Noch kein Abschied! Junckers Rede zur Lage der Union

In den Zeiten zunehmender nationalistischer Tendenzen in Europa setzte Juncker mit seiner Rede zur Lage der Union ein klares Zeichen, dass es Europa nur gemeinsam geben kann und muss. Neben einer umfangreichen Bilanz des Erreichten steht für ihn jedoch klar fest: Wir haben noch zu tun.

Brüssel, 13.09.2018 – Jedes Jahr im September ist es wieder soweit: Kommissionspräsident Jean-Claude-Juncker steht im Europäischen Parlament – und damit auch der Öffentlichkeit – in seiner Rede zur Lage der Union Rede und Antwort über das Schaffen der Europäischen Kommission und die noch zu erreichenden Ziele für die Zukunft. Denn – so bekräftigt Juncker bereits am Anfang seiner Rede – auch wenn im Mai nächsten Jahres alle Zeichen auf EU-Wahlkampf stehen, wird die jetzige Kommission bis zum Ende ihrer Legislatur weiterarbeiten.

Viel sei bereits erreicht worden: Nachdem die Wogen aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise wieder geglättet waren, steht Europa heute gut dar: Ein stetiges Wachstum seit 21 Quartalen sei zu verzeichnen. Zudem habe man eine historische Beschäftigungsquote erreicht. Nacharbeit sei jedoch vor allem mit Blick auf die hohe Jungendarbeitslosigkeit zu legen.

In den Zeiten zunehmender nationalistischer Tendenzen in Europe setzte Juncker mit seiner Rede zur Lage der Nation ein klares Zeichen, dass Europa nur gemeinsam geben kann und muss. Neben einer umfangreichen Bilanz des Erreichten steht für ihn jedoch klar fest: Wir haben noch zu tun. Nationalistischen Tendenzen auch innerhalb von Europa erklärt Juncker eine klare Absage: Patriotismus ist eine Tugend, bornierter Nationalismus ist eine perfide Lüge und ein heimtückisches Gift. So Juncker. Dennoch müssten bestehende Differenzen gerade zwischen Ost- und Westeuropa überwunden werden.

Zudem könnte die Unterdrückung der Pressefreiheit sowie der Rechtsstaatlichkeit in keinem Fall durch die EU geduldet werden. Juncker spielt damit auf das am gleichen Tag initiierte Artikel 7-Strafverfahren gegen Ungarn an. Nach Artikel 7 EU-Vertrag ist eine Suspendierung der EU-Mitgliedschaft eines Staats möglich, wenn ein Mitgliedstaat in schwerwiegender Weise die Grundwerte der Europäischen Union verletzt, etwa die Achtung der Menschenwürde, die Freiheit, die Demokratie, die Gleichheit, die Rechtsstaatlichkeit sowie die Achtung der Menschenrechte. Das Verfahren kann im schlimmsten Fall zum Entzug der Stimmrechte im Ministerrat führen. Dazu bedürfte es jedoch der einstimmigen Entscheidung der anderen Mitgliedstaaten.

Mit Blick auf die wachsende Skepsis hinsichtlich des Welthandels bestätigt Juncker seine Unterstützung für den Multilaterismus. Dabei müsste eine Umorientierung stattfinden, da alte Partner wie die Vereinigten Staaten von Amerika nicht mehr die Belastbarkeit böten, wie es vormals einmal der Fall war. Konkret schlägt Juncker eine Vertiefung der Handelsbeziehungen mit Afrika vor – ein konkretes Handelsabkommen mit dem Nachbarkontinent könnte damit bald Realität werden. Richtig konstatiert Juncker: Afrika braucht keine Almosen. Afrika braucht eine ausgewogene Partnerschaft, eine echte Partnerschaft (ebenso, wie die EU), so Juncker.

Auch die Causa Großbritannien findet ihren Platz in der Rede. Den Engländern solle klar sein, dass ein Austritt aus der EU keinesfalls zu einer Rosinenpickerei hinsichtlich des einen oder anderen Vorteils des europäischen Binnenmarkts bedeuten könne. Großbritannien bleibe zwar weiterhin besonderer Partner – draußen bedeutet jedoch draußen.

Juncker zielt weiterhin auf die Vollendung des Binnenmarkts ab. Dieser solle vor allem durch die Verabschiedung der noch zu verhandelnden Dossiers vor Ende der Legislatur des jetzigen EU-Parlaments erfolgen. Ein zentrales Anliegen ist ihm dabei die Verabschiedung der EU-Plastikstrategie – eines Themas, welches sich auch DER MITTELSTANDSVERBUND auf die Agenda geschrieben hat und jüngst in dem neu gegründeten Initiativkreis Plastik diskutierte.

Interessant – vor allem für die EU-Mitgliedstaaten – dürfte der vorgeschlagene Ansatz sein, die Mehrheitsverhältnisse im Rat der EU zu ändern. So solle vor allem im Bereich der Besteuerung von dem jetzigen Einstimmigkeits-Erfordernis Abstand genommen werden. Ein Ansatz, der vielen Mitgliedstaaten so nicht schmecken dürfte, jedoch ein schnelleres Vorgehen im Bereich der Digitalsteuer ermöglichen würde.

Insgesamt steht also fest: Von Abschiedsrede keine Spur. Juncker zeigt deutlich, dass noch einiges zu tun ist, bis sich die Kommission unter ihm Ende 2019 verabschiedet. Mit dem eingeleiteten Strafverfahren gegen Ungarn zeigt Juncker zudem, dass Europa auch eine Wertegemeinschaft ist, die sich gegen nationalistische Tendenzen zu wehren weiß. Wer Europa liebt, muss auch die Länder lieben, aus denen es sich zusammensetzt. So der immer noch amtierende Kommissions-Präsident.

Seite drucken

Ansprechpartner

Tim GeierDER MITTELSTANDSVERBUND
Tim Geier Geschäftsführer Büro Brüssel Mehr Infos
DER MITTELSTANDSVERBUND
E-Mail schreiben
Zurück zur Übersicht