entwickeln.

SynergienNews: Herr Dr. Veltmann, wie war das Jahr 2016 für den kooperierenden Mittelstand?

MITTELSTANDSVERBUND-Hauptgeschäftsführer Dr. Ludwig VeltmannDr. Ludwig Veltmann: Angesichts der zunehmenden Wachstumsgeschwindigkeit gerade im digitalen Bereich werden die Herausforderungen für mittelständische Unternehmen nicht weniger. Es müssen strategische Wege und Lösungen gefunden werden, um die Transformationsgeschwindigkeit der Verbundgruppen in Richtung digitales Zeitalter zu erhöhen. Daran arbeitet DER MITTELSTANDSVERBUND mit ganzer Kraft.

SN: In der Bilanz also ein schwieriges Jahr?

Veltmann: Insgesamt waren die wirtschaftlichen Ergebnisse recht gut. Das lag aber nicht allein an der vorzüglichen Aufstellung der Kooperationen, sondern auch an der starken Binnenkonjunktur. Wir sind im Moment begünstigt von niedrigen Energie- und Ölpreisen. Auch die niedrigen Zinsen führen dazu, dass die Menschen ihr Geld nicht zu den Banken tragen, sondern lieber ausgeben. Die Konsumstimmung ist weiterhin gut.

Wenn wir uns die politische Entwicklung um uns herum anschauen, wird aber klar, dass sich diese Stimmung jederzeit ändern kann. Wir müssen also die Augen offen halten und dürfen uns trotz der guten wirtschaftlichen Lage nicht auf den Lorbeeren ausruhen.

SN: Was waren denn die größten Herausforderungen 2016?

Veltmann: Erstens das enorme Tempo im Bereich der Digitalisierung. Die Wachstumsraten der internationalen Online-Plattformen sind weiter zweistellig. Und hierbei handelt es sich nicht etwa um ein Zusatzwachstum am Markt. Vielmehr herrscht ein Verdrängungswettbewerb, von dem auch die stationären Handels- und Dienstleistungsunternehmen stark betroffen sind.

Die Herausforderung ist, dieser Entwicklung etwas entgegen zu stellen. Dazu gehört das Wissen, wie man eine Strategie entwickelt und wie man die richtigen Konzepte auswählt. Neben der Bereitschaft zu Investitionen und tiefgreifenden Veränderungen der Unternehmensstruktur ist die Qualifizierung von Entscheidungsträgern unabdingbar. Sie müssen in die Lage versetzt werden, die notwendigen Entscheidungen überhaupt treffen zu können. Ich glaube, es wird eine erhebliche Qualifizierungsoffensive erforderlich sein, um die mittelständischen Strukturen dahin zu bringen, wo sie in den nächsten Jahren sein müssen.

SN: Ist das nicht ein bisschen spät? Die Digitalisierung ist doch längst Realität.

Veltmann: Natürlich hätte man früher anfangen können, vielleicht auch müssen. Sich jetzt aber fatalistisch dem Gedanken hinzugeben, es sei zu spät, kann nicht die Alternative sein.

"Durch die Kombination von erprobten Netzwerken mit jungen dynamischen Unternehmen könnten sich ganz neue Möglichkeiten ergeben." Dr. Ludwig Veltmann, Hauptgeschäftsführer DER MITTELSTANDSVERBUND

Verbundgruppen haben die besten Voraussetzungen sich in der digitalen Zeit weiterzuentwickeln. Schließlich sind die Netzwerke über Jahrzehnte eingespielt. Alle Welt fordert vom Mittelstand gerade, sich zu vernetzen. Es wird übersehen, dass es in vielen Branchen bereits spannende Bündnisse gibt, die DER MITTELSTANDSVERBUND vertritt.

Natürlich ist es schwierig, sich in einem Unternehmensverbund mit einer Geschwindigkeit wie ein junges dynamisches Unternehmen zu entwickeln. Gleichzeitig können Abstimmungsprozesse in Gremien und demokratische Strukturen wichtige Impulse zur Weiterentwicklung einer Kooperation geben. Wenn man diese weiterentwickelt, entstehen die notwendigen Innovationen. In diesem Zusammenhang sehe ich einen spannenden Ansatz in der engen Zusammenarbeit mit Startups. Durch die Kombination von erprobten Netzwerken mit jungen dynamischen Unternehmen könnten sich ganz neue Möglichkeiten ergeben.

SN: In welchen Unternehmensbereichen sehen Sie besondere Potenziale für die Zusammenarbeit?

Veltmann: In allen klassischen Unternehmensbereichen gibt es zurzeit sehr interessante Entwicklungen. Angefangen bei der Mitgliederkommunikation über die Warenorganisation bis hin zu Logistikprozessen. Neue Plattformen ermöglichen eine individuellere Kommunikation von Unternehmen mit ihren Zielgruppen und durch die Auswertung von Daten können deren Bedarfe gezielter ermittelt werden.

Für junge Startups bieten sich also nahezu alle Unternehmensbereiche an, um sich mit Netzwerkunternehmen zu verbinden. Verbundgruppen könnten so ihr Effizienztempo steigern. Und gemeinsam könnten ganz neue Geschäftsmodelle entwickelt werden.

SN: 2016 war auch für den MITTELSTANDSVERBUND ein Jahr der Veränderungen. Wo stehen Sie und wo wollen Sie im nächsten Jahr hin?

