Erst der Datenschutz, dann die Bekehrung: EuGH zur Datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit der Zeugen Jehovas

In einer seiner jüngsten Entscheidungen hatte sich der europäische Gerichtshof mit der Frage zu befassen, in wieweit die Zeugen Jehovas unter das Datenschutzrecht fallen, wenn sie von Tür zu Tür ziehen und sich dabei Notizen über die Besuchten machen. Da das Thema „Notizen und Datenschutz“ auch für Betriebe hohe Relevanz hat, wurde das Urteil nicht nur in Fachkreisen mit Spannung erwartet.

Brüssel, 11.07.2018 – Wer kennt es nicht: Man sitzt entspannt zu Hause, kann sich endlich einmal seinen Freizeitaktivitäten widmen, dann klingelt es und schon ist man in einer nicht enden wollenden Rechtfertigungssituation: Die Zeugen Jehovas stehen vor der Tür.

Dies ist in vielen EU-Mitgliedstaaten nicht anders, als in Deutschland. So auch in Finnland, wo sich der dortige VerwaltungsgerichtsIn einer seiner jüngsten Entscheidungen hatte sich der europäische Gerichtshof mit der Frage zu befassen, in wieweit die Zeugen Jehovas unter das Datenschutzrecht fallen, wenn sie von Tür zu Tür ziehen und sich dabei Notizen über die Besuchten machen. hof mit der Rechtmäßigkeit zumindest von Teilen des Vorgehens der Zeugen Jehovas widmen musste. Denn, abgesehen von den ständigen Überzeugungsversuchen, erstellen die Zeugen Jehovas detailreiche Notizen über Name und Anschrift der Angetroffenen, deren religiösen Überzeugung sowie anderen Merkmalen. Die individuellen Zeugen Jehovas teilen mit ihrer Gemeinde dabei lediglich die Information, wer zukünftig nicht mehr in dieser Sache belangt werden möchte.

Die Gemeinde erstellt zudem Gebietskarten, die sie einzelnen Mitgliedern zuteilt. Die zuständige finnische Datenschutzbehörde sah in dieser Erstellung von Profilen eine unzulässige Datenverarbeitung und wollte das Vorgehen der Zeugen Jehovas verbieten. Der damit schlussendlich befasste Verwaltungsgerichtshof legte dem Europäischen Gerichtshof unter anderem die Fragen vor, ob das Vorgehen der Zeugen Jehovas überhaupt datenschutzrechtliche Relevanz habe.

Der EuGH stellte in seiner Vorabentscheidung nunmehr fest, dass sich die einzelnen Mitglieder nicht auf das sogenannte Haushaltsprivileg im Datenschutzrecht berufen könnten (nach der Datenverarbeitungen im familiären Bereich keine Relevanz für das Datenschutzrecht haben); denn ein Teil der von ihnen angefertigten Notizen werden mit der Religionsgemeinschaft geteilt. Eine andere Beurteilung ergibt sich nach Ansicht der EuGH-Richter auch nicht aus der Tatsache, dass die Zeugen Jehovas ein Grundrecht auf freie Religionsausübung haben.

Sicherlich interessanter war die Vorlagefrage, inwieweit auch handschriftliche Notizen datenschutzrechtlich relevant sind. Der EuGH entschied, dass die Union rechtlichen Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten dann auf die manuelle Verarbeitung von Daten anwendbar sind, wenn diese Daten in einer Datei gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Der EuGH betonte sodann, dass der Begriff „Datei“ auch jede Sammlung personenbezogener Daten umfasst, die im Rahmen einer Verkündungstätigkeit einzelner Zeugen Jehovas gesammelt wurden. Die Daten (also die Notizen) müssten insofern jedoch nach bestimmten Kriterien so strukturiert sein, dass sie in der Praxis zur späteren Verwendung gleich wieder auffindbar sind. Dies sei beispielsweise bei speziellen Karteisystemen oder Verzeichnissen, die eine Recherche erleichtern, der Fall.

Was heißt das für Betriebe? Zunächst darf kein Unternehmer dem Irrtum unterliegen, dass nur, weil er ausschließlich auf Papier arbeitet, nicht den datenschutzrechtlichen Regeln unterliegt. Erheblich ist vielmehr, ob eine gewisse Sortierung zur späteren Auffindbarkeit der Notizen oder Handzettel eingerichtet wurde. So könnte eine Sortierung nach Eingangsdatum, Buchstaben oder ähnlichen nach den vom EuGH nunmehr aufgestellten Grundsätzen also eine erhebliche Datenverarbeitung darstellen. Wo genau die Grenze zu ziehen ist – ob man also seine Schublade, in die man die Notizen legt, nunmehr auch jedes Mal kräftig durchmischen muss – ließ der EuGH hingegen offen.

Wichtig ist weiterhin zu erkennen, dass, wenn eine datenschutzrechtlich-relevante Verarbeitung vorliegt, in jedem Fall die Regeln der Datenschutzgrundverordnung eingehalten werden müssen. Will heißen: Umfassende Information über etwa Zweck, Grundlage, Speicherdauer sowie die Rechte des Betroffenen müssen dann zwingend bei Erhebung der Daten (im Zweifel im Kundengespräch) mitgeteilt werden.

Es bleibt nunmehr Sache des finnischen Verwaltungsgerichtshof, zu entscheiden, inwieweit die Zeugen Jehovas – neben ihrer normalen Tätigkeit – nunmehr auch umfassend bei einem Hausbesuch auf die datenschutzrechtlich-relevanten Punkte hinweisen müssen und darüber hinaus noch eine Einwilligung zur Speicherung (im Notizbuch) der Besucher einholen müssen. Was unter Umständen – aufgrund des hohen Verwaltungsaufwands – in der Freizeit zu einer qualitätsvolleren Verbringung derselben führen kann, bedeutet jedoch für Betriebe eine zukünftige genaue Prüfung, wann eine Datenverarbeitung im Unternehmen anfängt und welche Konsequenzen sich daraus für den Betriebsablauf ergeben können.

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