MITTELSTANDSVERBUND enttäuscht über Leitlinien zur Vereinbarkeit des Genossenschaftswesens mit dem Kartellrecht

Die Zielsetzung des Koalitionsvertrages, das Genossenschaftswesen durch die Entwicklung von Leitlinien zu stärken, wurde nicht erfüllt.

Berlin, 03.11.2021 – Das Bundeskartellamt (BKartA) hat heute seine Leitlinien zur Vereinbarkeit des Genossenschaftswesens mit dem Kartellrecht veröffentlicht. Dazu Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts:

Der Sitz des Bundeskartellamtes in Bonn.„Genossenschaften ermöglichen es gerade kleineren Unternehmen, ihre Stellung im Markt zu stärken. Sie spielen in vielen Bereichen des Wirtschaftslebens in Deutschland eine wichtige Rolle und führen häufig auch zu einer Belebung des Wettbewerbs. Die besondere Organisationsform im genossenschaftlichen Verbund führt aber auch zu kartellrechtlichen Fragestellungen. Mit diesen Leitlinien wollen wir vor allem kleinen und mittelgroßen Genossenschaften Hinweise an die Hand geben, um besser einschätzen zu können, wo die Grenze zwischen zulässiger Kooperation einerseits und kartellrechtlich verbotenem Verhalten andererseits verläuft.“

Die Leitlinien erläutern anhand von Praxisbeispielen den Hintergrund, Zweck und die Reichweite des Kartellverbots und stellen die möglichen Spielräume für die genossenschaftliche Arbeit dar. Dabei wird Bezug genommen auf relevante Entscheidungen des Bundeskartellamts und der Europäischen Kommission. Außerdem enthalten die Leitlinien auch Orientierungshilfen bezüglich neuer digitaler Vertriebs- und Kooperationsformen.

Hintergrund:

Wegen unterschiedlicher Verfahren des BKartA gegen genossenschaftlich organisierte Unternehmen sowie mit Blick auf die offenen Fragen, die der Strukturwandel im Agrarhandelsbereich sowie das Erstarken des Onlinehandels mit sich bringen, sah der Koalitionsvertrag 2018 vor, dass Leitlinien für die Vereinbarkeit mit dem deutschen Kartellrecht entwickelt werden sollen. In diesen Auftrag der Regierungsparteien war DER MITTELSTANDSVERBUND bereits seit Beginn an eng eingebunden und hat – gemeinsam mit dem Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V. (DGRV) sowie dem Deutschen Raiffeisenverband e.V. (DRV) als weiteren Spitzenverbänden der Genossenschaften – die Interessen des kooperierenden Mittelstandes und der Verbundgruppen vertreten.

Licht

„Es ist zu begrüßen, dass das Bundeskartellamt mit den nun vorgelegten Leitlinien für die Vereinbarkeit des Genossenschaftswesens mit dem Kartellrecht den Versuch unternimmt, genossenschaftlich organisierten Unternehmen die Orientierung zu erleichtern, welche kartellrechtlichen Spielräume für Kooperationen innerhalb und außerhalb des genossenschaftlichen Verbandes bestehen. Allerdings wird die Zielsetzung des Koalitionsvertrages, das Genossenschaftswesen durch die Entwicklung von Leitlinien zu stärken, mit dem vorliegenden Entwurf insgesamt nicht erfüllt.“, so Dr. Marc Zgaga Geschäftsführer, DER MITTELSTANDSVERBUND.

Positiv hervorzuheben ist, dass das Amt die Relevanz und Wichtigkeit von Genossenschaften und Verbundgruppen in Deutschland grundsätzlich anerkennt und feststellt, dass Kooperationen innerhalb und außerhalb des genossenschaftlichen Verbandes eine Vielzahl von Effizienzen generieren und damit letztlich den Wettbewerb stärken können – dass es genossenschaftliche Besonderheiten gibt, dass Genossenschaften eine besondere Funktion haben und es Wertungen im Kartellrecht gibt, die eng mit dem genossenschaftlichen Förderauftrag verwandt sind.

