Lieferkettengesetz: Nach der Einigung ist vor der Einigung

Nach langem Ringen hatten die Bundesminister Heil, Müller und Altmaier am 12.02.2021 eine Einigung zum Lieferkettengesetz vorgestellt. Der kurz darauf bekannt gewordene Referentenentwurf aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) sorgt nun für neue Irritationen und wirft zahlreiche Fragen auf.

Berlin, 23.02.2021 – Seit mehreren Jahren schwelt die politische Debatte um ein Lieferkettengesetz, seit einem Jahr sind Eckpunkte dazu angekündigt. Die Einigung verkündeten die zuständigen Minister Heil (BMAS), Müller (BMZ) und Altmaier (BMWi) am 12.02.2021. Das Lieferkettengesetz soll in Deutschland ansässige Unternehmen künftig verpflichten, „ihrer Verantwortung in den Liefer- und Wertschöpfungsketten nachzukommen.“

Wenige Tage später ist ein erster Referentenentwurf des BMAS an die Öffentlichkeit gelangt. Dabei handelt es sich um ein Dokument, das nicht ressortabgestimmt ist. Auch eine Anhörung der Verbände wurde noch nicht eingeleitet. Er hat folgende wesentliche Inhalte:

Inkrafttreten und Anwendungsbereich:

Das Gesetz soll ab 1. Januar 2023 für Unternehmen mit über 3.000 Arbeitnehmern mit Sitz im Inland in Kraft treten, ab dem 1. Januar 2024 für Unternehmen mit über 1.000 Arbeitnehmern. Innerhalb von verbundenen Unternehmen (§ 15 AktG) sind die Arbeitnehmer sämtlicher konzernangehöriger Gesellschaften bei der Berechnung zu berücksichtigen.

Begriff der Lieferkette:

Der Entwurf enthält eine Bestimmung des Begriffs der Lieferkette. Danach erstreckt sie sich auf die Beiträge, die ein Unternehmen verwendet, um ein Produkt herzustellen oder eine Dienstleistung zu erbringen, angefangen von der Gewinnung der Rohstoffe bis zu der Lieferung an den Endkunden und erfasst das Handeln des Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich, das Handeln eines Vertragspartners (unmittelbarer Zulieferer) sowie das Handeln weiterer Zulieferer (mittelbarer Zulieferer). Der eigene Geschäftsbereich erfasst dabei jedes Handeln zur Erreichung des Unternehmensziels und somit jeden Standort im In- oder Ausland, an dem das Unternehmen selbst Produkte oder Dienstleistungen erstellt oder verwertet.

Internationale Abkommen:

Der Entwurf listet in der Anlage eine Reihe von internationalen Abkommen auf, die als Menschenrechte im Sinne dieses Gesetzes zu bewerten sind:

  • Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1973
  • Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966
  • die acht ILO-Kernarbeitsnormen (ILO-Übereinkommen Nr. 29, 87, 98, 100, 105, 111,

138, 182) sowie das Protokoll zu Übereinkommen Nr. 29 vom 11. Juni 2014

  • Minamata-Übereinkommen über Quecksilber vom 10. Oktober 2013
  • Stockholmer Abkommen über persistente organische Schadstoffe vom 17. Mai 2004

Darüber hinaus werden geschützte Rechtspositionen aufgeführt, z.B. angemessener Lohn, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen und angemessener Lebensstandard.

