Abmilderung der Kalten Progression: Nötig, aber nur Tropfen auf den heißen Stein

Das Bundesfinanzministerium hat den Referentenentwurf für ein „Inflationsausgleichsgesetz“ vorgelegt, mit dem die Effekte der sogenannten Kalten Progression abgemildert werden sollen. Auch wenn die Personenunternehmen hiervon profitieren können, bleibt der finanzielle Effekt angesichts derzeit sehr hoher Inflationsraten vermutlich gering.

Berlin, 13.09.2022 – Seit dem Jahr 2012 sind die Bundesregierungen dazu angehalten, alle zwei Jahre die Eckwerte des Einkommensteuertarifs unter Berücksichtigung der Einkommens- und Inflationsentwicklung anzupassen. Angesichts der in diesem Jahr außerordentlich hohen Inflationsraten – und der somit zunehmenden „Kalten Progression“, bei der nominale Einkommenszuwächse einen höheren Steuersatz zur Folge hätten und zudem hohen allgemeinen Preissteigerungen gegenüberstehen – ist der Anpassungsbedarf derzeit besonders dringlich. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat vor diesem Hintergrund am 8. September 2022 den Referentenentwurf eines „Inflationsausgleichsgesetzes“ vorgelegt, mit dem eine substanzielle Verschiebung des Einkommensteuertarifs umgesetzt werden soll.

Das Bundesfinanzministerium hat den Referentenentwurf für ein „Inflationsausgleichsgesetz“ vorgelegt.Endgültige Eckwerte erst im Herbst

Wie üblich soll die Anpassung der Eckwerte des Einkommensteuertarifs auf Grundlage zweier statistischer Erhebungen im Auftrag der Bundesregierung erfolgen – dies sind zum einen der „Existenzminimumbericht“ sowie zum anderen der „Steuerprogressionsbericht“. Ersterer bezieht sich auf die Höhe des von der Einkommensteuer freizustellenden Existenzminimums, letzterer untersucht die Wirkung der kalten Progression im Verlauf des Einkommensteuertarifs. Allerdings wird die Bundesregierung den 14. Existenzminimumbericht und den 5. Steuerprogressionsbericht erst im Laufe des Herbsts 2022 vorlegen. Die im Referentenentwurf des Inflationsausgleichsgesetzes genannten Eckwerte sind daher vorläufig und basieren auf den Daten der Frühjahrsprojektion der Bundesregierung.

Keine Anpassung beim „Reichensteuersatz“

Die Anpassung des steuerlichen Grundfreibetrags sowie der weiteren Eckwerte des Einkommensteuertarifs erfolgt einmal zum Jahr 2023 sowie erneut zum Jahr 2024. Zudem werden der steuerliche Kinderfreibetrag für die Jahre 2022 bis 2024 sowie das Kindergeld ab 2023 angehoben. Vorbehaltlich der noch ausstehenden Berichte könnte der Grundfreibetrag somit auf Basis des Referentenentwurfs von zuletzt 10.347 Euro auf 10.632 Euro im Jahr 2023 und 10.932 Euro im Jahr 2024 steigen. Der Spitzensteuersatz von 42 % würde demnach im Veranlagungszeitraum 2023 ab einem zu versteuernden Einkommen von 61.972 Euro sowie im Veranlagungszeitraum 2024 ab 63.515 Euro einsetzen. Auch wenn die dazwischenliegenden Eckwerte ebenfalls angepasst werden, gilt die Anpassung nicht für den sogenannten „Reichensteuersatz“ von 45 %. Dieser soll auch 2023 und 2024 ab einem zu versteuernden Einkommen von 277.826 Euro greifen.

Abbau der Kalten Progression ist keine Steuerentlastung

Aus Sicht des MITTELSTANDSVERBUNDES ist das Ziel des Inflationsausgleichsgesetzes, die Wirkung der Kalten Progression spürbar abzumildern, ausdrücklich zu begrüßen. Die letzte Anpassung der Eckwerte bei der Einkommensteuer fiel im Lichte der aktuellen Inflationsentwicklung zu gering aus. Somit würde den Einkommensteuerzahlerinnen und Einkommensteuerzahlern – darunter auch die Personenunternehmen im Mittelstand – ohne eine erneute Anpassung ein empfindlicher Kaufkraftverlust drohen, während ihre nominalen Einkommen steigen und sie mehr Steuern zahlen. Vor diesem Hintergrund ist ein Abbau der Kalten Progression über die Rechtsverschiebung des Einkommensteuertarifs nie eine tatsächliche Steuerentlastung, sondern die Vermeidung einer Steuermehrbelastung. Ob die im Referentenentwurf vorgesehene Anpassung der Eckwerte tatsächlich ausreichen wird, um eine finanzielle Mehrbelastung zu verhindern, wird sich – nicht zuletzt im Zuge des angekündigten Steuerprogressionsberichts – zeigen. Eine nachträgliche Änderung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens muss eine ernsthafte Option sein. Mit Blick auf die mittelständischen Personenunternehmen dürfte die finanzielle Wirkung der Anpassung der Eckwerte ohnehin begrenzt bleiben, da die jeweils zu versteuernden Einkommen diese in der Regel deutlich überschreiten und somit nur ein Teilbetrag des zu versteuernden Einkommens einem geringeren Steuersatz unterliegt. Dass aus politischen Gründen auf eine Anpassung des Eckwerts zum „Reichensteuersatz“ verzichtet wird, dämpft die Wirkung zusätzlich.

Vor diesem Hintergrund bleibt es weiterhin wichtig, die Steuerlast kleiner und mittlerer Unternehmen durch geeignete Maßnahmen an anderer Stelle strukturell zu verringern. Das Inflationsausgleichsgesetz wird dies aus den genannten Gründen nicht leisten können. DER MITTELSTANDSVERBUND wird zu gegebener Zeit über den Fortgang des weiteren Gesetzgebungsverfahrens informieren. Unabhängig von inhaltlichen Fragen ist es aus Sicht des MITTELSTANDSVERBUNDES hingegen sehr bedauerlich, dass sich das BMF entschieden hat, auf eine ernstzunehmende Verbändebeteiligung zum Referentenentwurf zu verzichten. Dies ist einer vertrauensvollen fachlichen Zusammenarbeit zwischen Bundesministerien und Verbänden nicht zuträglich und darf deshalb keinesfalls zur Regel werden.

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