Der Countdown läuft: Die ambitionierten Ziele der neuen Kommission unter von der Leyen

Kaum ist die neue EU-Kommission unter ihrer Präsidentin, Frau Ursula von der Leyen, im Amt, muss sie sich bereits beeilen: Schon in 100 Tagen sollen die Weichen für ein neues Europa gestellt werden – ein Blick auf dieses und andere Vorhaben.

Brüssel, 04.12.2019: „Meine Botschaft ist einfach. Sie lautet: Lasst uns an die Arbeit gehen“, verkündete Kommissionspräsidentin von der Leyen vor der Wahl ihres Kabinetts vor dem EU-Parlament. Das Europaparlament bestätigte danach die neue Europäische Kommission mit großer Mehrheit. 461 Abgeordnete stimmten für die neue Kommission, 157 dagegen und 89 enthielten sich.

In ihrem neuen Kabinett befinden sich einige alte und sehr viele neue Gesichter. Die Kommission unter von der Leyen soll dabei noch politischer werden, als dies bereits unter dem ausgeschiedenen Kommissions-Präsidenten, Jean-Claude Juncker, der Fall war. Insgesamt acht Vizepräsidenten werden mit eigenen Ressorts und vor allem mit eigenem Arbeitsstellen-Unterbau ausgestattet. Das Top-Management der neuen Kommission fällt daher mit drei Executive-Vize-Präsidenten und fünf „normalen“ Vize-Präsidenten besonders breit aus.

Drei Executive-Vizepräsidenten werden eine doppelte Funktion wahrnehmen. Sie sind als Vizepräsidenten für eines der drei zentralen Themen der Agenda der gewählten Präsidentin zuständig und gleichzeitig Kommissionsmitglieder.

Der exekutive Vizepräsident Frans Timmermans (Niederlande) wird die Arbeiten am europäischen „Grünen Deal“ koordinieren und mit Unterstützung der zuständigen Generaldirektion die Klimapolitik leiten. Die exekutive Vizepräsidentin Margrethe Vestager (Dänemark) wird die gesamte Agenda für ein Europa, das für das digitale Zeitalter gerüstet ist, koordinieren und als Kommissarin mit Unterstützung der zuständigen Generaldirektion für den Wettbewerb zuständig sein. Der exekutive Vizepräsident Valdis Dombrovskis (Lettland) wird die Arbeiten für die Wirtschaft im Dienste der Menschen koordinieren und als Kommissar mit Unterstützung der Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion für Finanzdienstleistungen zuständig sein.

Grün, digital und sozial – so könnte man also die Grundausrichtung von Ursula von der Leyen beschreiben. Viel ist bereits über die Details dieser Strategie spekuliert worden, einiges hat die Kommissionspräsidentin jedoch bereits verlautbaren lassen.

Der Green Deal

Wenig überraschend ist hierbei das Thema Klimapolitik. Dabei macht die neue Kommissionspräsidentin mächtig Druck: Bereits in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit soll ein umfassendes Paket – der europäische Grüne Deal – vorgestellt werden.  Die Zielsetzung dabei ist klar: Klimaneutralität bis 2050.  Zentrales Element zur Erreichung dieses Ziels soll vor allem eine Vereinheitlichung und Ausweitung des bestehenden Emissionshandels-Systems sein. So sollen das Transportwesen und der Bausektor in das System aufgenommen werden. Beides könnte auch Relevanz für Mittelständler entfalten. Nicht erst seit der Knappheit von Logistik-Dienstleistern stellt der Transport einen Kostentreiber dar. Diesel-Fahrverbote und hohe Benzinpreise belasten schon jetzt alle Unternehmen. In Frankreich, aber auch in anderen Ländern, hat bereits die Ankündigung, höhere Abgaben auf Treibstoffe zu erheben, in den letzten zwei Jahren für Unruhe gesorgt. Dabei sehen auch erste Entwürfe des Green Deals ein umfassendes Konzept vor, welches neben neuer Investitionen in alternative Antriebsarten auch auf ein Umdenken bei der Mobilität setzt – von Road to Rail überschreibt dabei die Idee, Infrastrukturen neu zu denken und gerade das Transportwesen mit einzubeziehen.

