Barrierefreiheit für Binnenmarkt: Europäisches Parlament macht Ernst

Das Europäische Parlament verabschiedete jüngst seinen Standpunkt zu den Vorschlägen der Europäischen Kommission, den Zugang zu Waren und Dienstleistungen im Binnenmarkt barrierefreier zu gestalten. Dies könnte hinsichtlich der Produkt- und Dienstleistungsgestaltung auch den Handel empfindlich treffen.

Brüssel, 06.10.2017 – Bereits 2015 präsentierte die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine Richtlinie über einen barrierefreien Binnenmarkt. Produkte und Dienstleistungen sollten danach zukünftig auch von Menschen mit Behinderung – etwa eingeschränktes oder kein Seh- oder Hörvermögen oder körperliche Einschränkungen – im vollen Umfang bedient werden können.

Barrierefreiheit für den BinnenmarktHinsichtlich der Barrierefreiheit von Waren sollen demnach Hersteller und In-Verkehr-Bringer bei Produkten im Zusammenhang mit Telekommunikationsdienstleistungen – wie etwa Smartphones oder Rechner – zukünftig stärker Aspekte der Bedienbarkeit durch Menschen mit Behinderungen beachten. Gleiches soll für Telekommunikationsdienstleistungen gelten.

Bereits zu diesem Zeitpunkt wies DER MITTELSTANDSVERBUND auf erhebliche Komplikationen im Zusammenhang mit der Ausgestaltung von Online-Shops hin. Insbesondere sollten die technischen Lösungen möglichst einfach umzusetzen sein. Dies solle insbesondere durch die Erhöhung der Interoperabilität der Online-Angebote mit Drittdienstleistungen für Menschen mit Behinderung erreicht werden. Bereits heute bestehen technische Lösungen, um Online-Angebote für Menschen mit Sehbehinderung lesbar zu machen – so etwa akustische Übersetzung oder Druck in Brailleschrift.

Europäisches Parlament nimmt Standpunkt zu Vorschlägen der Kommission ein

Das Europäische Parlament nahm am 14. September 2017 nunmehr seinen Standpunkt hinsichtlich der Vorschläge der Kommission ein. Neben Klarstellungen hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs – Webseiten und Zahlungsterminals werden nunmehr explizit genannt – sollen Dienstleister auch zur Anpassung ihrer baulichen Anlagen wie beispielsweise Bankgebäuden verpflichtet werden können. Dies jedoch nur, soweit Gebäude neu errichtet werden oder umfangreiche Renovierungen erfolgen.

Erstaunlicherweise verweigerten sich die Europaabgeordneten einer Erweiterung der Aussagekraft des CE-Labels. Dieses soll nicht mehr – wie von der Europäischen Kommission vorgeschlagen – über die Vereinbarkeit von Produkten und Dienstleistungen mit den Barrierefreiheitsanforderungen informieren. Im Zweifel könnte dies eine hohe Belastung für den Handel darstellen: Im Sinne einer stärkeren Einbindung aller Wirtschaftsakteure sollen auch Händler zukünftig vor dem Verkauf von Produkten prüfen müssen, ob diese mit den Barrierefreiheitsanforderungen konform gehen.

Rechtsunsicherheit für den Handel

Es fragt sich, wie der Handel dies darstellen soll, wenn der Anscheinsbeweis der Konformität durch ein angebrachtes CE-Kennzeichen nicht mehr gelten soll.

Mehr noch: Die Richtlinie über Barrierefreiheit nennt zwar einige Anhaltspunkte, an denen sich die Barrierefreiheit von Waren und Dienstleistungen messen lassen müssen, konkrete produktbezogene Vorschriften sollen jedoch erst nach Veröffentlichung des Rechtsakts erlassen werden.

Ein langer Zeitraum von Rechtsunsicherheit könnte die Folge dieses wenig ambitionierten Ansatzes des Europaparlaments sein. Es stellt sich wiederum die Frage, wie der Handel anhand dieses diffusen Systems eine ernsthafte Einschätzung der Konformität von Waren und Dienstleistungen vornehmen soll.

Ein Wehrmutstropfen besteht: Kleinstunternehmen – mit weniger als 10 Mitarbeitern – sollen von den Anforderungen gänzlich befreit werden – keine wirkliche Alternative für das Gros des kooperierenden Einzelhandels. Ausnahmen sollen auch dann bestehen, wenn die Erfüllung der Barrierefreiheitsanforderungen unverhältnismäßig wäre – die Nachweispflicht soll im Zweifel vollumfänglich beim Handel liegen.

Der Rat der EU als mitbestimmender Gesetzgeber ist noch in Verhandlungen. Mangels Einigung hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Richtlinie könnten sich die Verhandlungen noch hinziehen.

DER MITTELSTANDSVERBUND wird sich weiterhin für praktikable Vorschläge einsetzen, die allen betroffenen Parteien einen wirklichen Mehrwehrt in dem ansonsten erstrebenswerten Vorhaben der Europäischen Kommission vermitteln.

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