TTIP: Bedrohung oder Chance für den Mittelstand?

Auch die siebte Verhandlungsrunde über das transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA blieb am 3. Oktober ohne Ergebnis. Gleichzeitig reißt die Debatte über TTIP nicht ab. Doch wie reell sind die Bedrohungen für den Mittelstand wirklich? Ein Überblick.

Brüssel, 08.01.2015 — "Das TTIP ist nicht nur unter dem Gesichtspunkt von Beschäftigung und Wachstum auf beiden Seiten des Atlantik wichtig, sondern auch, weil es uns die Möglichkeit gibt, globale Standards zu setzen und unsere starke transatlantische Partnerschaft zu festigen." Das ist jedenfalls die Auffassung der neuen Handelskommissarin, Cecilia Malström. Doch welche Standards sollen gesetzt werden und wie?

Verhandlungsmandat

Um diese Frage zu klären, hilft zunächst eine Lektüre des Verhandlungsmandats der EU-Kommission zu TTIP. Dort wird von einer ehrgeizigen, beiderseitigen Liberalisierung des Handels und Dienstleistungen gesprochen. Diese soll über das hinausgehen, worauf sich die Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) bereits multilateral geeinigt haben.

Doch welche Regeln bestehen bereits innerhalb der WTO? Ziel der WTO ist laut ihrer Präambel die Errichtung und Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen und dauerhaften multilateralen Handelssystems. Dabei sollen Zölle und andere Handelsschranken abgebaut und Diskriminierungen in den internationalen Handelsbeziehungen beseitigt werden.

WTO-Regeln

Bezogen auf den Warenverkehr haben sich die WTO-Mitgliedstaaten bereits 1994 auf das Übereinkommen zum Abbau technischer Handelsbarrieren (TBT-Abkommen) geeinigt. Alle 160 Mitglieder der WTO - darunter auch alle Mitgliedstaaten der EU – haben sich dabei verpflichtet, den internationalen Warenverkehr zu vereinfachen.

  • Waren aus Drittstaaten sollen daher gegenüber inländischen Gütern gleich behandelt werden.
  • Die Mitgliedstaaten haben sich zudem verpflichtet, Regeln abzubauen bzw. keine neuen Regeln zu erlassen, die den internationalen Warenverkehr beschränken.
  • Die Mitgliedstaaten können jedoch Regeln aufrechterhalten, die zum Schutz von Belangen der Gesundheit und Sicherheit sowie zum Umweltschutz notwendig sind.
  • Zudem verpflichten sich die Mitgliedstaaten, enger bei der Entwicklung internationaler Standards und deren Umsetzung zusammenzuarbeiten.
  • Schließlich sollen die Mitgliedstaaten alle relevanten Informationen hinsichtlich der Normung und Zertifizierung von Waren untereinander austauschen.
Mit diesen WTO-Regeln besteht daher schon seit zwei Jahrzehnten eine umfassende Verpflichtung, den freien internationalen Warenverkehr zu ermöglichen. Das Regulierungsrecht der Staaten zum Schutz von Allgemeingütern bleibt dabei unberührt. TTIP muss daher als eine Weiterführung und eine Konkretisierung dieser Zielsetzung verstanden werden.

Zielsetzung der Europäischen Kommission

Die Kommission hat bereits in der vergangenen Diskussion herausgestellt, worauf es ihr bei den Verhandlungen ankommt:
  • Angestrebt wird die Beseitigung sämtlicher Zölle im bilateralen Handel zwischen den USA und der EU.
  • Mengenmäßige Beschränkungen sollen weitestgehend abgeschafft werden. Ausnahmen können aber weiterhin vorgesehen werden, wenn einem heimischen Wirtschaftszweig durch den Anstieg der Einfuhren einer Ware aus der anderen Vertragspartei ein erheblicher Schaden verursacht wird oder droht.
  • Im besten Fall sollen die bestehenden Unterschiede im Bereich der Normung und Zertifizierung von Waren angeglichen werden. Hierzu soll im TTIP ein umfassender Informationsaustausch zwischen den Behörden der EU-Mitgliedstaaten und den USA vereinbart werden.
  • Zudem soll ein Rat zur regulatorischen Kooperation eingerichtet werden. Dort soll die zukünftige Ausgestaltung von Waren- und Dienstleistungsstandards diskutiert werden. Eine eigene Regelungskompetenz soll dieser Rat nicht besitzen. Die Rechtsetzungskompetenz soll weiterhin dem europäischen oder nationalen Gesetzgeber obliegen.
  • Weiterhin soll ein System der gegenseitigen Anerkennung von Standards, Normen und Zertifizierungen geschaffen werden. Im Falle der Zertifizierungsverfahren arbeiten die Verhandlungspartner auf ein einheitliches Prüfverfahren hin.
Durch die Vereinfachung des Warenverkehrs erhoffen sich die Verhandlungspartner eine deutliche Reduzierung der Kosten und damit positive Impulse für den internationalen Handel. Dabei soll das Recht der Mitgliedstaaten, besondere Schutzvorschriften in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Verbraucher und Umwelt sowie kultureller Vielfalt zu erlassen, von TTIP unberührt bleiben. Insgesamt erkennt auch die Europäische Kommission an, dass es auch zukünftig Unterschiede in vielen Bereichen der Regulierung zwischen der EU und den USA geben wird. Die EU und USA haben einen unterschiedlichen rechtshistorischen Hintergrund und müssen zudem auf die Eigenheiten ihrer Wirtschaftssysteme Rücksicht nehmen. Eine völlige Konvergenz ist daher nicht Ziel von TTIP.

