Neue Impulse? Der Koalitionsvertrag auf dem Prüfstand

Am Morgen des 07. Februar einigten sich CDU/CSU und SPD auf einen Koalitionsvertrag(-entwurf). Was wird die Neuauflage der nunmehr in greifbare Nähe gerückten GroKo für den Mittelstand bringen? Ein Interpretationsversuch.

Berlin, 16.02.2018 – Müde sahen sie aus – als die Vertreter der Koalitionäre am Morgen des 07. Februar vor die Kameras traten, konnte man Ihnen die Strapazen der letzten Tage und Wochen ansehen. Neue Impulse sollten – und mussten gesetzt werden. Getrieben durch die jüngsten Umfragewerte sollte nun "ein Ruck durch Deutschland gehen".

Was wird die Neuauflage der nunmehr in greifbare Nähe gerückten GroKo für den Mittelstand bringen? Ein Interpretationsversuch. Doch ist dies den Koalitionären tatsächlich gelungen? Wieviel Mittelstand steckt in dem endgültigen Papier? Die letzte Frage könnte zunächst formal beantwortet werden: 27-mal taucht der Begriff "Mittelstand" im Koalitionsvertrag auf. Fraglich bleibt allein, ob die Formalie verspricht, was sie hält.

Europa

Am Anfang des Koalitionsvertrags steht zunächst ein starkes Bekenntnis zu Europa und dessen Grundgedanken von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit. Dieses Leitbild wird ergänzt durch einen weiteren Gedanken: Der Steuergerechtigkeit in der digitalen Welt. So unterstützen die Koalitionspartner eine "gerechte Besteuerung großer Konzerne, gerade auch der Internetkonzerne wie Google, Apple, Facebook und Amazon." Diesem Bekenntnis schließt sich DER MITTELSTANDSVERBUND an. Denn die vielen im Laufe der Jahre entwickelten Praktiken zur Reduzierung von Steuern – oder gar der vollständigen Vermeidung – bei internationalen Konzernen drohen gerade den kooperierenden Mittelstand in seinen Bestrebungen zu beeinträchtigen, tragfähige und nachhaltige Multichannel-Konzepte aufzubauen. Was der Koalitionsvertrag dagegen auslässt, sind schlüssige Konzepte zur Abschaffung dieses untragbaren Ist-Zustandes.

Doch Hilfe ist in Sicht: Noch im ersten Halbjahr 2018 will die EU-Kommission Vorschläge unterbreiten, die auf eine gerechtere Besteuerung gerade im Online-Handel abzielt. Im besten Fall könnten danach die Umsätze an dem Ort versteuert werden, an dem sie entstehen. Gerade für Online-Plattformen könnte dies zu einer erheblichen Verringerung der momentan noch möglichen Freiräume in der Gestaltung der Steuerlast führen.

Unternehmenssanktionen

Eine Passage im letzten Drittel des Koalitionsvertrages lässt aufhorchen: die geplante Verschärfung von Unternehmenssanktionen. So sollen Fehlverhalten von leitenden Organen in Unternehmen schärfer bestraft werden können – statt der aktuell bestehenden starren Grenzen bei Bußgeldern sollen diese flexibler (nach oben) gestaltet werden können und sich am Unternehmensumsatz orientieren.

Weiterhin sollen die zuständigen Behörden in Fällen mutmaßlicher Wirtschaftskriminalität zu einer Verfolgung verpflichtet sein. Dies hätte eine klare Abkehr vom derzeit geltenden Opportunitätsprinzip zur Folge, nachdem die Behörden nach eigenem Ermessen entscheiden können, ob ein vermuteter Verstoß verfolgt und geahndet wird. Als Korrektiv sollen auf der anderen Seite "spezifische Regelungen über Verfahrenseinstellungen" geschaffen werden, um der Justizpraxis die notwendige Flexibilität in der Verfolgung einzuräumen.

DER MITTELSTANDSVERBUND sieht ein solches Vorgehen nicht ohne Skepsis. Klar ist, dass eine starke Marktüberwachung Grundvoraussetzung für einen fairen Wettbewerb darstellt. Auf der anderen Seite könnten gerade für mittelständische Unternehmen Planungsrisiken entstehen. Je nach Ausgestaltung des neuen Sanktionenrechts könnten erleichterte (vorläufige) Abschöpfungsmöglichkeiten der Behörden bei den Unternehmen notwendige finanzielle Mittel auf unbestimmte Zeit binden.

