Prof. Hüther: Deutschland 2014 - Eine Menge Baustellen

Die gute wirtschaftliche Entwicklung der letzten Monate bedeutet nicht, dass die Politik die Hände in den Schoß legen kann. Wo der Direktor des IW Köln die größten Baustellen sieht, erklärt Prof. Dr. Michael Hüther in einem exklusiven Gastbeitrag für die SynergienNews.

Köln, 09.05.2014 — Auf den ersten Blick betrachtet stellt sich die aktuelle Lage der deutschen Wirtschaft sehr gut dar: Dank ihres industriebasierten, dienstleistungsergänzten und exportorientierten Geschäftsmodells ist die deutsche Volkswirtschaft gut durch die europäische Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen.

Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor des Insituts der Deutschen Wirtschaft KölnDie Anzahl der Beschäftigten liegt auf einem Rekordniveau und dürfte robust bleiben. Die Wirtschaft wächst zwar momentan eher langsam, wird aber im Laufe des Jahres 2014 in Schwung kommen. Auch die Finanzlage des Staates und der Sozialversicherungen ist gut, denn die Steuereinnahmen klettern - unter anderem wegen der kalten Progression - auf immer neue Höchststände. Deswegen ist der Staatshaushalt bereits seit 2012 ausgeglichen und wird dies wohl auch in den kommenden Jahren bleiben. Zudem konnte die Politik aufgrund der äußerst positiven Einnahmenentwicklung bei der Rentenkasse den Beitragssatz in mehreren Schritten um einen Prozentpunkt auf 18,9 Prozent senken.

Allerdings stellen diese erfreulichen Entwicklungen keinen Anlass für die Politik dar, die Hände in den Schoß zu legen - im Gegenteil. Zwar ist die Ausgangslage scheinbar exzellent, doch die deutsche Volkswirtschaft steht erheblichen Herausforderungen gegenüber, die sich noch nicht in den oben genannten Kennzahlen niederschlagen. Leider zeichnet sich die aktuelle Politik in vielen Bereichen durch Nichtstun und, schlimmer, durch Wahlgeschenke aus, die schädlich für Beschäftigung und Wachstum in Deutschland sind.

Zum einen ist eine verlässliche Politik notwendig, um Unternehmen nicht von Investitionen abzuschrecken. Investitionen sind der Grundstein, um langfristig das Wohlstandsniveau in Deutschland zu sichern. Von Verlässlichkeit ist nur leider wenig zu sehen: Das energiepolitische Desaster, zweifelhafte Vorschläge in Steuer-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik im Zuge der Bundestagswahl sowie geplante Finanzmarktregulierungen verunsichern viele Unternehmen. Keine Frage also, dass diese sich betont vorsichtig durch die letzten Jahre bewegten. Vorausschauende Erhöhungen des Eigenkapitals und die Verbesserung der Liquidität verdrängten Investitionsprojekte von ihrer Agenda, mit der Folge, dass die Nettoanlageinvestitionen in den letzten zwei Jahrzehnten rückläufig waren. Besonders gravierend ist die Desinvestition bei den energieintensiven Unternehmen. Hier waren die Nettoinvestitionen seit dem Jahr 2000 immer negativ, mit der Ausnahme des Jahres 2008. Somit wurde in fast allen Jahren weniger in Kapital investiert als durch Abschreibungen verloren gegangen ist - ein Kapitalschwund in der deutschen Wirtschaft ist damit bereits traurige Realität. Allgemein waren und sind die zu geringen Investitionen in Deutschland nicht durch mangelnde Finanzierungsmöglichkeiten begründet, wie das im restlichen Europa der Fall war und teilweise noch ist. Hierzulande ist die Finanzierungssituation für Unternehmen aufgrund der weiterhin niedrigen Zinsen sogar außerordentlich gut. Auch die mangelnde Verfügbarkeit von Finanzkapital spielte in Deutschland keine Rolle. Im Jahr 2012 entsprachen die Sachkapitalinvestitionen nicht einmal der Sparleistung der Unternehmen selbst. Unternehmen schöpften die Innenfinanzierungsmöglichkeiten nicht voll aus, sondern bildeten stattdessen Geldvermögen.