Veröffentlichung weiterer Informationen

Diese Zielsetzung wurde nunmehr durch die Veröffentlichung weiterer Informationen der EU-Kommission hinsichtlich einzelner Verhandlungspositionen bestätigt.

Handelskommissarin Malström ist damit den Forderungen aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft nachgekommen, das Verhandlungsverfahren transparenter zu gestalten.

Die veröffentlichten Texte sind zum einen Hintergrundinformationen für die einzelnen im TTIP zu verhandelnden Sektoren und zum anderen konkrete Textvorschläge. Zu nennen sind insbesondere folgende Themenbereiche:

Ursprungsregeln

  • Ziel der Kommission ist die Schaffung klarer Voraussetzungen, unter denen Angaben hinsichtlich des Ursprungs eines Produktes zulässig sind.
  • Die Verfahren zur Eintragung einer Ursprungsbezeichnung sollen dabei möglichst einfach gestaltet werden.

Lebensmittelsicherheit

  • Auch in diesem Bereich soll eine engere regulatorische Zusammenarbeit erreicht werden.
  • Dabei dürfen die hohen EU-Standards nicht unterschritten werden.

Medikamente

  • Die Kommission sieht TTIP als Chance für leichtere Zulassungsverfahren von Generika. Hierfür bedürfe es klarer Zulassungskriterien.
  • Die Kommission betont ausdrücklich, dass die Entscheidung, welche Medikamente von den nationalen Krankenkassen erstattet werden, weiterhin in der Entscheidungskompetenz der Mitgliedstaaten belassen wird. Diese Materie soll nicht Gegenstand von TTIP werden.

Wettbewerbsrecht

  • Das geltende Wettbewerbsrecht in den USA und der EU soll durch TTIP nicht geändert werden.
  • Bei der Entwicklung neuer Ansätze im Wettbewerbsrecht sollen die Vertragsparteien enger zusammen arbeiten.
  • Das Beihilfenrecht soll unverändert in der Kompetenz der jeweiligen Vertragsparteien verbleiben. Bedenken hinsichtlich einzelner Beihilfen sollen von den Vertragsparteien in einem entsprechenden Konsultationsverfahren geltend gemacht werden können. Die abschließende Entscheidung über die Gewährung von Beihilfen soll jedoch weiterhin bei der entsprechenden Vertragspartei liegen.

Schiedsgerichte

Ein weiterer großer Kritikpunkt ist die geplante Einrichtung eines Schiedsgerichts, mithilfe dessen Unternehmen gegen unliebsame Vorschriften der Staaten vorgehen könnten. Nach Ansicht der EU-Kommission aber auch der USA ist die Einrichtung eines Systems zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten als Voraussetzung für den reibungslosen Warenfluss notwendig. Die Kommission stellt jedoch einschränkende Voraussetzungen auf, unter denen eine Klage vor einem Schiedsgericht überhaupt möglich sein soll. Grundsätzlich soll danach gelten:
  • Staatliche Maßnahmen, die weder diskriminierend noch willkürlich sind, eröffnen nicht den Klageweg für ein Schiedsgerichtsverfahren.
  • Da TTIP dem nationalen Gesetzgeber zusätzlich das Recht belässt, legitime Regulierungsziele zu verfolgen, würde ein entsprechendes Schiedsverfahren keine Gefahr für den demokratischen Gesetzgebungsprozess darstellen.
Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob Investoren überhaupt ein gesonderter Rechtsweg eingeräumt werden muss. Die EU und die USA besitzen gewachsene Rechtsordnungen mit einem ausreichenden Schutzniveau im ordentlichen Rechtsweg. Darüber hinaus könnten Investoren eine Drohkulisse aufbauen, indem Staaten, die ein unliebsames Recht erlassen wollen, mit einer möglichen Klage vor dem Schiedsgericht gedroht wird. Dies ließe sich nur ausschließen, wenn die Regeln tatsächlich in der oben beschriebenen Klarheit erlassen würden. Zum anderen müssen Verfahrensregeln die absolute Unabhängigkeit der Schiedsrichter gewährleisten. Schließlich wären es letztendlich die Steuerzahler, die für Zahlungsverpflichtungen der Staaten aus Schiedsgerichten aufkommen müssten.

Ausblick

Sicherlich muss auch in den weiteren Verhandlungen darauf geachtet werden, dass TTIP nur als eine Erweiterung des EU-Binnenmarktes ausgestaltet ist und den gleichen Regeln folgt. Sollten Gremien zur gegenseitigen Anerkennung von Standards geschaffen werden, müssen diese unbedingt von Vertretern der jeweiligen Mitgliedstaaten besetzt werden, damit ein ausreichendes Schutzniveau gewährleistet ist.

Dennoch könnte der Mittelstand besonders vom TTIP profitieren, da die mittelständischen Unternehmen unter den Kosten, die gerade durch doppelte Zertifizierungsverfahren verursacht werden, leiden.

Insgesamt dürften die Verhandlungen noch einige Zeit andauern – viele Insider sagen bereits jetzt, dass der Abschluss weit hinter den angepeilten Zeitrahmen von 2017 liegen wird. DER MITTELSTANDSVERBUND wird das Thema weiterhin vorsichtig optimistisch verfolgen.


Weitere Informationen:

TTIP: Neue KMU-Konsultation
TTIP: Sechste Verhandlungsrunde ohne Ergebnis

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