Europäisches Lieferkettengesetz: Vorprogrammierung einer Überforderung der Wirtschaft

Nach einer langen Phase der politischen Entscheidungsfindung hat die Europäische Kommission nunmehr ihren Entwurf eines europäischen Lieferkettengesetzes vorgestellt. Auch wenn der Vorschlag hinter den Befürchtungen mittelständischer Kooperationen zurückbleibt, bleiben Anwendungs- und Auslegungsfragen ungeklärt. Im Ergebnis droht vor allem dem Mittelstand eine massive Überforderung mit den aufgestellten Pflichten.

Brüssel, 28.02.2022 – Mitten in der der Pandemie legte das Europäische Parlament den Grundstein für ein umfassendes EU-Lieferkettengesetz: In einem Initiativbericht konstatierten die Europaabgeordneten ein Versagen der europäischen Wirtschaft hinsichtlich der Einhaltung von Menschenrechten und arbeitsrechtlichen Standards in den Lieferketten. Zur Behebung dieses Missstands müssten klare Verhaltensregeln und Sorgfaltspflichten zwingend für alle Unternehmen gelten. Ein offener Katalog zu beachtender Menschen- und Umweltrechte wurde ebenso gefordert wie eine Haftung der verantwortlichen Geschäftsführer. Auch die EU-Kommission sah den bisherigen Rahmen aus Freiwilligen Verpflichtungen und Standards entlang der Lieferkette als unzureichend an und arbeitete an einem entsprechenden Gesetzgebungsvorschlag.

Ganze zwei Mal fiel dieser in dem regulatorischen Kontrollrat der EU-Kommission durch. Grund hierfür waren insbesondere Bedenken hinsichtlich der Einflussmöglichkeit kleiner und mittlerer Betrieb auf die Bedingungen in der Produktion.

Diese Einschätzung hat nunmehr Eingang in den am 23. Februar veröffentlichten Richtlinienentwurf gefunden.

Betroffenheit

Von den neuen Sorgfaltspflichten sollen vorerst nur größere Unternehmen ab einer Mitarbeiterzahl von 500 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von mehr als 150 Mio. Euro betroffen sein. Zudem werden auch kleinere Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern sowie einem Jahresumsatz von mehr als 40 Mio. Euro erfasst, soweit sie in besonders kritischen Sektoren tätig sind. Die kritischen Sektoren sind: Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion, Rohstoffgewinnung sowie Herstelleng von Bekleidung und Lederwaren.

Kleine und mittlere Unternehmen sind damit zunächst von den Sorgfaltspflichten ausgeschlossen. Wie die Erfahrungen in der Umsetzung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes jedoch zeigen, ist keine Entwarnung für den Mittelstand angezeigt: Bereits aktuell treffen Mittelständler auf Nachfragen größerer Betroffener Geschäftspartner im Rahmen der Beschaffung von Produkten. Mit dem im Vergleich zum deutschen Gesetz herabgesetzten Mindestarbeitnehmerzahl (aktuell sind ausschließlich Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten von den deutschen Pflichten betroffen), dürften sich diese Anfragen in Zukunft deutlich erhöhen.

Zudem werden nunmehr auch explizit Finanzinstitute in den Anwendungsbereich der Richtlinie aufgenommen. Noch sind die konkreten Pflichten im Bereich Finanzen nicht umfassend analysiert, doch es droht: Wer als Mittelständler zukünftig einen Kredit erhalten möchte, unterliegt im Extremfall denselben Pflichten wie multinationale Unternehmen.

Unklar ist weiterhin, wie weit die Sorgfaltspflichten in der Lieferkette gehen. Der Richtlinienentwurf spricht zwar von direkten und indirekten Geschäftsbeziehungen, wie gerade die indirekten Geschäftsbeziehungen als erheblich einzustufen sind, wird bislang nicht aufgeklärt. Der Entwurf spricht in diesem Zusammenhang von Geschäftsbeziehungen, die aufgrund ihrer Intensität oder Dauer dauerhaft sind oder voraussichtlich dauerhaft sein werden und die nicht nur einen unbedeutenden oder untergeordneten Teil der Wertschöpfungskette darstellen – Konkretisierung auch hierbei leider bislang Fehlanzeige.

Die Pflichten als solche

Ebenso wie sein deutsches Pendant fordert der Richtlinienentwurf eine Reihe von Sorgfaltspflichten. Dies bezogen auf internationalen Menschenrechts-, Grundfreiheits- und Umweltschutzabkommen.