Unternehmerische Sorgfaltspflichten:

Kernbestandteil des Entwurfs ist die Einführung von neuen Sorgfaltspflichten für die betroffenen Unternehmen. Diese bestehen aus folgenden Elementen:

  • Grundsatzerklärung und Präventionsmaßnahmen:
    Die Grundsatzerklärung muss von der Unternehmensleitung verabschiedet werden und eine Beschreibung des Sorgfaltspflichtenverfahrens, der aufgrund der Risikoanalyse festgestellten Risiken und die menschenrechtlichen Erwartungen an Beschäftigte und Zulieferer enthalten. Das Unternehmen muss Präventionsmaßnahmen ergreifen, dabei differenziert der Entwurf zwischen Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich, bei unmittelbaren Zulieferern sowie mittelbaren Zulieferern.
  • Risikomanagement:
    Unternehmen müssen ein angemessenen Risikomanagement einführen und umsetzen, was "in allen maßgeblichen unternehmensinternen Geschäftsabläufen zu verankern ist, um Risiken zu erkennen, der Verwirklichung etwaiger Risiken vorzubeugen und die Verletzungen einer geschützten Rechtsposition zu beenden und zu minimieren, wenn das Unternehmen diese Risiken innerhalb der Lieferkette im eigenen Geschäftsbereich oder im Geschäftsbereich eines unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferers verursacht oder dazu beigetragen hat." Hierfür sind unverzüglich Zuständigkeiten im Unternehmen festzulegen, etwa durch die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten.
  • Risikoanalyse:
    Das Unternehmen muss eine Risikoanalyse durchführen, um die Risiken in seinem Geschäftsbereich sowie bei seinen unmittelbaren Zulieferern zu ermitteln. Die Ergebnisse der Risikoanalyse sind an die maßgeblichen Entscheidungsträger (Vorstand oder Einkaufsabteilung) zu kommunizieren und müssen berücksichtigt werden. Die Risikoanalyse muss jährlich sowie "anlassbezogen" durchgeführt wer- den.
  • Abhilfemaßnahmen:
    Bei der Verletzung einer geschützten Rechtsposition muss das Unternehmen unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um die Verletzung zu verhindern, zu beenden oder zu minimieren. Der Entwurf differenziert dabei zwischen Abhilfemaßnahmen für den eigenen Geschäftsbereich, bei unmittelbaren Zulieferern und mittelbaren Zulieferern. Bei möglichen menschenrechtlichen Verletzungen bei mittelbaren Zulieferern muss das Unternehmen dann tätig werden, wenn es von der Verletzung oder deren unmittelbaren Bevorstehen Kenntnis erlangt hat oder die dafür erforderlichen Informationen angemessen ermitteln kann. Bei mittelbaren Zulieferern bestehen die Maßnahmen aus einer Risikoanalyse, Präventionsmaßnahmen, Konzepterstellung und -umsetzung sowie Anpassung der Grundsatzerklärung.
  • Beschwerdeverfahren:
    Das Unternehmen muss unverzüglich ein unternehmensinternes Beschwerdeverfahren einrichten oder sich an einem externen Beschwerdeverfahren beteiligen. Hierzu muss es Informationen veröffentlichen und es muss potenziellen Nutzern zugänglich sein. Die Wirksamkeit ist mindestens einmal im Jahr oder anlassbezogen zu überprüfen.
  • Dokumentations- und Berichtspflichten:
    Die Sorgfaltspflichten sind unternehmensintern fortlaufend zu dokumentieren und mindestens sieben Jahre aufzubewahren. Das Unternehmen muss jährlich einen Bericht über die Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten erstellen und muss diesen auf seiner Internetseite für mindestens sieben Jahre kostenfrei öffentlich zugänglich machen.

Prozess-Standschaft:

Der Entwurf regelt eine besondere Prozess-Standschaft, welche Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen mit Sitz in Deutschland ermöglicht, Ansprüche im eigenen Namen geltend zu machen, wenn der Betroffene zustimmt.

Zuständige Behörde:

Für die Kontrolle und Durchsetzung zuständig ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) mit Sitz in Eschborn. Aufsichtsbehörde ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi).

Berichtseinreichung und -prüfung:

Die Unternehmen müssen den Bericht dem BAFA zusenden, welches diesen zu prüfen hat.

