Steuerwettbewerb in der EU: Parlament bringt sich in Stellung

Das Plenum des EU-Parlaments hat Ende November eine Resolution zu Steuervorbescheiden und anderen Maßnahmen ähnlicher Art oder Wirkung beschlossen. Darin fordern die Parlamentarier ein engagierteres Vorgehen der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten gegen illegale Steuerpraktiken.

Brüssel, 26.11.2015 — Als Reaktion auf das aktuelle öffentliche und politische Interesse an den Verfahren zu verbindlichen Steuerauskünften in den Mitgliedstaaten hatte das Europäische Parlament am 12. Februar beschlossen, den Sonderausschuss zu Steuervorbescheiden und anderen Maßnahmen ähnlicher Art oder Wirkung einzusetzen. Dessen Mandat lief zunächst nur sechs Monate, wurde aber verlängert, um vor allem eine breite Entscheidungsgrundlage für die nunmehr vorliegende Resolution zu haben.

Mit 45 Mitgliedern und derselben Anzahl von stellvertretenden Mitgliedern beschäftigte sich der Ausschuss insbesondere die Vereinbarkeit von verbindlichen Steuerauskünften, anhand derer grundsätzlich im Vorfeld geklärt werden soll, wie das nationale Steuerrecht auszulegen und anzuwenden ist. Darüber hinaus untersuchte er die Vorschriften über staatliche Beihilfen und dem Steuerrecht.

Auf der Grundlage dieser Vorbereitungen hatte der Ausschuss bereits im Oktober diesen Jahres seinen Bericht vorgestellt. Mit der jetzigen Annahme des Berichts durch das Europäische Parlament wird deutlich: Die Europaabgeordneten sehen Nachbesserungsbedarf im bestehenden Regelwerk über die Koordination der nationalen Steuervorschriften. Das Problem der aggressiven Steuervermeidungsstrategien einiger Unternehmen kann nicht allein von der EU in Angriff genommen werden – hier bedarf es internationaler Zusammenarbeit.

Schwierige Tatsachengrundlage

"Der Steuer-Sonderausschuss war von Anfang an mit starkem Gegenwind konfrontiert", so die Feststellung des deutschen Europaabgeordneten und Ko-Berichterstatters, Michael Theurer (FDP). Zur Erarbeitung des TAXE-Berichts wurden verschiedene Mitgliedstaaten gebeten, Einzelheiten ihrer Steuerpraktiken – gerade mit Blick auf Absprachen mit großen Konzernen – offen zu legen. Viele Mitgliedstaaten lieferten nur fragmentarisch Informationen. Außerdem äußerten sich viele der befragten multinationalen Konzerne nur sehr zögerlich und teilweise gar nicht zu den Fragen der Abgeordneten im Zusammenhang mit ihren Steuer(vermeidungs)strategien.

Das Problem ist strukturell: Der TAXE-Ausschuss war von Anfang an "nur" als Sonderausschuss ausgestaltet – weitreichende Untersuchungsbefugnisse, wie sie etwa dem Bundestag in einigen Fällen zustehen, hatte der Ausschuss nicht.

Das Ergebnis: Viele multinationale Konzerne konnten erst spät angehört werden – die Ergebnisse dieser Anhörungen konnten deshalb nicht vollständig in den Bericht und damit auch in die verabschiedete Resolution einfließen. Auch "politische Verantwortlichkeiten" konnten nicht vollumfänglich geklärt werden – so die Feststellung Theurers. Er fordert daher – neben vielen anderen Abgeordneten eine Fortsetzung der Ausschussarbeit – auf unbestimmte Zeit und mit vollem Einsichtsrecht in relevante Dokumente.