Zudem besteht die Gefahr einer erheblichen Reputationseinbuße aufseiten der Unternehmen. Die künftige Bundesregierung müsste daher genauestens auf die drohenden Unternehmenseinbußen – materiell und immateriell – achten, um nicht wiedergut zu machende Zustände in den Unternehmen zu vermeiden.

Verhinderung von Missbrauch

Positiv bewertet DER MITTELSTANDSVERBUND das Versprechen der Koalitionäre, den Missbrauch des bewährten Abmahnrechts zu verhindern. Dies ist seit langem zentrale Forderung vieler Verbände und wurde zuletzt in einem gemeinsamen Positionspapier im Sommer 2017 artikuliert. Auch wenn sich die unterzeichnenden Verbände für das System der privaten Rechtsdurchsetzung weiterhin einsetzen, muss in jedem Fall vermieden werden, dass dieses System zu einem fragwürdigen Geschäftsmodell verkommt.

Genossenschaften

Ebenfalls positiv hervorzuheben, sind die Ansätze der Koalitionäre hinsichtlich des Genossenschaftswesens: "Wir wollen Genossenschaften als nachhaltige und krisenfeste Unternehmensform in den unterschiedlichsten Wirtschaftsbereichen stärken.", so die Ansage im Koalitionsvertrag. Weiterhin solle die Vereinbarkeit des Genossenschaftswesens mit dem Kartellrecht gestärkt werden. DER MITTELSTANDSVERBUND sieht hier einen Ansatzpunkt, die bestehenden strukturellen Mängel von Genossenschaften und anderen Kooperationsformen gegenüber anderen Marktteilnehmern zu beseitigen.

Digitaler Mittelstand

Äußerst positiv wird das Vorhaben der Einrichtung eines Digital Hubs gewertet. Erfreulich ist die Förderung des Austausches zwischen Mittelstand und Gründern – ein Ansatz, den DER MITTELSTANDSVERBUND bereits gegenüber der Bundesregierung artikuliert und hierzu bereits konkrete Ansätze unterbreitet hat. Auch der Plan bezüglich besserer Unterstützung des Mittelstands bei der IT-Sicherheit sendet positive Signale.

E-Privacy-Verordnung und elektronisches Marketing

Die künftige Bundesregierung will sich zudem für eine innovationsfreundliche Anwendung der geplanten EU-E-Privacy-Verordnung einsetzen. Dieses Vorhaben muss gleiche Voraussetzungen für alle Marktteilnehmer insbesondere im Umgang mit Cookie-Daten beinhalten. Zudem muss das geplante EU-Vorhaben im Sinne der bald in Kraft tretenden Datenschutz-Grundverordnung in Einklang stehen. Letztere legt zwar einen hohen Datenschutzstandard vor, gewährleistet jedoch nach bisheriger Einschätzung ein datenbasiertes Marketing, wie es die Unternehmen auch bislang bereits kennen und unbedingt benötigen.

E-Mobilität

Hinsichtlich der Pläne rund um das Thema "E-Mobilität" muss die Förderabsicht der Bundesregierung weiter im Auge behalten werden. Geplant ist ein flächendeckender Ausbau der Lade- und Tankinfrastruktur. Zudem soll die Einrichtung von privaten Ladesäulen gefördert werden. Hierbei legt DER MITTELSTANDSVERBUND bereits vor: Im Rahmen des Projektes "Klimaprofi für den Mittelstand" werden seit November 2017 den definierten Zielgruppen (Fleischer, Apotheker, Bäcker, Friseure und Kfz-Werkstätten) die Möglichkeit geboten, E-Fahrzeuge kostenlos für eine Woche in ihrem Arbeitsalltag zu testen.

Fazit

DER MITTELSTANDSVERBUND bewertet den Entwurf des Koalitionsvertrags vom 07. Februar 2018 als fruchtbare Grundlage, um eine mittelstandsfreundliche Politik zu gestalten. Er beinhaltet viele gute und wichtige Ansätze und spiegelt zahlreiche Forderungen des MITTELSTANDSVERBUNDs wider. Allerdings: Der wirkliche Mehrwert wird sich erst in der Umsetzung zeigen. DER MITTELSTANDSVERBUND wird daher auch in dieser Legislaturperiode auf einen Ausgleich zwischen den sozialen Interessen auf der einen und unternehmensgerechten Lösungen auf der anderen Seite bestehen.

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