Antragsrecht:

Bei einem Antrag von Personen, die substantiiert geltend machen, infolge der Nichterfüllung einer Sorgfaltspflicht in einer Rechtsposition verletzt zu sein oder eine Verletzung unmittelbar bevorsteht, muss das BAFA tätig werden.

Eingriffsrechte des BAFA:

Das BAFA kann Anordnungen und Maßnahmen treffen und hat Betretensrechte. Das Unternehmen hat gegenüber der BAFA Auskunftspflichten sowie Duldungs- und Mitwirkungspflichten.

Bußgelder und öffentliche Beschaffung:

Bei Verstößen gegen Sorgfaltspflichten können Geldbußen bis zu einem bestimmten Betrag des erzielten Gesamtumsatzes des Unternehmens geahndet werden. Unternehmen können bis zu drei Jahren von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden.

DER MITTELSTANDSVERBUND steht hinter dem von der Regierung verfolgten Ziel, Menschenrechte auf dem gesamten Globus zu schützen. Die Nationalstaaten, internationale Organisationen und jeder Akteur inklusive der Wirtschaft sind dieser globalen Aufgabe verpflichtet. Ganz allgemein ist jedoch festzustellen, dass ein nationaler Alleingang nur bedingt zur Zielerreichung geeignet ist und ungerechtfertigte Wettbewerbsnachteile und Risiken für in Deutschland ansässige Unternehmen befürchten lässt. So stellen die neuen unternehmerischen Sorgfaltspflichten erhebliche Belastungen für die betroffenen Unternehmen dar. Auch ist trotz der beabsichtigten Begrenzung auf große Unternehmen davon auszugehen, dass die Pflichten an Vertragspartner und damit an kleine und mittlere Unternehmen weitergegeben werden und damit über den Geltungsbereich des Gesetzes neue bürokratische Lasten entstehen.

Ganz klar zu kritisieren ist zudem der konkrete Referentenentwurf, denn er beinhaltet sehr umfassende und hochkomplexe Anforderungen an Unternehmen, die weit über die bislang veröffentlichten Inhalte hinausgehen. Das gilt insbesondere für folgende Punkte:

Unternehmerische Sorgfaltspflichten statt menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten:

Der Referentenentwurf erfasst nicht nur Menschenrechte – wie dies aber in dem Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) und dem Koalitionsvertrag vorgesehen ist – sondern auch zwei Umweltabkommen sowie „angemessene Löhne“, Streikrecht und Arbeitsschutz. Es geht nicht um „menschenrechtliche Sorgfaltspflichten“ und um eine 1:1- Umsetzung des NAP, sondern um neue umfassende unternehmerische Sorgfaltspflichten.

Verantwortung für gesamte Lieferkette, nicht nur tier-1:

Nach dem Entwurf werden Unternehmen für die gesamte Lieferkette Pflichten auferlegt und eine Beschränkung auf die erste Zulieferstufe (tier-1) findet nicht statt. Unternehmen müssen unverzüglich bei Kenntnis über Verletzungen einen umfangreichen Maßnahmenkatalog durchführen und haben somit eine rechtsverbindliche materielle Einwirkungspflicht auf die gesamte globale Lieferkette. Flankiert wird dies dadurch, dass NGOs und Gewerkschaften eine Prozess-Standschaft erhalten und sie sowie betroffene Personen (bspw. Arbeitnehmer in der Lieferkette aus Entwicklungs- und Schwellenländern) Beschwerden beim Unternehmen/externen Beschwerdemechanismus einreichen können. Auch erhalten betroffene Personen ein Antragsrecht bei der BAFA.

Auch eigener Geschäftsbereich in Deutschland und weltweit betroffen, nicht nur globale Lieferketten:

Der RefE erfasst nicht nur globale Lieferketten, sondern auch den gesamten eigenen Geschäftsbereich der Unternehmen in Deutschland und im Ausland. Auch hierzu greifen die neuen Sorgfaltspflichten.

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