EU: Kommt bald die Auskunftspflicht für den Handel?
Die EU-Kommission will mit neuen Werkzeugen Hindernisse im Binnenmarkt beseitigen. DER MITTELSTANDSVERBUND warnt vor einem versteckten Auskunftsrecht der EU gegenüber Unternehmen.
Brüssel, 04.05.2017 - Das Problem ist altbekannt: Viele Mitgliedstaaten setzten die EU–Regeln unzureichend um oder diskriminieren Unternehmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten auf unterschiedliche Art und Weise. Als „Hüterin der Verträge“ hat die europäische Kommission eigentlich die Aufgabe, diese Hindernisse im Binnenmarkt zu beseitigen. Das Problem: Die hierfür benötigten Informationen sind meist nicht öffentlich zugänglich. Unternehmen sind bislang auch nicht verpflichtet, auf Auskunftsersuchen der EU-Kommission zu reagieren.
Ausnahmen im Kartellrecht
Etwas anderes gilt nur im Bereich des EU-Wettbewerbsrechts. Hat die Kommission dort den Verdacht, dass der EU-Binnenmarkt durch Kartellverstöße beeinträchtigt wird, steht ihr das Instrument der Sektoruntersuchung zur Verfügung. Bußgeldbewährt, sind Unternehmen danach verpflichtet, der Kommission Auskünfte über Unternehmens-Interna wie Lieferantenverträge, Konditionen und Arbeitsverträge auszuhändigen.
Der finanzielle Aufwand ist allerdings hoch. So kann allein das Zusammentragen der notwendigen Informationen durchaus mehrere Wochen beanspruchen. Richtigerweise war das Auskunftsrecht der Kommission daher auf den Bereich des Kartellrechts begrenzt – bislang. Denn mit ihrem neuen Vorschlag strebt die Kommission ähnliche Kompetenzen auch in anderen Bereichen des EU-Binnenmarkts an.
Auskunftsrecht ausweiten – auch im Mittelstand?
Ausreichend zur Rechtfertigung einer Unternehmensbefragung sollen dabei erhebliche Schwierigkeiten bei der Anwendung von EU-Recht sein, die wichtige Ziele der EU gefährden. Diese Formulierung zeigt auch einem Außenstehenden, dass der Kommission damit Auskunftsrechte zu fast allen EU-relevanten Fragestellungen zustehen könnten.
Betroffen sind hiervon Unternehmen und Unternehmensvereinigungen. Ausgenommen sind zunächst Kleinstunternehmen. Klassische mittelständische Unternehmen können befragt werden, solange der zu erwartenden Aufwand im Verhältnis zur Zielsetzung steht – auch das eine Hürde, die die Kommission in fast allen Fällen problemlos nehmen könnte.
Berufsgeheimnis-Träger unterliegen einem besonderen Schutz, ansonsten sind alle Unternehmen ausnahmslos zur Auskunfts-Erteilung verpflichtet. Mehr noch: Die Nicht-Befolgung des Auskunftsverlangens sowie die Erteilung falscher Angaben kann von der Kommission mit empfindlichen Bußgeldern geahndet werden.
Nur bei der Veröffentlichung der erlangten Informationen soll auf die Belange der Unternehmen Rücksicht genommen werden.
Kritik des Spitzenverbandes
DER MITTELSTANDSVERBUND hat bereits im Vorfeld erhebliche Kritik an den Vorschlägen der Kommission geäußert. „Abgesehen von den Kosten- und Bußgeldrisiken bleibt unverständlich, warum die Kommission die Mitgliedstaaten nicht stärker in die Pflicht nehmen möchte“, erklärt Tim Geier, Leiter des MITTELSTANDSVERBUND-Büros in Brüssel. Diese verfügen über umfassende Informationen der in ihrem Gebiet tätigen Unternehmen. Eine Verbesserung des Informationsaustauschs öffentlicher Stellen im Binnenmarkt wäre damit eine für Unternehmen kostenneutrale Alternative.
Sicherlich: Ein Vorschlag hin zu mehr Verpflichtungen der Mitgliedstaaten könnte im Rat der EU grandios scheitern. Es ist jedoch auch Aufgabe dieser – selbsternannt politischen – Kommission, im Dialog mit den Mitgliedstaaten zu einer Lösung zu kommen, die den eigentlichen Träger des wirtschaftlichen Erfolgs der EU – den Unternehmen – keine neuen Belastungen auferlegt.
Vereinbarkeit mit EU-Grundrecht bleibt offen
Auch rechtsstaatlich bestehen erhebliche Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit dieses Vorschlags mit dem EU-Grundrecht der unternehmerischen Freiheit. Es stellt sich die Frage, wie Unternehmen zukünftig gegen ein Auskunftsverlangen der EU-Kommission vorgehen können. Denn Rechtsbehelfe diesbezüglich enthält der neue Vorschlag nicht. Zwar besteht die Möglichkeit, das Auskunftsverlangen vor dem EuGH anzufechten, das damit verbundene Kostenrisiko dürfte jedoch erheblich sein.
Unternehmen werden sich scheuen, diesen für sie völlig unbekannten Rechtsweg zu beschreiten. Eine effektive Überprüfung des Kommissions-Auskunftsverlangens wird daher verhindert.
Noch steht das Gesetzgebungsverfahren am Anfang. Dennoch wird DER MITTELSTANDSVERBUND frühzeitig in die politische Diskussion mit Rat und Parlament eintreten, um Schlimmeres zu verhindern.