Steuerliche Nachzahlungszinsen zu hoch – BFH zweifelt an Verfassungsmäßigkeit

Der Bundesfinanzhof hat erhebliche Zweifel an der Höhe der Nachzahlungszinsen geäußert. Bis zur endgültigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann nun auf Zinsnachzahlungen ab 2015 Einspruch erhoben werden. DER MITTELSTANDSVERBUND informiert.

Berlin, 16.08.2018 – Der IX. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat in seinem Beschluss vom 25. April 2018 erhebliche Zweifel an der Höhe der Nachzahlungszinsen geäußert. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung nimmt der BFH inzwischen an, dass sich das niedrige Marktzinsniveau strukturell verfestigt hat. Die derzeit sechs Prozent Zinsen im Jahr auf Steuernachzahlungen entsprechen nicht mehr der Realität, weshalb der Vollzug des dem Verfahren zugrunde liegenden Zinsbescheids für den Zeitraum ab 1. April 2015 vorerst ausgesetzt wurde.

Der Bundesfinanzhof hat erhebliche Zweifel an der Höhe der Nachzahlungszinsen geäu-ßert. Bis zur endgültigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann nun auf Zinsnachzahlungen ab 2015 Einspruch erhoben werden.Damit widersprach das Gericht den Urteilen des III. Senats zu den Jahren 2012 und 2013 sowie des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Jahren 2003 bis 2006, welche die Nachzahlungszinsen als unproblematisch erachteten. Die Gerichte äußerten dabei zwar wiederkehrend Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Verzinsung, sahen diese jedoch für den jeweils betrachteten Zeitraum nicht als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz oder das Übermaßverbot.

Zinshöhe seit über fünf Jahrzehnten unverändert

Nach den Paragrafen 233a, 238 AO beträgt der Zinssatz für Steuernachzahlungen 0,5 Prozent pro Monat oder 6 Prozent pro Jahr. Die Typisierung des Zinssatzes wurde im Jahr 1961 eingeführt. Damals verfolgte man das Interesse, eine praktikable Lösung zu finden, die den Verwaltungsaufwand verringert. Seitdem blieb die Höhe des Zinssatzes unverändert.

Die Bundesfinanzrichter vertreten daher die Meinung, dass sich der Gesetzgeber die ursprünglich getroffene Entscheidung unter Berücksichtigung der veränderten Zinslage überprüfen müsse. Dabei betrachtet es der IX. Senat als irrelevant, dass der Zinssatz bei Steuererstattungen auch dem Steuerpflichtigen zugutekommen könne. Der Hauptbegünstigte der derzeitigen Verzinsungsregelung sei die Finanzverwaltung.

Hintergrund

Ausgangspunkt für die Entscheidung des IX. Senats des BFH war ein Verfahren um die Aussetzung der Vollziehung eines Zinsbescheids. Nach einer Außenprüfung setzte das Finanzamt nachträglich Zinsen in Höhe von 240.831 € fest. Daraufhin stellten die betroffenen Steuerpflichtigen einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, der vom zuständigen Finanzgericht abgelehnt wurde. Die Antragsteller zweifelten jedoch die Verfassungskonformität des Zins-satzes nach § 238 AO an und legten Beschwerde beim BFH ein.

Entgegen der Ansicht des Finanzamts entschied dieser für die Aussetzung des Vollzugs. Er bezeichnete seine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit als schwerwiegend und hob hervor, dass der Gesetzgeber trotz der seit langem bekannten Notwendigkeit einer Zinsanpassung nicht gehandelt hätte.

Endgültige Entscheidung des BVerfG steht noch aus

Der BFH musste die Problematik im vorliegenden Verfahren dem BVerfG nichtvorlegen, da es sich bei der Aussetzung des Vollzugs um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in einem summarischen Verfahren handelt. Dennoch muss das BVerfG die Frage klären, ob der gesetzliche Zinssatz für Verzinsungszeiträume nach dem 31.Dezember 2009 bzw. 31. Dezember 2011 verfassungsgemäß ist. Hierzu liegt die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des OVG NRW v. 10.7.2014 (14 A 1196/13) dem BVerfG vor (1 BvR 2237/14; betr. Verzinsung nachgeforderter GewSt). Eine Entscheidung in diesem und einem Parallelfall (1 BvR 2422/17) wird in 2018 noch erwartet.

Sollten sich das BVerfG der Ansicht des BFH anschließen, könnte dies ebenfalls Konsequenzen für weitere Verfahren zum § 238 AO haben. Daher bleibt zu hoffen, dass die Karlsruher Richter der Auffassung des BFH folgen. Bis dahin können Einsprüche auf Nachzahlungszinsen ab 2015 erhoben werden.

FDP reagiert auf BFH-Urteil

Dem Urteil des BFH folgend stellte die FDP-Fraktion Anfang Juni 2018 im Bundestag einen Antrag (BT-Drucks. 19/2579). Darin forderte sie einen Gesetzesentwurf, der den Nachzahlungszinssatz „zeitnah und realitätsgerecht“ herabsetzt und die Prüfung einer Koppelung an einen Referenzzinssatz enthält.

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