Europa auf dem Weg zum Mindestlohn: Politische Einigung

Rat und Europäisches Parlament haben sich auf die Grundpfeiler einer europäischen Lohnpolitik geeinigt. In Deutschland wird dieser neue Ansatz hingegen nur in Teilen spürbar sein.

Brüssel, 08.06.2022 – Nach über zwei Jahren Verhandlungen konnten sich die europäischen Gesetzgeber am 07. Juni 2022 über die Details zum Richtlinienvorschlag über angemessene Mindestlöhne in Europa einigen. Nach den Vorstellungen der EU-Kommission sollte ein Mindestlohn sichergestellt werden, mit dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihren Lebensunterhalt tatsächlich bestreiten können. Mitgliedstaaten soll es dabei freistehen, den Mindestlohnschutz durch einen gesetzlichen Mindestlohn oder in Form von tarifvertraglich festgelegten Löhnen zu gewährleisten. Dieser Ansatz war der Tatsache geschuldet, dass die Europäische Union in Sachen Lohngefüge nur äußerst eingeschränkte Kompetenzen hat. Bereits mit Beginn der politischen Verhandlungen war damit klar, dass die Mitgliedstaaten weiterhin ihre Hoheit über das Lohngefälle behalten würden.

Dennoch: Mit der gestrigen Einigung wurden zwei essentielle Grundpfeiler der zukünftigen europäischen Lohnpolitik gesetzt – einen verpflichtenden Mechanismus zur Berechnung und ggf. zur Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns sowie die systematische Stärkung von Tarifverhandlungen.

Wie von der Europäischen Kommission ursprünglich vorgeschlagen, soll es den Mitgliedstaaten weiterhin offenstehen, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, oder nicht. Sollte ein Mitgliedstaat hingegen über einen solchen gesetzlichen Mindestlohn verfügen, so muss zukünftig ein Mechanismus zu dessen Berechnung festgelegt werden. Die Mitgliedstaaten können dabei auch entscheiden, die Berechnung des Mindestlohns an eine Indexierung zu binden und so den Mindestlohn automatisch anzuheben. In jedem Fall muss der Mindestlohn zukünftig alle zwei Jahre angepasst werden.

Für Deutschland gilt folgendes: Ab dem 01. Oktober 2022 tritt das Mindestlohnerhöhungsgesetz in Kraft. Der deutsche gesetzliche Mindestlohn wird dann 12 Euro betragen – ein Spitzenwert im europäischen Vergleich. Für die kommenden Jahre wird dann die Mindestlohnkommission über etwaige weitere Erhöhungsschritte entscheiden. Nach einer ersten rechtlichen Einschätzung dürfte das von der Bundesregierung gewählte System der Mindestlohn-Anpassung auch nach der neuen Richtlinie weiter Bestand haben.

Nach dem Willen der europäischen Gesetzgeber soll zudem das System der Tarifverhandlungen weiter gestärkt werden. Die politische Einigung zwischen Rat und Europäischen Parlament sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Tarifverhandlungen in ihrem Land fördern sollen. Liegt die Quote für Tarifverhandlungen in einem Mitgliedstaat dabei unter 80 Prozent, müssen die Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission in einem Aktionsplan darlegen, wie diese Quote angehoben werden soll. 2019 waren laut DESTATIS die Beschäftigungsverhältnisse von rund 44 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch einen Tarifvertrag geregelt. Auch Deutschland muss sich demnach in Zukunft anstrengen, das nunmehr vorgegebene „Klassenziel“ zu erreichen.

Die politische Einigung muss nun noch von den beiden europäischen Häusern formal angenommen werden und tritt danach in Kraft.

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