  • Für diese Bereiche sollen die betroffenen Unternehmen zukünftig einen Sorgfaltspflichtenprozess etablieren und für dessen Einhaltung Sorge tragen.
  • Zielsetzung ist die Dokumentation bestehender oder potentieller negativer Einflüsse auf Menschenrechte und der Umwelt entlang der Wertschöpfungskette sowie die Beseitigung dieser.
  • Der Sorgfaltspflichtenprozess schlägt sich zunächst in der Pflicht zur Erstellung eines Code of Conduct nieder.
  • Weiterhin müssen interne Verfahren etabliert werden, um diese negativen Einflüsse zu beseitigen.
  • Als Mittel können Geschäftspartner entsprechende Verträge zur Einhaltung der Menschen- und Umweltrechte schließen.
  • Als ultima ration werden jedoch auch die temporäre oder vollständige Einstellung der entsprechenden Geschäftsbeziehungen genannt.
  • Die Prozesse und Maßnahmen sollen jährlich in einem entsprechenden Bericht veröffentlicht werden. Ausgenommen von der Berichtspflicht sind solche Unternehmen, die bereits ihre nicht-finanziellen Aktivitäten im jährlichen Lagebericht darstellen müssen.
  • Zudem müssen die betroffenen Unternehmen einen Beschwerdemechanismus einrichten. Dieser soll für Eingaben von Mitarbeitern, Gewerkschaften aber auch anderen Nicht-Regierungs-Organisationen offenstehen.

Klimawandel

Auch die Zielsetzungen des Pariser Klimaabkommens haben Eingang in den Richtlinienentwurf gefunden; So sollen große Unternehmen einen Aktionsplan aufstellen müssen, der sicherstellt, dass das Geschäftsmodell und die Strategie des Unternehmens mit den Zielen eines Übergangs zu einer nachhaltigen Wirtschaft und mit der Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius vereinbar sind.

Hiermit geht das Europäische Vorhaben mithin über das Deutsche Lieferkettengesetz hinaus (welches sich ausschließlich mit Menschenrechts-bezogenen Aspekten beschäftigt und entsprechende Sorgfaltspflichten auferlegt).

Sanktionen

Der Kommissions-Vorschlag sieht zudem ein massives Sanktionen-System vor; Neben Umsatz-orientierten Geldbußen sollen Mitgliedstaaten auch eine Eskalation in Richtung Ausschluss von öffentlichen Fördermaßnahmen einrichten.

Haftung / Verpflichtung Unternehmensleiter:

Das neue Europäische Lieferkettengesetz sieht zudem eine Haftung der Unternehmen vor. Werden Sorgfaltspflichten verletzt und entstehen Personen aus dieser Pflichtverletzung Schäden, sollen Unternehmen hierfür in Haftung genommen werden können.

Anders, als ursprünglich von der EU-Kommission vorgesehen, sollen Geschäftsführer nicht direkt für Pflichtverletzungen haften. Vielmehr sieht der Vorschlag nunmehr neue Verhaltenspflichten dieses Kreises vor: Geschäftsführer sollen Menschenrechte sowie Klima- und Umweltauswirkungen in ihrer Tätigkeit berücksichtigen.

Unterstützung für den Mittelstand?

Der Kommission-Vorschlag sieht weiterhin vor, dass Mitgliedstaaten ein Informationsangebot für die betroffenen Unternehmen aufstellen müssen. Hierbei soll insbesondere der Fokus auf Mittelständler gelegt werden.

Die Kommission sieht in ihrem Vorschlag ausdrücklich mögliche finanzielle Unterstützung von Mittelständlern vor.

Fazit

Der Vorschlag der Europäischen Kommission geht in seinem Anwendungsbereich und der Tiefe der Sorgfaltspflichten weit über die aktuelle deutsche Rechtslage hinaus. Auch Deutschland wird deshalb sein bestehendes Lieferkettengesetz anpassen müssen.

Die Tatsache, dass nunmehr auch Unternehmen ab 500 Mitarbeitern von den Sorgfaltspflichten betroffen sein sollen, wird die Auswirkungen auf den kooperierenden Mittestand verstärken: Auch wenn kleine und mittlere Unternehmen nicht direkt von den Sorgfaltspflichten betroffen sein werden, sehen sich diese bereits heute den Anfragen größerer betroffener Unternehmen ausgesetzt. Die Sorgfaltspflichten werden so in der Wertschöpfungskette „nach unten“ weitergegeben.

Im Ergebnis müssen sich viele Mittelständler auf eine verschärfte Prüfpflicht ihrer Lieferkette einstellen müssen. Dies auch mit Blick auf umweltrechtliche Aspekte.

DER MITTELSTANDSVERBUND wird daher seine bestehende Informations- und Austauschkampagne fortsetzen, um die Zentrale in die Lage zu versetzen, dieses komplexe Thema im Sinne ihrer Mitglieder zu erschließen.

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