Von Großen, Kleinen und vom Ganzen: Neues Aktionsprogramm der EU-Kommission

Jüngst stellte die EU-Kommission eine Reihe von Maßnahmen vor, um die europäische Industrie, mittelständische Unternehmen sowie den Binnenmarkt zu stärken. Trotz begrüßenswerter Ansätze fehlen wichtige Bausteine und eine passgenaue Zielrichtung für die Wirtschaft.

Brüssel, 10. März 2020: „Europa hat die stärkste Industrie weltweit. Unsere großen und kleinen Unternehmen sichern Arbeitsplätze, Wohlstand und strategische Autonomie. Die Bewältigung des ökologischen und digitalen Wandels und die Vermeidung externer Abhängigkeiten in einem neuen geopolitischen Kontext erfordern radikale Veränderungen – und dies muss jetzt in Angriff genommen werden.“, verkündete am heutigen Tage Binnenmarktkommissar Thierry Breton zur Vorstellung des Aktionsplans.

Das Maßnahmenpaket setzt sich zusammen aus: 

  • einer Industriestrategie,
  • einer KMU-Strategie sowie
  • eines Aktionsplans zur besseren Um- und Durchsetzung der Binnenmarktvorschriften.

Industriepolitik X.0?

Die Industriepolitische Strategie bestätigt, was viele Brüssel-Insider bereits vermutet haben: Die Kommission strebt eine Anpassung der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften im Bereich der Fusionskontrolle an – Details noch ausstehend. Damit konnten sich die Befürworter einer Öffnung des EU-Wettbewerbsrechts für europäische Unternehmen durchsetzen. Allen voran waren dies Deutschland, welches zusammen mit Frankreich und Polen bereits mehrmals die Kommission aufgefordert hat, die bestehenden Regeln anzupassen.

Insgesamt liest sich das Papier wie die Fortführung der Juncker-Strategie; auch der ehemalige Kommissionspräsident plädierte in seiner Amtszeit für eine Stärkung bzw. einer Rückholung der europäischen Industrie. Wenig drin für den Mittelstand, möchte man zunächst meinen. Dennoch: Gerade zeigt die Ausbreitung des Coronavirus, wie verletzlich internationale Wertschöpfungsketten sind. Der Aufbau wichtiger Produktionsprozesse in Europa könnte also künftig auch für KMU interessant werden.

KMU-Politik 10.0

Seit 2008 ist aktive KMU-Politik Teil der europäischen Strategie; mit dem „Small Business Act“ wurden der Abbau administrativer Hürden, Zugang zu Finanzierung sowie die Erhöhung von Beratungsangeboten für Mittelständler Prioritäten für die Europäische Kommission. Zudem wurde ein Netzwerk aus KMU-Spezialisten und -Botschaftern geschaffen, welches den Mittelstand unterstützen soll. Die nunmehr veröffentlichte KMU-Strategie schließt sich nahtlos an die vorhergegangenen Entwicklungen an.

Die Berücksichtigung der Belange des Mittelstands wird dabei in den Kontext der Großen Ziele der Von-der-Leyen-Kommission gebracht:

  • So sollen die Unterstützungsangebote für KMU zukünftig die Zielsetzungen aus dem Europäischen Grünen Deal sowie der Digitalstrategien der EU-Kommission fördern.
  • In beiden Bereichen soll das Informations- und Beratungsangebot weiter ausgebaut und entsprechende Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen werden.
  • Als weitere finanzielle Unterstützung sollen die Eigenkapital-Anforderungen bei der Vergabe von Krediten für KMU gesenkt werden.
  • Ein KMU-Filter sowie eine verbesserte Folgenabschätzung sollen künftig gewährleisten, dass auf die Belange mittelständischer Unternehmen Rücksicht genommen wird.
  • Mit Blick auf die bereits in der Daten-Strategie angekündigten Europäischen Datenräume soll eine Art AGB-Test eingeführt werden, anhand dessen die Fairness von Daten-Austausch-Verträgen bestimmbar werden soll.

Insgesamt zeigt sich klar, dass Nachhaltigkeit und Digitalisierung die Überbegriffe der neuen Kommission sind, dem sich auch KMU-Belange unterordnen müssen. Für eine erfolgreiche Transition hin zu digitalen und nachhaltigen KMU brauchen diese hingegen gezielte Unterstützung. „Die angekündigten finanziellen Hilfen werden dabei nur mittelbar eine Rolle relevant sein. Für die Wirtschaft insgesamt sind vor allem voraussehbare und langfristige Rahmenbedingungen vonnöten, um zukünftige Investitionen planbar oder gar möglich zu machen.“ so Ludwig Veltmann, Hauptgeschäftsführer DER MITTELSTANDSVERBUND.

Auch wenn die europäische KMU-Strategie dabei wichtige Stellschrauben adressiert, wird konsequent das große Potential mittelständischer Kooperationen übersehen. Aus- und Weiterbildung, Aufbau digitaler Expertise, Implementierung von Nachhaltigkeits-Initiativen im Verbund aber auch in Zusammenarbeit mit der gesamten Lieferkette: All das wird bereits heute im Verbund gelebt. Europa muss daher erkennen, dass gerade die Förderung und Erleichterung solcher Kooperationen einen erheblichen Beitrag zu den selbstgesetzten Zielen der EU leisten könnte.

DER MITTELSTANDSVERBUND begrüßt daher zwar die Ansätze der Kommission, der große „Wow-Effekt“ lässt hingegen weiter auf sich warten.

Bessere Durchsetzung der Binnenmarkt-Regeln

So ehrlich hat man die Kommission wohl selten gehört: Der EU-Binnenmarkt funktioniert nur eingeschränkt. Dies sei auf mehrere Faktoren zurückzuführen – vor allem jedoch auf die Mitgliedstaaten, die EU-Richtlinien noch zu unterschiedlich um- und durchsetzen. Aber auch die Kommission räumt ein, dass sie einen Beitrag zur Schaffung eines wirklichen EU-Binnenmarktes leisten muss: Vor allem in Form von Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von EU-Recht sowie der konsequenten Verfolgung von EU-Rechtsverstößen.

Eine bessere Kooperation – in diesem Fall zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten – scheint auch hier das Zauberwort zu sein. Unternehmen könnten so zukünftig von einer besseren Kohärenz insbesondere von Produktvorschriften profitieren. Auch wenn Verbundgruppen-Zentralen bereits heute in vielen Fällen eine Reibungslose Beschaffung für ihre Mitglieder gewährleisten, könnten weitere Vereinfachungen im Produktrecht dabei helfen, den Binnenmarkt zu vollenden. Vieles wird nunmehr von dem Willen der Mitgliedstaaten abhängen, sich auf dieses Vorhaben einzulassen und auf nationale Alleingänge zum Wohle aller zu verzichten. Ob dieser Plan wirklich aufgeht, bleibt fraglich, DER MITTELSTANDSVERBUND unterstützt dieses ambitionierte Vorhaben jedoch ausdrücklich.

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