Sondierung in Berlin – alte Umverteilungsträume statt Aufbruch zu neuen Ufern

Die Ergebnisse der Sondierung von CDU, CSU und SPD über eine erneute große Koalition sind ein mutloser Kompromiss mit starker sozialer Schlagseite. Die Kosten einiger vereinbarter Projekte werden bislang nicht genannt – hier muss in den Koalitionsverhandlungen Transparenz geschaffen und eventuell der Mut zur Korrektur gefunden werden.

Berlin, 19.01.2018 – Die Sondierungen von CDU, CSU und SPD über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zur Neuauflage der großen Koalition sind beendet. Vor allem in der SPD werden die Ergebnisse nach wie vor sehr kritisch diskutiert. Aus Sicht des MITTELSTANDSVERBUNDES haben die Sozialdemokraten jedoch eine Vielzahl Ihrer Forderungen durchsetzen können – nicht unbedingt zur Freude der mittelständischen Wirtschaft. Schließlich lassen viele Projekte, besonders im Bereich Arbeit und Soziales, Kostensteigerungen für Arbeitgeber erwarten.

Sondierung in Berlin – alte Umverteilungsträume statt Aufbruch zu neuen UfernDER MITTELSTANDSVERBUND bewertet diese Punkte des Sondierungspapiers als besonders relevant für den kooperierenden Mittelstand:

  • Europa

Im Kapitel „Europa“ konnte vor allem die SPD einige ihrer Forderungen durchsetzen. So ist unter anderem ein „Sozialpakt“ geplant, der Lohndumping und soziale Ungleichheiten bekämpfen soll. Zu befürchten ist hier vor allem wachsende Bürokratie. Die Entsendung von Mitarbeitern ins europäische Ausland sowie der Einsatz von EU-Arbeitnehmern in Deutschland könnte – wie das französische Beispiel aktuell zeigt – komplizierter und teurer werden.

Positiv zu vermerken ist, dass die Sondierer sich deutlich zur Bekämpfung von Steuerbetrug und -vermeidung, vor allem durch die großen Internetkonzerne bekennen. Damit greifen sie eine Forderung des MITTELSTANDSVERBUNDES auf. Nun müssen Taten folgen, um im Wettbewerb zwischen Mittelstand und internationalen Akteuren gleiche Bedingungen zu schaffen.

Relevant für Verbundgruppen kann auch die geplante Einführung einer Finanztransaktionssteuer werden, über die bereits seit einigen Jahren intensiv diskutiert wird. Auch der Kauf beziehungsweise Verkauf von Gesellschafts- und Genossenschaftsanteilen könnte hierunter fallen.

Eine klare Aussage gibt es auch zum EU-Haushalt: Dieser soll Strukturreformen in der Eurozone mit Investitionen unterstützen können. Dabei sei Deutschland auch zu höheren, bislang noch unbezifferten Beiträgen bereit.

  • Wirtschaft, Digitalisierung, Bürokratie, Verkehr und Infrastruktur

Die künftigen Koalitionäre erklären Vollbeschäftigung zu ihrem Ziel. Die Sozialabgaben sollen hierzu bei unter 40 Prozent stabilisiert werden. Eine geplante Fachkräftestrategie soll unter anderem die berufsbezogene Weiterbildung stärken und dafür Arbeitnehmer und Arbeitgeber in die Verantwortung nehmen. Auch ein „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ zum gesteuerten Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte ist geplant.

Positiv ist das klare Bekenntnis zum „freien und fairen Welthandel“ und die Ablehnung von Protektionismus. Das europäisch-kanadische Handelsabkommen CETA wird dabei als Vorbild genannt. Es bleibt abzuwarten, wie sich dies in Realpolitik, etwa in den anstehenden Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich zum Brexit, umsetzen lässt.

Als weiterer positiver Punkt ist zu verzeichnen, dass die Sondierer die Gründungskultur in Deutschland fördern wollen. Auch dies ist ein Punkt von der Forderungsliste des MITTELSTANDSVERBUNDES. Als mögliche Maßnahmen werden so etwa der Abbau von Bürokratie insbesondere in der Gründungsphase sowie eine Unterstützung von Neugründern und Unternehmensnachfolgern genannt.

Das Kartellrecht soll in Bezug auf die Digitalisierung und Globalisierung modernisiert werden, dabei soll es mit dem Genossenschaftswesen vereinbar sein. Für die Kooperationen des Mittelstands ist dies ein Kernthema. DER MITTELSTANDSVERBUND wird sich aktiv einbringen.

Geplant ist auch eine steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung mit dem Fokus auf kleine und mittlere Unternehmen – „Investitionen in die Digitalisierung“ sollen durch steuerliche Anreize unterstützt werden. Dieser Plan kann Chancen für die Verbundgruppen und ihre Mitglieder bieten.

  • Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht

Hier werden die allgemeinen Bekenntnisse zur Vollbeschäftigung konkretisiert. Neben einzelnen Lichtblicken sind in diesem Kapitel vor allem Lasten für Arbeitgeber, Sozialsysteme und den Steuerzahler zu finden. Die SPD konnte viele ihrer Forderungen durchsetzen.

Als Beitrag zur Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge wird konkret eine Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung um 0,3 Prozent angekündigt.

Die Bundesagentur für Arbeit soll, wie von der SPD seit Jahren gefordert, zu einer staatlichen Weiterbildungsagentur umgebaut werden. Auch die Betriebsräte sollen beim Thema Weiterbildung zusätzliche Rechte erhalten.

Die Digitalisierung soll für „mehr und bessere Arbeit“ genutzt werden. Im Arbeitszeitgesetz sollen „Experimentierräume“ für flexiblere Arbeitszeiten geschaffen werden – unter Mitwirkung der Tarif- und Betriebsparteien. Hier fehlt der Politik offenbar der Mut, die im europäischen Rahmen möglichen Lockerungen selbst vorzunehmen. DER MITTELSTANDSVERBUND bedauert dies ausdrücklich.

Ein sehr detaillierter Vorschlag zum Recht auf befristete Teilzeit lässt befürchten, dass die Sondierer dieses bereits in der vergangenen Wahlperiode angestoßene Projekt recht schnell angehen werden. Der Anspruch soll in Unternehmen mit mehr als 45 Mitarbeitern greifen, bei bis zu 200 Mitarbeitern soll die Zahl der berechtigten Mitarbeiter begrenzt werden.

  • Soziales, Rente, Gesundheit und Pflege

Auch hier konnte die SPD deutliche Akzente setzen. Sie will die Rentenformel anpassen, um auch langfristig eine "doppelte Haltelinie bei Beitrag und Niveau“ einzuziehen. Eine Aussage zur Finanzierung, aber auch zum Renteneintrittsalter fehlt an dieser Stelle. Mit einer „Grundrente“ sollen Versicherte, die mindestens 35 Jahre lang Beiträge gezahlt oder Zeiten der Kindererziehung beziehungsweise Pflege nachweisen, 10 Prozent oberhalb der Grundsicherung versorgt werden.

Weder die prognostizierten Kosten noch Ideen zur Finanzierung dieser Grundrente sind im Sondierungspapier zu finden. Unbeziffert ist auch die geplante Ausweitung der Mütterrente, eine Kernforderung der CSU. Es steht zu befürchten, dass diese Projekte zu Lasten der Beitragszahler gehen.

Geplant ist zudem die ebenfalls lange diskutierte Altersvorsorgepflicht für Selbständige. Diese soll als opt-out-Lösung gestaltet sein: Wer nicht eine andere geeignete insolvenzsichere Vorsorge nachweist, muss in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Hier wird es auf die konkrete Ausgestaltung ankommen – DER MITTELSTANDSVERBUND ist bei diesem Thema aktiv. Positiv ist, dass bereits im Sondierungspapier anerkannt wird, dass dabei auch die Krankenversicherungsbeiträge gerade für kleine Selbständige reduziert werden müssen.

In der Gesundheitspolitik konnte sich die SPD zwar mit ihrer Forderung nach einer Bürgerversicherung nicht durchsetzen, jedoch wurde die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung in der Krankenversicherung und damit eine Kostensteigerung für Arbeitgeber vereinbart.

  • Finanzen und Steuern

Positiv ist, dass der Solidaritätszuschlag zumindest für circa 90 Prozent und damit den Großteil der Steuerzahler abgeschafft werden soll. Leider verbleibt ein fader Beigeschmack, da auf diesem Wege – ohne es explizit so zu nennen – dieser faktisch als eine Art „Reichensteuer“ verbleibt.

Ausgabenschwerpunkte der kommenden Wahlperiode sollen Bildung und Digitalisierung (knapp sechs Milliarden Euro), Familie und Soziales (12 Milliarden Euro), Bauen und Wohnen (vier Milliarden Euro), Landwirtschaft, Verkehr und Kommunen (12 Milliarden Euro), Internationale Sicherheit und Entwicklung (zwei Milliarden Euro) sowie die Entlastung der Bürger durch teilweise Abschaffung des Soli (10 Milliarden Euro) sein.

Bemerkenswert ist hier, dass die Projekte aus der Rentenpolitik nicht mit benannt sind, was eine Finanzierung durch den Beitragszahler befürchten lässt.

  • Innen, Recht und Verbraucherschutz

Für den kooperierenden Mittelstand ist in diesem Kapitel besonders relevant, dass die Sondierer Themen der Digitalisierung angehen wollen: Dies reicht von der IT-Sicherheit bis zu gesellschafts- und haftungsrechtlichen Fragen. Schwerpunkt wird auch der digitale Verbraucherschutz sein.

Die Musterfeststellungsklage ist ebenfalls geplant – es ist zu befürchten, dass der noch Ende der letzten Wahlperiode von Bundesjustizminister Heiko Maas vorgelegte Entwurf aufgegriffen wird.

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