Veltmann: Wir haben an einigen Stellen in unseren Gremien Veränderungen erfahren. Es ist sicherlich eine Zäsur für einen Verband, wenn er nach einer längeren Periode einen neuen Präsidenten an seine Spitze bekommt.

Unser neuer Präsident, Günter Althaus, vertritt eine andere Branche als sein Vorgänger und hat einen sehr hohen Anspruch an die Weiterentwicklung der Verbundgruppen im MITTELSTANDSVERBUND. Da entwickeln sich natürlich spannende neue Perspektiven. Auch im übrigen Präsidium wurde noch einmal durchgemischt. Einige neue Mitstreiter sind mit an Bord, die ihrerseits neue Ideen einbringen. Dies ist für den Verband insgesamt sehr positiv.

Zudem haben wir in diesem Jahr ein wichtiges zukunftsweisendes Projekt gestartet. Mit „Klimaprofi für den Mittelstand“ beteiligen wir uns noch stärker an der Debatte um den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Das Projekt wird vom Bundesumweltministerium aus Mitteln der Nationalen Klimaschutzinitiative gefördert und läuft bis 2019. Wir beraten in zunächst fünf Pilotbranchen (Anm. der Redaktion: Apotheken, Bäcker, Fleischer, Friseure und Kfz-Werkstätten) um dort zu sensibilisieren und die Effizienz in den Unternehmen zu steigern.

Die Forderung nach einer mittelstandsorientierten Politik – gerade vor dem Hintergrund der Notwendigkeit von digitalen Transformationsprozessen – spielt weiterhin die zentrale Rolle in Berlin und Brüssel. Man kann nicht die gesamte Wirtschaft über einen Kamm scheren, wenn es um die richtigen Rahmenbedingungen geht. Ansonsten hat der Mittelstand in Zukunft kaum noch eine wirkliche Chance.

SN: Im nächsten Jahr steht unter anderem die Bundestagswahl an. Welche Forderungen richten Sie an die Politik?

Veltmann: Zum einen, dass sie einen deutlichen Fokus auf die standortbezogene mittelständische Wirtschaft legt. Konkret geht es vor allem um einen Nachteilsausgleich gegenüber ortsunabhängigen Internet-Riesen. Es bestehen zahlreiche bürokratische, steuerliche und sonstige Lasten, die dringend abgebaut oder zumindest angepasst gehören.

Zum zweiten, dass das Wettbewerbsrecht der veränderten Marktrealität angepasst wird. Es muss in Kooperationsstrukturen möglich sein, eine gemeinsame Preiskommunikation zu fahren. Hierbei handelt es sich keineswegs um ‚Teufelszeug‘, sondern um die notwendige Gleichstellung von mittelständischen Kooperationen im Markt. Wir wünschen uns zu dem Thema einen noch offeneren Dialog mit der Politik. Gemeinsam mit unserem europäischen Dachverband Independent Retail Europe wollen wir in einer Studie nachweisen, dass sich die Marktverhältnisse verändert haben und eine Anpassung des Wettbewerbsrechts nötig ist.

Auch ein Austausch mit anderen Verbänden ist wichtig. Diesen werden wir 2017 noch weiter ausbauen. So wollen wir künftig einige Felder mit dem Deutschen Franchiseverband (DFV) gemeinsam organisieren, um mehr Gewicht in der politischen Arbeit zu erhalten und um noch effizienter zu sein.

SN: Welche weiteren Themen verbinden den MITTELSTANDSVERBUND mit dem DFV?

Veltmann: Es gibt viele Themen, die unsere Mitgliedsunternehmen gleichermaßen betreffen. Denken Sie etwa an das leidige Thema der Insolvenzanfechtungspraxis.

"Für unsere Kooperationen besteht weiterhin das hohe Risiko, wegen einer späteren Insolvenz eines Mitglieds in Anspruch genommen zu werden." Dr. Ludwig Veltmann, Hauptgeschäftsführer DER MITTELSTANDSVERBUND

Der Prüfauftrag stand auf unser Drängen hin schon im Koalitionsvertrag. Auf dem Weg des Gesetzgebungsprozesses haben wir vielfältig interveniert: beim Justizministerium, beim Rechtsausschuss im Bundestag, beim Bundesrat. Leider ist es bis heute noch zu keinem Abschluss gekommen.

Und damit besteht für unsere Kooperationen weiterhin das hohe Risiko, wegen einer späteren Insolvenz eines Mitglieds in Anspruch genommen zu werden. Wie sollen sie da ihrem förderwirtschaftlichen Leitgedanken nachkommen? Förderauftrag heißt, dass man Mitglieder gerade auch in schwierigen Zeiten unterstützen muss. Wenn man dies aber tut, kann man leicht in Verdacht geraten, eine künftige Insolvenz vorhergesehen zu haben. Im kommenden Jahr müssen wir hier unbedingt zu einem Ergebnis kommen!

SN: Bald ist Weihnachten. Wenn Sie einen Wunsch für das nächste Jahr frei hätten, welcher wäre das?

Veltmann: Ich wünsche mir, dass offene Prozesse – wie die Reform des Insolvenzrechts – noch vor der heißen Wahlkampfphase abgeschlossen werden. Der Wahlkampf wird sicher schon früh beginnen. Deswegen werden wir darauf drängen, dass vorher noch ein echter Pflock eingeschlagen wird.

SN: Vielen Dank für das Gespräch!

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