Dr. Zgaga weiter dazu: „Herauszustellen ist dabei, dass das Bundeskartellamt seine Ausführungen nicht nur auf Unternehmen beschränkt, die in der Rechtsform der Genossenschaft im Sinne des Genossenschaftsgesetzes organisiert sind, sondern alle überbetrieblichen Organisationsformen für kleine und mittlere Unternehmen mit einem gemeinsamen Förderzweck, mithin sämtliche Verbundgruppen, einschließt. Insofern ist es auch folgerichtig, dass das Bundeskartellamt in dem Entwurf der Leitlinien allgemein von Genossenschaften und genossenschaftlichen Verbundgruppen spricht.“

... und Schatten

Diese positiven Ansätze werden jedoch entweder durch Folgeaussagen in den Leitlinien so stark relativiert, dass der Aussagegehalt der Leitlinien gering bleibt, in dem z.B. die kartellrechtlichen Grenzen als Drohkulisse angeführt werden – verbunden mit dem mahnenden Hinweis, dass Genossenschaften vom Kartellrecht nicht ausgenommen sind – oder es erfolgt eine Relativierung durch eine Vielzahl an Verweisen auf Einzelfallprüfungen. Dies gilt z.B. für den für gewerbliche Verbundgruppen besonders relevanten Bereich des gemeinsamen Online-Vertriebs unter einer Dachmarke. Die diesbezüglichen Forderungen des MITTELSTANDSVERBUNDES nach einer Liberalisierung wurden hier bedauerlicherweise nur im Ansatz und auch nur in sehr vager und damit rechtlich unbestimmter Weise in die Leitlinien aufgenommen. So heißt es in den Leitlinien unter dem Punkt „Gestaltungsmöglichkeiten für gemeinsame Vertriebsplattformen“ (Rdn. 114 und 115):

Soweit ein Abweichen von den Preisvorgaben nicht möglich ist, kommt ausschließlich die Einzelfreistellung in Betracht. Dies bedeutet, dass die einheitliche Preissetzung auf der Plattform unerlässlich sein muss, um Effizienzvorteile zu erzielen, welche die Wettbewerbsbeschränkung überwiegen sowie den Verbrauchern zugutekommen müssen, ohne den Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der Waren auszuschalten. Dies ist zwar grundsätzlich denkbar, aufgrund der hohen Anforderungen dürfte die Einzelfreistellung aber eher die Ausnahme sein. Insbesondere dürfte es in der Praxis in der Regel andere, weniger restriktive Maßnahmen geben, um das Ziel zu erreichen.

Unabhängig von der Rechtsform kann bspw. in Franchise- und ähnlichen Vertriebssystemen, bei denen die Vertriebsmethoden einheitlich vorgegeben sind, eine kurzfristige Vereinheitlichung des Aktions-verkaufspreises zulässig sein, wenn sie der Koordination einer kurzfristigen Sonderangebotskampagne dient. Dies kann nach Auffassung des Bundeskartellamtes im Einzelfall auch dann zutreffen, wenn verschiedene Händler einen gemeinsamen Internetauftritt unter einer einheitlichen Dachmarke haben.

Hinzu kommt, dass durch die plakative Darstellung und Erläuterungen von besonderen Ausnahmesachverhalten der (falsche) Eindruck entsteht, dass der besondere Einzelfall in der kartellrechtlichen Betrachtung als Ausnahme zum Regelfall wird und dadurch ein genereller Vorrang des Kartellrechts vor dem Genossenschaftsrecht bestünde.

Zwar stellt das Bundeskartellamt in den Leitlinien richtigerweise auch auf den sogenannten Immanenzgedanken ab, wodurch wettbewerbsbeschränkende Vertragspflichten und Verhaltensweisen der einen oder anderen Vertragspartei hingenommen werden können, wenn sie denknotwendig mit der Vertragsbeziehung verbunden sind. Das Bundeskartellamt verneint indes das vom Bundesgerichtshof (BGH) und vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) entwickelte Genossenschaftsprivileg als besondere Ausprägung des Immanenzgedankens. Damit wendet das Bundeskartellamt in den Leitlinien sowie den dortigen Ausführungen nur den allgemeinen Immanenzgedanken auf Genossenschaften an, trägt aber den Besonderheiten des Genossenschaftswesens nicht hinreichend Rechnung.

Die Darstellung in den Leitlinien erscheint insgesamt durch die Vielzahl an Vorbehalten und Relativierungen wenig ausgewogen, obwohl generell weder dem Genossenschaftsgesetz noch dem Kartellrecht ein Vorrang zukommt. Es fehlt eine klare Abgrenzung zulässigen Verhaltens von unzulässigem Verhalten wie sie beispielsweise die EU-Kommission in ihren Leitlinien zur Anwendbarkeit des Kartellverbots auf horizontale und vertikale Vereinbarungen vornimmt. Dies dürfte bei Genossenschaften und Verbundgruppen nicht zu mehr Rechtssicherheit, sondern eher zu Verunsicherung führen. Weniger Vergangenheitsbetrachtung und mehr Zukunftsorientierung der Leitlinien wären wünschenswert gewesen.

DER MITTELSTANDSVERBUND wird die neuen Leitlinien zum Anlass nehmen, seine Mitglieder über die dortigen Inhalte und Fallgestaltungen in den nächsten Wochen und Monaten weitergehend zu informieren.    

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