Widerrufsrecht: Nichts ist für die Ewigkeit – oder doch?

Die Zinsen sind niedrig – derzeit. Das war nicht immer so. So kann es sich lohnen, aus einem älteren Darlehensvertrag auszusteigen und ein neues Darlehen aufzunehmen, für welches in der Regel viel weniger zu zahlen ist. Die Möglichkeit dazu könnte bestehen, wenn das kreditgebende Institut bei dem Vertragsschluss eines Fernabsatzvertrages Fehler gemacht hat. Und das – so die Leseart der BGH Rechtsprechung – auf ewig. Diese Rechtsprechung bestätigte der EuGH allerdings nun nicht.

Luxemburg, 17.09.2019 – Hintergrund: Bereits im Jahr 2007 hatte ein Ehepaar einen Darlehensvertrag mit der DSL Bank geschlossen. Im Jahr 2016 widerriefen sie diesen aufgrund formaler Fehler und forderten von der Bank sämtliche gezahlte Zinsen und Gebühren zurück.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat das Widerrufsrecht für Kreditverträge präzisiert.Ihren Anspruch stützten sie auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) welche besagt, dass ein Verbraucher, der bei dem Abschluss eines Kreditvertrages im Fernabsatz nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht informiert wurde, auf „ewig“ den Vertrag widerrufen könne. Daran, so die Karlsruher Richter, ändere auch Erfüllung nichts.

Zwar gab es bereits ein Gesetz, welches das ewige Widerrufsrecht eingeschränkt hatte, dieses aber war recht kompliziert ausgefallen. So gab es für verschiedene Zeiträume verschiedene Regelungen. Verträge, die zwischen Herbst 2002 und dem 10. Juni 2010 abgeschlossen wurden, können seit dem 21. Juni 2016 nicht mehr widerrufen werden. In der Zeit davor war dies aber möglich - so wie im nun beschriebenen Fall.

Zum 11. Juni 2010 hat das Widerrufsrecht grundlegende Änderungen erfahren, sodass es nach deutscher Rechtslage für die ab dem 11. Juni 2010 abgeschlossenen Verträge bei dem „ewigen Widerrufsrecht“ geblieben ist, wenn die Widerrufsinformationen fehlerhaft waren. Dies, weil etwa fristauslösende Pflichtangaben nur teilweise beziehungsweise beispielhaft genannt wurden. Denn die Widerrufsfrist beginnt erst nach Erhalt aller – vollständigen und richtigen – Pflichtangaben zu laufen.

Entsprechend dürfte die aktuelle nationale Rechtslage dahingehend zu verstehen sein, dass Verträge, die nach dem 11. Juni 2010 geschlossen wurden, angreifbar sind und davor geschlossene Verträge bis zum 21. Juni 2016 angreifbar waren. Und zwar auch dann, wenn der Vertrag von beiden Seiten schon vollständig erfüllt wurde.

Vollständig erfüllt war auch der hier dargestellte Fall, der zunächst vor dem Landgericht Bonn verhandelt wurde. Dessen Richter hinterfragten die nationale Gesetzgebung und bezweifelten, dass diese mit der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher (2002/65) in Einklang stehe. Demnach haben die Mitgliedsstaaten Sorge dafür zu tragen, dass das Widerrufsrecht bei Verträgen, die auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers von beiden Seiten voll erfüllt sind, ausgeschlossen ist, bevor der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt. 

Folgerichtig setzte das Landgericht Bonn den Fall aus und legte die Sache dem EuGH zur Klärung vor. Von dort kam am 11. September 2019 (Az.: C-143/18) die klare Antwort: Die Auslegung des BGH widerspricht der Richtlinie. Das Widerrufsrecht habe Grenzen, welche im vorliegenden Fall überschritten seien.

Das Urteil ist in erster Linie für Verbraucher interessant. Allerdings hat dies auch zumindest mittelbare Auswirkungen auf den kooperierenden Handel: Denn ein ewiges Widerrufsrecht von Darlehensverträgen zieht automatisch auch ein ewiges Widerrufsrecht von damit verbundenen Verträgen nach sich. Etwa wenn der Verbraucher sich eine Küche finanziert – bei einem wirksamen Widerruf des Darlehensvertrages erlischt auch der Kaufvertrag. Dass diese Möglichkeit nunmehr eingeschränkt wird, dürfte somit begrüßenswert sein.

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