Neuerungen im Europäischen Wettbewerbsrecht: Kommission kann nicht Verbund

Die ersten Entwürfe der EU-Kommission für die Novelle des europäischen Wettbewerbsrechts zeugen weiterhin von Unverständnis, wenn es um die Belange von Verbundgruppen geht. Insbesondere die strukturellen Nachteile von Kooperationen gegenüber integrierten Handelsketten werden weiterhin nicht gesehen.

Brüssel, 21.07.2021: Seit mehr als zwei Jahren laufen in der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission die Vorarbeiten für die Novelle eines gerade für Verbundgruppen essenziellen Regelwerks: die europäische Gruppenfreistellungs-Verordnung für vertikale Vereinbarungen (GVO-Vertikal) und deren Leitlinien. 

Es geht (auch) um die Wurst

In den Medien spielt das Wettbewerbsrecht immer wieder eine Rolle. Ob Preisabsprachen auf dem Zementmarkt, Bier- und Wurstkartelle oder auch Preisparitätsklauseln auf großen Online-Plattformen; Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen von Vertragspartnern haben hohes Potential, den Wettbewerb insgesamt zu beschränken. Auf europäischer aber auch auf deutscher Ebene bestehen daher eine Reihe Regeln, die bestimmte Verhaltensweisen als wettbewerbsbeschränkend und damit unzulässig ansehen.

Die GVO-Vertikal ist hierbei eine Spezialregelung für Vertragsbeziehungen entlang von Wertschöpfungsketten. Die Verordnung gibt vor, was Produzenten aber auch Großhändler oder Verbundgruppen-Zentralen mit ihren Vertragspartnern, Mitgliedern oder Anschlusshäusern vereinbaren dürfen. Denn: Einzelne Vereinbarungen zwischen Marktteilnehmern können auch nach Ansicht der EU-Kommission wettbewerbsfördernd sein. So legt die GVO-Vertikal beispielsweise fest, unter welchen Voraussetzungen ein Produzent Verkaufsgebiete und -Kanäle festlegen darf, um sein Markenimage zu erhalten.

Die Leitlinien zur GVO-Vertikal enthalten dabei Fallbeispiele, wie die einzelnen Regelungen der Verordnung auszulegen und anzuwenden sind. Anders als die meisten europäischen Verordnungen hat die GVO-Vertikal dabei eine Besonderheit: sie hat ein Verfallsdatum. So läuft die aktuelle Fassung der GVO-Vertikal am 31. Mai 2022 aus. Allerhöchste Zeit also, dass sich der Europäische Gesetzgeber ans Werk macht, eine Neufassung der bestehenden Regeln vorzustellen.

Verbundgruppen als strukturell Benachteiligte im Wettbewerbsrecht

Mit Blick auf Verbundgruppen ist in diesem Zusammenhang immer wieder die Frage relevant, inwieweit Verkaufspreise innerhalb einer Kooperation festgesetzt werden können. Die GVO-Vertikal gibt hierzu einige Möglichkeiten, die aktuell jedoch zum einem äußerst restriktiv ausgelegt werden und zum anderen in wenigen Fällen tatsächlich zur Anwendung kommen. Im Ergebnis bleibt damit vielen Verbundgruppen eine einheitliche Preispolitik und damit eine schlüssige Kunden-Kommunikation verschlossen. DER MITTELSTANDSVERBUND sieht hierin eine strukturelle Benachteiligung von Verbundgruppen. Denn integrierte Handelsketten aber auch Hersteller können seit jeher und völlig selbstverständlich online und stationär mit einheitlichen Preisen werben. Die Lage verschärft sich zunehmend, da gerade Kunden gerade im E-Commerce ein schlüssiges und flächendeckendes Angebot erwarten. Unterschiedliche Preise für dasselbe Produkt sind dabei ein Hindernis. 

