Wahlprogramm-Check: Teil 3 – Europa

Ob Brexit, Unternehmensbesteuerung oder Verbraucherrechte – die EU steuert die deutsche Politik in wesentlichen Punkten. DER MITTELSTANDSVERBUND analysiert die europapolitischen Positionen der Parteien zur Bundestagwahl.

Brüssel, 01.08.2017 – Wie stehen die Parteien zu Europa? Diese Frage zu beantworten, bedarf mehr als eines Blickes in die entsprechenden Kapitel der Wahlprogramme von CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und DIE LINKE. Denn: Die Themen, die aktuell oder auch seit geraumer Zeit in Brüssel diskutiert werden, „verstecken“ sich in ganz unterschiedlichen Punkten der Wahlprogramme.

Die nachstehende Analyse greift daher teilweise Punkte auf, die in den Wahlprogrammen unter der „normalen“ nationalen Politik untergebracht wurden, in Wahrheit jedoch bereits von der aktuellen Bundesregierung im Rat der EU direkt verhandelt werden.

Im Grundsatz vereint

Weitere Europäische Integration, die gemeinsame Bewältigung der Flüchtlingskrise oder der Brexit – in all diesen Punkten verfolgen die Parteien einen gemeinsamen Ansatz. Nämlich den, dass es nur gemeinsam in Europa geht. FDP und GRÜNE fordern gar einheitliche Spitzenkandidaten bei der Wahl zum Europäischen Parlament. Speziell die FDP kritisiert zudem die beiden Sitze des Abgeordnetenhauses in Brüssel und Strasbourg und fordert einen einzigen Sitz in Brüssel.

Weiterhin wollen die Liberalen eine Verkleinerung der Europäischen Kommission auf maximal 16 Kommissare mit klarer Ressort-Verteilung. Wer so etwas fordert, verlangt indirekt auch einen relativen Kontrollverlust der Mitgliedstaaten. Im Ergebnis müsste dann nämlich ein Rotationsverfahren eingeführt werden – mit der Folge, dass einige Mitgliedstaaten für die entsprechende Legislaturperiode keinen Kommissar stellen werden.

Brexit heißt Brexit

Klar ist für alle Parteien auch: Brexit heißt Brexit. Großbritannien sollte daher bei einem Austritt aus der EU nicht mehr von deren Errungenschaften wie den freien Binnenmarkt profitieren können. Die Frage, inwieweit diese den Engländern auch zukünftig offen stehen sollen, ist Kernpunkt der aktuellen Diskussion: So fordern die Chefunterhändler der EU – mit denen DER MITTELSTANDSVERBUND bereits frühzeitig in Kontakt getreten ist – Rückzahlungen bzw. ausstehende Verbindlichkeiten gegenüber Großbritannien hinsichtlich des EU-Etats.

Die englische Seite vermied es bislang, auch nur geringfügige Details ihrer diesbezüglichen Verhandlungsposition mitzuteilen. Die anstehenden Verhandlungsrunden im September dürften daher äußerst brisant werden.

Steuern steuern

Auch die Bekämpfung von Steuerkriminalität steht in allen Programmen der antretenden Parteien. Unterhalb der Kriminalitätsstufe fordern alle Parteien einheitlich mehr Transparenz gerade von europaweiten Unternehmensmodellen.

Die CDU/CSU sieht dabei eine engere Zusammenarbeit mit Frankreich als wichtigen Startpunkt in diesem Vorhaben. Dabei soll in Zukunft insbesondere eine Annäherung im Bereich „Körperschaftssteuer“ erfolgen. Auch SPD und GRÜNE formulieren die Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung als einen wichtigen Punkt hin zu einer weiteren Europäischen Integration. Die LINKE schließt sich diesem Petitum an, ohne jedoch konkrete Vorschläge anzubieten.

Die CDU könnte damit konkrete Schritte hin zu einem „Europa verschiedener Geschwindigkeiten“ machen. Auch die FDP sieht in der „verstärkten Zusammenarbeit“ einzelner Mitgliedstaaten ein probates Mittel hin zu einer besseren europäischen Integration.