Die Forderungen

Die Feststellungen und Forderungen der Europaparlamentarier gehen trotz der widrigen Umstände in die richtige Richtung:

  • Das EU-Parlament stellt fest, dass Steuervorbescheide – als symptomatisches Beispiel kollusiven Zusammenwirkens von Staaten und Konzernen zum Nachteil anderer Unternehmen – nicht von Natur aus problematische sind. Aufgrund einer komplizierten steuerlichen Situation im Falle grenzüberschreitender Tätigkeit helfen Steuervorbescheide, Rechtssicherheit für Unternehmen zu schaffen. Allerdings dürfen Steuervorbescheide nicht dazu dienen, einige Unternehmen gegenüber anderen zu bevorzugen.
  • Die steuerliche Sonderbehandlung einiger Unternehmen schwächt den Binnenmarkt als ganzen und hat damit auch negative Auswirkungen der Stellung der EU im internationalen Wettbewerb.
  • Der Mangel an politischem Willen zur Angleichung der nationalen Steuersysteme führt dazu, dass sich Mitgliedstaaten für eine bilaterale Herangehensweise entscheiden, obwohl eine gemeinschaftliche Herangehensweise wirksamer wäre. Hauptproblematik ist in diesem Zusammenhang das europäische Rahmenwerk selbst: Dieses schreibt vor, dass Mitgliedstaaten im Bereich Steuern einstimmig entscheiden müssen. Das hat in der Vergangenheit immer wieder zu Situationen geführt, in denen gute Ansätze der EU durch einige Mitgliedstaaten blockiert wurden.
  • Steuervermeidungspraktiken kommen vor allem Unternehmen zu Gute, die grenzüberschreitend tätig sind. Dadurch werden nur in einem Land tätige Unternehmen benachteiligt. Wie die OECD errechnete, setzen einige Unternehmen Strategien ein, dank derer sie nur 5 Prozent Körperschaftssteuer entrichten, während kleinere Unternehmen bis zu 30 Prozent zahlen.
  • Das ist im doppelten Sinne ungerecht: Zum einem für die Inlandsunternehmen, die mehr Steuern zahlen, als multinational aktive Unternehmen. Zum anderen ziehen multinationale Unternehmen aus verschiedenen öffentlichen Gütern und Dienstleistungen am Betriebsort Nutzen, ohne eine fairen Anteil am Gemeinwohl zu leisten.
  • Die Mitgliedstaaten und EU-Organe werden deshalb aufgefordert, sich für einen gerechten Steuerwettbewerb einzusetzen.
  • Die Mitgliedstaaten sollen daher den Grundsatz der Gewinnbesteuerung am Ort ihrer Erwirtschaftung konsequent einhalten und umsetzen.
  • Die Mitgliedstaaten sollen bei der Erstellung von Steuervorbescheiden die Auswirkungen auf die Steuerbemessungsgrundlagen anderer Länder beachten.
  • Auch sollen alle diesbezüglichen Entscheidungen der Mitgliedstaaten öffentlich gemacht werden.
  • Die Europäische Kommission soll vor allem einen einheitlichen Rechtsrahmen schaffen, der für Transparenz der Steuerpraktiken sorgt und gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen für die Unternehmen schafft. Gerade mit Blick auf das Einstimmigkeits-Erfordernis im Rat der EU dürfte das allerdings schwer zu realisieren sein.

Fazit

Die Resolution des Parlaments zeigt, dass alle Akteure eine größere Ambition an den Tag legen müssen, als dies bisher geschehen ist.

Dass das EU-Parlament weiter ganz vorne in der Diskussion sein möchte, hat es eindrucksvoll bewiesen. Nicht einmal eine Woche nach der Annahme des Berichts haben sich die Abgeordneten des Parlaments darauf geeinigt, einen neuen Sonderausschuss zu Steuerfragen einzurichten. Daran zeigt sich, dass noch weitere Schritte als notwendig erachtet werden, um eine echte Steuergerechtigkeit und damit die Voraussetzung für einen echten Europäischen Binnenmarkt zu schaffen. Hierzu müssen vor allem die Steuervorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten daher weiter angepasst bzw. koordiniert werden, um die bestehenden Schlupflöcher zu beseitigen. Neben der Transparenz der Entscheidungen von Steuerbehörden sowie dem EU-weiten Austausch muss der Grundsatz der Gleichbehandlung von Unternehmen in einem Mitgliedstaat konsequent umgesetzt werden.

DER MITTELSTANDSVERBUND steht dem EU-Parlament weiterhin als kompetenter Ansprechpartner in dieser Sache zur Verfügung.

Weitere Informationen:

EU-Abgeordneter Michael Theurer im Interview
EU-Abgeordneter Sven Giegold im Interview
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