Daher sollte die Politik Aufgaben, deren Bewältigung eine Grundvoraussetzung für Investitionen ist, entschlossen angehen. Hierzu gehört erstens eine Gestaltung der Energiewende, die dazu führt, dass Elektrizität versorgungssicher und bezahlbar für Haushalte und Unternehmen, insbesondere für die Industrie, zur Verfügung steht. Beides ist für einen attraktiven Investitionsstandort unabdingbar ist. Bislang erfüllt die Energiewende diese Anforderungen nicht. Gelingt es nicht, dieses Versäumnis aufzuholen, wird sie aufgrund von Akzeptanzproblemen scheitern. Konkreter gesprochen braucht Deutschland einen Förderungsmechanismus für erneuerbare Energien, der einen dauerhaften Wettbewerb im Strommarkt etabliert, der kosteneffizient, technologieneutral und europatauglich ist. Eine weitere notwendige politische Aufgabe um ein florierendes Investitionsumfeld langfristig zu schaffen, ist es die Sozialversicherungssysteme demografiefest zu machen, damit die Beitragssätze zukünftig nicht zu weit steigen und damit den Faktor Arbeit in Deutschland allzu sehr verteuern.

Eine dritte Gefahrenquelle für eine prosperierende deutsche Wirtschaft ist die institutionelle Unsicherheit in vielen Gegenden der Welt. Die deutsche Wirtschaft und insbesondere der deutsche Mittelstand mit seinen vielen "Hidden National Champions", die ihre hochspezialisierten Nischenprodukte in alle Welt exportieren, hängen von der Entwicklung in anderen Nationen statt. Hier droht Ungemach, denn in den großen aufstrebenden Nationen der BRIC-Staaten wirken sich die die Probleme der politischen Steuerung immer negativer auf die ökonomische Entwicklung aus. In all diesen Ländern herrscht ein hohes Maß an Korruption und ineffizienter Bürokratie. Dadurch wird dort die gesamtwirtschaftliche Produktion geschwächt und Verteilungskonflikte entstehen. Hinzu kommen länderspezifische Probleme wie die faktische Rechtslosigkeit der Wanderarbeiter in China oder die Bedrängung von öffentlichen Unternehmen durch den Staat in Russland. Insbesondere Russland wird zudem durch die Krim-Krise erhebliche volkswirtschaftliche Einbußen davon tragen. Die weitere Entwicklung dieser Governance-Probleme ist in allen Ländern ungewiss.

Potential zur Unruhe gibt es viertens in der Währungsunion. Hier ist die Lage zwiespältig. Auf der einen Seite scheint in die Eurokrise etwas Ruhe eingekehrt zu sein; z.B. steigt in den Krisenländern langsam wieder das Bruttoinlandsprodukt. Die eingeleiteten Reformen in den Krisenländern und die neu geschaffenen supranationalen Institutionen entfalten langsam ihre Wirkung. Allerdings ist ein Rückschlag und damit ein Wiederaufflammen der Eurokrise nicht ausgeschlossen. Insbesondere stellt die aktuelle Schwäche Frankreichs ein massives Gefahrenpotenzial für die Stabilität des Euroraumes dar. Wichtig wird sein, die in vielen Ländern eingeleiteten Reformen weiterzuführen, um die Gefahr eines finanzpolitischen Rückschlags weiter zu bannen.

Eine weiterhin gute wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland ist also alles andere als ein Selbstläufer. Es existieren viele nationale, europäische und globale politische Baustellen, bei denen es höchste Zeit ist, den Baustopp zu beenden, um unsere Zukunft nachhaltig positiv zu gestalten.

Prof. Dr. Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln.

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