Es war Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker höchstpersönlich, der bereits im März 2017 seine Visionen im „Weißbuch Europa“ präsentierte – eine Sammlung möglicher Szenarien für die Zukunft der europäischen Kooperation. Juncker formulierte vor fast einem halben Jahr recht praktisch: „Wer mehr tun will, tut mehr“. Ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten ist damit eines von mehreren möglichen Szenarien, denen sich die EU in den nächsten Jahren widmen wird.

Starke Rechte für Verbraucher?

Gerade mit Blick auf die aktuellen Skandale rund um die deutsche Automobilindustrie zeigen sich die Einstellungen der Bundesparteien bezüglich der Gestaltung des Verbraucherrechts ganz klar: Mehr Informationen, Möglichkeiten zur Sammelklage und eine Verbesserung des Verbraucherrechts insgesamt auf der einen Seite (allen voran: SPD und GRÜNE) und etwas verhaltenere Stimmen bei den Konservativen und Liberalen.

Klar muss in diesem Zusammenhang folgendes sein: Das Gewährleistungsrecht wird aktuell in Teilen auf EU-Ebene novelliert. Zudem wird der gesamte Verbraucher-Acquis der EU (Fernabsatz, unlautere Handelspraktiken, AGB und die entsprechenden bereit zu stellenden Verbraucherinformationen) derzeit evaluiert. Neue Änderungsvorschläge könnten noch dieses Jahr von der EU-Kommission präsentiert werden.

Kommt die Musterfeststellungsklage?

Hinzu kommt die Tatsache, dass die Europäische Kommission seit Jahren versucht, Sammelklagen in den Mitgliedstaaten einzuführen. DER MITTELSTANDSVERBUND hatte in der Diskussion immer vor den erheblichen negativen Auswirkungen für Unternehmen gewarnt – bislang mit Erfolg. Mit den Ansätzen von Bundesjustizminister Maas, Musterfeststellungsklagen einführen zu wollen, kommt Deutschland den von der Europäischen Kommission ins Auge gefassten Ziel jedoch immer näher.

Auch die explizite Forderung der GRÜNEN, Vorschriften zur Mindesthaltbarkeit von Produkten bzw. der sogenannten geplante Obsoleszenz derselben (Produkte gehen nach einer bestimmten, von den Herstellern vorgeplanten Zeit, kaputt) einzuführen, basiert auf einer aktuellen Diskussion im Europäischen Parlament. DER MITTELSTANDSVERBUND wies in der aktuellen europäischen Diskussion insbesondere darauf hin, dass die Haftungsebenen „Gewährleistung“ (Händler) und „Garantie“ (Hersteller) durch solche Ansätze in keinem Fall verwischt werden dürfen.

Soziale Standards – für alle!

Gerechte Löhne, eine ausgewogene Work-Life-Balance und europaweite einheitliche Standards in diesem Bereich – das sind insbesondere Forderungen der SPD, LINKE und GRÜNE. Die CDU/CSU sowie die FDP formulieren vorsichtiger.

Fakt ist auch hier: Die Ansätze kommen aus Europa. Bereits im April stellte die Europäische Kommission die „Säule Sozialer Rechte“ vor – ein Fahrplan hin zu einheitlicheren Europäischen Sozialstandards. Viele der eingangs aufgeführten Punkte finden sich in diesem Grundsatzpapier, welches gleichermaßen als Orientierungspunkt zukünftiger Europäischer Politiken dienen soll, wieder.

Die Frage wird in diesem Bereich insbesondere in der zukünftigen konkreten Ausgestaltung der Konzepte liegen. So stellte die Europäische Kommission bereits einen Vorschlag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor, welches in Deutschland bereits durch das Recht auf Teilzeit bzw. längeren Urlaub beispielsweise zur Familienbetreuung existiert. Die Frage wird zukünftig insbesondere darin liegen, wer diese Fehlzeiten bezahlt: der Staat oder der Arbeitgeber.

Europäische Politik gibt Linie für Deutschland vor

In den großen Politiken (auf die man sich evtl. gerne in der Europapolitik zurückzieht) sind sich die Parteien weitgehend einig. Viele als „deutsch“ ausgeschriebene politische Projekte haben ihren Ursprung in Europa. Das heißt, dass eine Befassung mit diesen unausweichlich ist. Bleibt nur die Frage, wie diese von der zukünftigen Bundesregierung angegangen werden.

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