Vestager´s letzter Coup? Förmliches Verfahren gegen Amazon eröffnet

Am 17. Juli 2019 eröffnete die Europäische Kommission ein förmliches Verfahren gegen Amazon. Der Vorwurf: Wettbewerbsbeschränkende Nutzung aller auf Amazon gesammelten Daten zum Nachteil der Marktplatzteilnehmer.

Brüssel, 18. Juli 2019: Bereits seit dem letzten Jahr schaut sich die Europäische Kommission unter Federführung der Generaldirektion Wettbewerb die Praktiken des Plattform-Betreibers Amazon an. Der Vorwurf: Amazon nutzt die Daten aller auf der Plattform entstandenen Daten zum Nachteil der auf Amazon tätigen Händler. Anders als viele Verkaufsplattformen vermittelt Amazon nicht lediglich Warenangebote, sondern tritt selber als Verkäufer auf der Plattform auf. Damit tritt Amazon in direkten Wettbewerb zu den Händlern und muss sich auf nach den einschlägigen wettbewerbsrechtlichen Vorschriften messen lassen.

Am 17. Juli 2019 eröffnete die Europäische Kommission ein förmliches Verfahren gegen Amazon.Die Europäische Kommission sah einen Anfangsverdacht dahingehend, dass Amazon – anders als die Händler auf der Plattform – Zugriff auf alle Daten hat und damit gezielter Produkte anbieten kann. Zur Schaffung einer handfesten Tatsachengrundlage führte die Kommission bereits eine Umfrage zur Marktmacht von Amazon durch. Der Verdacht scheint sich nunmehr erhärtet zu haben: Am 17. Juli 2019 gab die Kommission bekannt, eine Untersuchung möglicher wettbewerbswidriger Verhaltensweisen von Amazon eingeleitet zu haben.

EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager erklärte hierzu: „Die europäischen Verbraucher kaufen zunehmend online ein. Der elektronische Handel hat den Wettbewerb im Einzelhandel angekurbelt und zu einer größeren Auswahl und günstigeren Preisen geführt. Wir müssen sicherstellen, dass große Online-Plattformen diese Vorteile nicht durch wettbewerbswidriges Verhalten aushebeln. Ich habe daher beschlossen, die Geschäftspraktiken von Amazon und seine doppelte Funktion als Verkaufsplattform und Einzelhändler unter die Lupe zu nehmen, um die Einhaltung der EU-Wettbewerbsregeln zu prüfen.“

Konkret wird die Kommission zwei Punkte besonders untersuchen:

  • Standardvereinbarungen zwischen Amazon und Marktplatzhändlern, die es Amazon als Einzelhändler ermöglichen, Daten von Drittanbietern zu analysieren und zu nutzen. Insbesondere wird die Kommission der Frage nachgehen, ob und wie die Nutzung der Daten, die Amazon als Einzelhändler über die Marktplatzhändler sammelt, den Wettbewerb beeinträchtigt.
  • Die Rolle von Daten bei der Auswahl der in der „Buy Box angezeigten Händler“ und wie sich die Nutzung wettbewerbssensibler Informationen über Marktplatzhändler durch Amazon gegebenenfalls auf diese Auswahl auswirken könnte. Über die gut sichtbar auf der Amazon-Website angezeigte „Buy Box“ können Kunden Produkte eines bestimmten Einzelhändlers direkt in ihren Einkaufswagen legen. Die Anzeige in der „Buy Box“ scheint für Marktplatzhändler entscheidend zu sein, da die meisten Transaktionen über sie abgewickelt werden.

Beides könnte zu der Schlussfolgerung führen, dass Amazon gegen bestehendes Wettbewerbsrecht verstoßen hat. „Das Ungleichgewicht war schon seit geraumer Zeit zu spüren“, meint auch Tim Geier, Geschäftsführer DER MITTELSTANDSVERBUND, Büro Brüssel. Gerade mittelständische Händler haben oftmals keine Möglichkeit, eine ausreichend belastbare Daten-Basis aufzubauen, um daraus verwertbare Informationen für ihr Geschäft zu entwickeln. Im Falle von Amazon wird dieses Ungleichgewicht noch deutlicher: Zwar generieren die Händler den „Traffic“ auf der Plattform, profitieren jedoch nicht oder nur unzureichend von dem so generierten Daten-Pool. Die Verfügbarkeit von Daten wird zukünftig eine Schlüsselrolle für die Wettbewerbsfähigkeit von Mittelständlern einnehmen. In dem nunmehr angelaufenen Verfahren könnte damit der Grundstein für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Plattform-Anbieter und -Nutzer gelegt werden.

Inwieweit der Rahmen für eine Daten-Ökonomie geändert werden muss, ist Gegenstand einer von der ServiCon eG in Auftrag gegebenen Studie. Von besonderem Interesse dabei ist die Frage, inwieweit genossenschaftliche Modelle bzw. Verbundgruppen-Modelle für eine im Sinne der Händler gerechtere Verwendung von Plattform-Daten nutzbar gemacht werden können. Bestehende Plattform-Modelle in Verbundgruppen beweisen bereits heute, dass ein Teilen von Daten zu mehr Wettbewerbsfähigkeit im Mittelstand führen kann.

Bezogen auf das nunmehr angelaufene Verfahren bleibt abzuwarten, zu welchen Schlussfolgerungen die Europäische Kommission kommt und welche Konsequenzen für Amazon daraus resultieren; denn neben Bußgeldern könnte das Ergebnis der Untersuchung auch auf eine Öffnung des Amazon-Daten-Pools hinauslaufen. In jedem Fall wird das Verfahren wichtige Grundsatzfragen in dieser aktuellen Diskussion behandeln.  

Kommissarin Vestager könnte damit auch den Grundstein für einen neuen Rechtsrahmen legen.  

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