Gleichsam als zweite Säule dieses Projektes soll eine CO2-Grenzsteuer eingeführt werden, die das bestehende Gefälle zwischen den Mitgliedstaaten ausgleichen soll. Die im Sommer diesen Jahres angelaufene Diskussion um eine CO2-Bepreisung in Deutschland hatte auch DER MITTELSTANDSVERBUND zum Anlass genommen, auf für den Mittelstand wesentliche Punkte hinzuweisen. „Die Einnahmen aus einer CO2-Bepreisung müssen in jedem Fall vollumfänglich an Unternehmen und Verbraucher zurückfließen, ohne Wenn und Aber. Der Mittelstand darf nicht erneut Lastenträger für klimapolitische Versäumnisse sein. DER MITTELSTANDSVERBUND fordert stattdessen ein Belohnungssystem für klimafreundliche Maßnahmen – beispielsweise darf die Umstellung von Graustrom auf Grünstrom sich nicht in höheren Kosten niederschlagen. Es müssen Anreizsysteme für klimafreundliches Verhalten geschaffen werden“, so Dr. Ludwig Veltmann, Hauptgeschäftsführer des MITTELSTANDSVERBUNDES. Die neue Kommissionspräsidentin versprach jedenfalls, für einen Wandel zu sorgen, der auf die unterschiedlichen Ausgangspunkte – gerade der Wirtschaft – Rücksicht nimmt.

Interessant könnte zudem die Ankündigung von der Leyen´s werden, sich des Themas Kreislaufwirtschaft anzunehmen. Nachdem die bereits 2018 verabschiedeten Pakete insbesondere auf Verbote von Kunststoffen von sich Reden machten, soll nun mehr Einheitlichkeit zwischen den Mitgliedstaaten in Sachen Kreislaufwirtschaft geschaffen werden. DER MITTELSTANDSVERBUND kann solch einen Antritt zunächst nur begrüßen. Denn Kreislaufwirtschaft wird auch immer mehr zum Produktrecht: Welche Stoffe darf eine Ware enthalten? Wie nachhaltig muss ein Produkt sein? Welche Informationen muss ein Produkt aufweisen? All dies sind Fragen, mit denen sich Händler immer mehr beschäftigten müssen – sei es, weil sie Waren selbst nach Deutschland importieren oder etwa, weil Produktvorschriften auch immer Verkehrsvorschriften sind. Werden diese nicht erfüllt, besteht ein Verkaufsverbot. Ärgerlich wird es immer dann, wenn ein Händler nicht auf die Konformität eines Produktes vertrauen kann, sondern oftmals auf Extra-Vorschriften "Made in Germany" achten muss. Warenfreiheit sollte daher wieder zu dem werden, was es einmal ausmachen sollte – die freie Verkehrsfähigkeit in ganz Europa.

Rüstung für das Digitale Zeitalter

Magrethe Vestager ist – wie ihr Kollege Frans Timmermanns – Veteranin aus der vorherigen Kommission. Mehr noch: Mit dem Dossier „Europa: Fit für das Digitale Zeitalter“ hat Vestager weiterhin die Kompetenz für den Bereich Wettbewerb und einen großen Teil des Dossiers „Digitales“ erhalten. Sie kann damit im Prinzip dort weitermachen, wo sie unter Juncker aufgehört hat, mit einem wichtigen Unterschied: Sie hat nunmehr weitaus mehr Kompetenz, positivrechtlich ihre Vision eines digitalen Europas zu verwirklichen.

Von der Leyen hat dies bereits in ihrer Rede zur Wahl ihres Kabinetts verdeutlicht: Europa muss Vorreiter sein, wenn es um die Entwicklung künstlicher Intelligenz geht. Sie wolle „einen Rahmen beschreiben, damit Regierungen und Unternehmen Daten teilen und in einem sicheren Pool zur Verfügung stellen können". Daten würden in der EU generiert, aber oftmals von Algorithmen US-amerikanischer Konzerne ausgewertet und anschließend verwertet. Hier schlummerten Potentiale, die mit eigenen Instrumenten und einer eigenen Infrastruktur gehoben werden müssten, so von der Leyen.