Seit Jahren setzt sich daher der Spitzenverband des kooperierenden Handels für eine Öffnung der GVO-Vertikal in diesem Zusammenhang ein. „Wenn eine Verbundgruppe und Ihre Anschlusshäuser unter derselben Marke oder Dachmarke organisiert sind, kann ein effektiver Online-Shop, der wettbewerbsfähig ist, nur dann funktionieren, wenn die Produkte zu einem für alle Anschlusshäuser verbindlichen Preis auf dem Online-Shop angeboten werden. In diesem Bereich der überbetrieblichen Zusammenarbeit ist eine vertikale Preisbindung notwendig, um die Verbundgruppe im Wettbewerb gegenüber filialisierten Handelssystemen und großen Online-Plattformen zu stärken.“ meint auch Tim Geier, Geschäftsführer Büro Brüssel, DER MITTELSTANDSVERBUND.

Erster Aufschlag der EU-Kommission

Nach langen Diskussionen und einer umfassenden Konsultationsphase hat die EU-Kommission nunmehr einen ersten „Draft“ sprich: eine Vorfassung des eigentlichen Vorschlags zur Diskussion gestellt. Der eigentliche Vorschlag soll dann im Herbst 2021 veröffentlicht und in das Gesetzgebungsverfahren eingespeist werden.

Online als neuer Fokus

Wenig überraschend, befasst sich die EU-Kommission in ihrer Revision mit Thematiken aus der Plattform-Ökonomie. So wurden Grundsätze, die der Europäische Gerichtshof im Zusammenhang mit Preisparitätsklauseln und Plattformverbote festgelegt hat, nunmehr in den Rechtstext aufgenommen. 

Zudem schlägt die EU-Kommission einige Neuerungen im Bereich des Doppelpreis-Systems vor. Hierunter ist die Thematik zu verstehen, inwieweit ein Hersteller die Vertriebskanäle „Online“ und „Offline“ unterschiedlich behandeln darf. Bislang war es einem Hersteller danach untersagt, unterschiedliche Großhandelspreise für Online- und Offline-Verkäufe ein und desselben Vertriebshändlers festsetzen. Dies soll sich zukünftig ändern, sofern dies als Anreiz oder als Vergütung für angemessene Investitionen dienen soll und im Verhältnis zu den Kosten des jeweiligen Vertriebskanals steht. Gerade für den stationären Handel könnten damit neue Anreizsysteme geschaffen werden, um in Produktpräsentation aber auch Mitarbeiter-Weiterbildung zu investieren und somit das Markenimage der Hersteller zu stärken aber auch insgesamt ein besseres Kunden-Erlebnis zu schaffen. Eine Grenze wird lediglich in Fällen gezogen, in denen ein Doppelpreis-System zum Ausschluss des Online-Vertriebskanals führt.

Preisbindung: Fehlanzeige!

Die EU-Kommission befasst sich hingegen in den zahlreichen Anpassungen der GVO-Vertikal in keiner Weise mit der restriktiven Handhabung von Preisbindungsverboten bei Verbundgruppen. „Eine völlige Ignoranz des Themas ist unverständlich, befasst sich die Europäische Kommission doch auch in den anderen Regelungsbereichen mit der wachsenden Relevanz des E-Commerce.“, meint auch Tim Geier. „Nunmehr den für Verbundgruppen unhaltbaren Zustand weiter aufrechtzuerhalten, erscheint mehr als fahrlässig.“ so Geier weiter.

Rückenwind für sein Petitum bekommt DER MITTELSTANDSVERBUND dabei von hoher Stelle: „Angesichts der weiterhin vorgetragenen Unsicherheiten über die Reichweite des Preisbindungsverbots und mögliche Fälle einer Einzelfreistellung könnte es sinnvoll sein, die europäischen Leitlinien in diesem Bereich zu ergänzen.“ stellte bereits 2019 Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts fest.

DER MITTELSTANDSVERBUND wird daher die anstehende Diskussion nutzen, um erneut auf die Notwendigkeit der Schaffung eines Level Playing Fields sprich: gleicher Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer hinzuweisen. 

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