Europäisches Parlament zur Zukunft der Plattform-Ökonomie: Fortschritt oder Fallstrick?

Die Europaabgeordneten haben sich jüngst auf die Linien der zukünftigen Plattform-Regulierung geeinigt. Ob neue Pflichten zum Content-Management, eine stärkere Verantwortung der Plattform-Betreiber hinsichtlich der Aktivitäten der Plattform-Nutzer oder eine verschärfte Aufsicht essentieller Plattformen: Die Abgeordneten setzen auf einen umfassenden Rechtsrahmen. Ob dies auch der mittelständischen Wirtschaft zugutekommen wird, bleibt abzuwarten.

Brüssel, 22.10.2020 - Digital Services Act: Bei diesen Worten bekommen Europapolitiker und Interessenvertreter dieser Tage gleichsam leuchtende Augen. Kommissionspräsidentin von der Leyen stellte bereits Anfang des Jahres einen neuen Rechtsrahmen für die Plattform-Ökonomie in Aussicht. „Mit einem neuen Gesetz über digitale Dienste müssen bessere Haftungs- und Sicherheitsvorschriften für digitale Plattformen, Dienste und Produkte geschaffen und der digitale Binnenmarkt vollendet werden.“, kündigte die Kommissionspräsidentin in ihren politischen Leitlinien an.

Die Europaabgeordneten haben sich jüngst auf die Linien der zukünftigen Plattform-Regulierung geeinigt. Seitdem spekuliert ganz Brüssel über die Ausgestaltung dieses neuen Rechtsakts. Erste Eckpunkte veröffentlichte die Kommission bereits im September: So sollen große, essentielle Plattformen einer neuen Aufsicht der Europäischen Kommission unterliegen, um mehr Wettbewerb in der Online-Welt zu gewährleisten. Plattform-Betreiber sollten zudem darüber wachen, wer auf ihrer Plattform tätig ist, um Produktfälschungen und Verbraucher-Benachteiligungen Einhalt zu gebieten. Auch Exekutiv-Vizepräsidentin Vestager bestätigte diese Woche gegenüber dem Europäischen Parlament, dass die Kommission großen Plattformen mit dem Digital Services Act klare Vorgaben hinsichtlich verbotener und erlaubter Praktiken vorgeben wird. Gleichzeitig bestätigte Vestager den Plan der Kommission, eine neue Art der Plattform-Aufsicht zu etablieren.

Die nunmehr verabschiedeten Berichte des EU-Parlaments sind nicht rechtsverbindlich. Vielmehr sollen sie die Schwerpunkte zusammenfassen, die das Europäische Parlament im kommenden Gesetzgebungsverfahren setzen wird.

Schärfere Haftung für Plattform-Betreiber

Die Europaabgeordneten fordern ein klares Haftungsregime der Plattform-Betreiber. Die schärfere Haftung soll sich insbesondere auf unsichere Produkte beziehen. Die Abgeordneten schlagen vor, dass Plattform-Betreiber sicherstellen, dass als unsicher eingestufte Produkte zügig und maximal innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Erhalt der (Unsicherheits-) Benachrichtigung vom Markt genommen werden. Plattform-Betreiber sollen den Verbraucher darüber hinaus informieren, sobald ein Produkt, das sie dort gekauft haben, nach den entsprechenden Produktsicherheitsvorschriften von der Plattform entfernt wurde. Das Parlament schlägt darüber hinaus neue Haftungsregeln für Schäden vor, die Verbrauchern aufgrund von auf der Plattform vertriebenen Produkten entstanden sind.

Ex ante Mechanismus für systemrelevante Plattform-Betreiber

Speziell für systemrelevante Plattform-Betreiber soll – in Übereinstimmung mit den Ansätzen der Europäischen Kommission – ein neuer ex ante Überwachungsmechanismus eingeführt werden. Ein klarer Katalog soll dabei die Rechte und Pflichten der Plattform-Betreiber definieren.

Das Europäische Parlament schlägt bereits einige Punkte vor:

  • So sollen Plattform-Betreiber verpflichtet werden, den Verbrauchern einen Wechsel der Plattformen zu erleichtern.
  • Plattformen soll es untersagt bzw. erschwert werden, ihre eigenen Waren- und Dienstleistungsangebote zu bevorzugen.
  • Weiterhin soll eine maximale Transparenz bzgl. der Ranking-Systeme und der dahinterstehenden Algorithmen zwingend vorgeschrieben werden.

Die Abgeordneten drängen die Kommission zudem zu einer klaren Definition des Begriffs „systemrelevanter Plattformen“. Die neuen ex ante Vorschriften sollen nämlich nur in den Fällen greifen, in denen Plattformen eine Art Torwächter für andere Dienstleister darstellen. Eine allzu scharfe Einschränkung der Plattform-Wirtschaft soll gerade für Mittelständler vermieden werden.

Sonstige Regeln für Soziale Netzwerke

Auch soziale Netzwerke sollen zukünftig stärker reguliert werden: Die Abgeordneten schlagen klare Haftungsregeln für Fake-News und illegale Inhalte vor. Zudem sollen die Möglichkeiten, personalisierte Werbung in sozialen Netzwerken schalten zu können, eingeschränkt werden. Im Zweifel sollen die Nutzer einwilligen müssen, ob sie Adressat personalisierter Werbung sein wollen und in welchem Umfang hierfür vom Host Daten gesammelt und ausgewertet werden.

Fazit

Erwartungsgemäß stellte das Europaparlament einen Blumenstrauß an neuen Regulierungsansätzen vor – von Verbraucherrechten über Produktsicherheit bis hin zur Content-Regulierung in sozialen Netzwerken wurde der Digital Services Act mit allen Themen aufgeladen, die nur ansatzweise in diesen Rahmen passen.

„Es bleibt fraglich, ob damit der Online-Wirtschaft tatsächlich ein Gefallen getan wird.“, gibt Tim Geier, Geschäftsführer Büro Brüssel, DER MITTELSTANDSVERBUND, zu bedenken. „Sicherlich notwendig sind neue Regeln im Bereich der Daten-Wirtschaft. Zugangsrechte für Daten könnten gerade Mittelständlern helfen, auf Augenhöhe mit den großen Plattformen zu agieren.“ Die darüber hinaus gewählten Regelungsansätze hält der Digitalexperte hingegen für tendenziell kontraproduktiv: „Wir erleben in der Verbundgruppenwelt derzeit den Aufbruch in eine neue Art der Kooperation. Dienstleister, regionale Fördergemeinschaften sowie Dienstleister und Händler im lokalen Kontext erarbeiten derzeit gemeinsam neue Konzepte, um den Kunden zu begeistern. Dies ist wichtig und notwendig, um den Corona-bedingten Frequenzrückgang auszugleichen. Nunmehr mit neuen Regeln vorzupreschen, scheint verfrüht und für Mittelständler irgendwann auch nicht mehr zu bewältigen.“, so Geier weiter.

In diesem Sinne setzt sich DER MITTELSTANDSVERBUND für einen ausgeglichenen Regulierungsansatz ein, welcher insbesondere die neuen mittelständischen Geschäftsmodelle unterstützt, anstatt diese zu erschweren.

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