„Gerade mittelständische Kooperationen und deren Mitglieder sehen sich durch die ungebremste Entstehung von Daten-Monopolen stark benachteiligt. Um mit den großen Online-Plattformen wie etwa Amazon Schritt halten zu können, die über ihre riesigen Mengen gesammelter Nutzerdaten eine Marktdominanz erlangt haben, benötigen die mittelständischen Kooperationen dringend Unterstützung und Rückendeckung durch die Politik. Wir erwarten von der neuen EU-Kommissionspräsidentin nach ihren Ankündigungen zur Daten-Strategie auch eine zügige Konkretisierung und Umsetzung. Insbesondere sollte die Ausgestaltung Hand in Hand mit der von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier angekündigten EU-Cloud Gaia-X gehen. Ein Flickenteppich an Einzelvorhaben muss vermieden werden. Nun gilt es, die Ärmel hochzukrempeln und den vor fünf Jahren ausgerufenen digitalen Binnenmarkt auszugestalten“, appelliert Dr. Ludwig Veltmann.

Ein lapidarer Absatz in den politischen Leitlinien von der Leyens könnte es zudem in sich haben: „Mit einem neuen Gesetz über digitale Dienste müssen bessere Haftungs- und Sicherheitsvorschriften für digitale Plattformen, Dienste und Produkte geschaffen und der digitale Binnenmarkt vollendet werden“. Dahinter verbirgt sich ein bereits jetzt in Brüssel äußerst kontrovers diskutierter Ansatz, Plattformen künftig stärker in die Haftung zu nehmen, wenn es um die Verbreitung von Hassreden, Terrorismus oder sonstigen Straftaten geht. Eigentlich auf Social Media angelegt, könnte dieses Vorhaben schnell auch Sprengkraft für Kooperations-Plattformen entwickeln, abhängig davon wie der Rechtsakt schließlich ausgestaltet sein wird.

Ein soziales Europa

Als letztes der drei Hauptthemen hat von der Leyen die Wirtschaft „im Dienste der Menschen“ identifiziert. Erstes Versprechen dabei: Ein Rechtsinstrument, welches jeden EU-Bürger einen gerechten Mindestlohn garantiert. Wie dies ausgestaltet, überwacht und durchgesetzt werden soll, ist momentan noch offen. Wie vor allem die Osteuropäischen Staaten mit ihren äußerst niedrigen Lohnkosten auf diesen Vorstoß reagieren werden, ist noch viel interessanter.

Auch das Thema "New Work in der Plattform-Ökonomie" steht auf dem Arbeitsplan der neuen Kommissare. Hierbei will sich von der Leyen vor allem auf den Aufbau von Kompetenzen und Weiterbildung konzentrieren.

Weiterhin kündigt die Kommissionspräsidentin an, eine europäische Arbeitslosenversicherung einführen zu wollen – Details folgen. Hierbei wird es insbesondere darauf ankommen, wer was in welches System einzahlen muss und wie der Verwaltungsaufwand von Unternehmen dabei möglichst geringgehalten werden kann.

Fazit

Von der Leyen hat sich viel vorgenommen – zum einem sollen in vielen Bereichen möglichst bald Ergebnisse vorgezeigt werden. Zum anderen sollen aber die Interessen möglichst aller dabei Berücksichtigung finden. Wie wird sich dies verbinden lassen? „Ich verstehe den Druck, gerade im Bereich Klima endlich mehr Mut beweisen zu wollen. Ob ein Schnellschuss tatsächlich zu den gewünschten Ergebnissen führen wird, bleibt dabei abzuwarten", so von der Leyen. Ob es tatsächlich ein Schnellschuss sein wird, ist – mit Blick auf die doch schnelle Einigung der Regierungschefs auf Frau von der Leyen – zumindest fraglich. Unabhängig davon bleibt durchaus zu hoffen, dass die gesetzten Ziele zum Erfolg führen werden. "Viele Veränderungen stehen bevor, in deren Umsetzung Europa und seine Unternehmen eine aktive Rollte einnehmen müssen", so von der Leyen.  

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