Hubertus Heil exklusiv im Gespräch: KI ist keine Zukunftsmusik

Hubertus Heil im exklusiven KOMPASS Mittelstand Interview über die Auswirkungen von KI auf den Arbeitsmarkt und die Chancen für den Mittelstand. Sein Ausblick in die Zukunft – und warum der Bundesarbeitsminister dabei auf einen klaren KOMPASS und lebenslange Weiterbildung setzt.

Herr Heil, Sie sagen „Ab 2035 wird es keinen Job mehr geben, der nichts mit Künstlicher Intelligenz (KI) zu tun hat“. Welche konkreten Herausforderungen bringt das für den kooperierenden Mittelstand mit sich?

"Zunächst einmal ist KI keine Zukunftsmusik, 25 Prozent der Beschäftigten in Deutschland nutzen bei der Arbeit bereits regelmäßig KI-Anwendungen. Aber es ist absehbar, dass KI weite Teile der Arbeitswelt grundlegend verändern wird. Das kann man mit der industriellen Revolution vergleichen. Und das gilt auch für Tätigkeiten, von denen man das jetzt noch nicht glaubt. Im Handwerk kann es zum Beispiel bedeuten, dass Tätigkeiten von KI unterstützt werden und von Plattformen vermittelt werden. Oder dass die Routen des Müllwerkers von KI geplant werden. Es wird kein Berufsbild mehr geben, das völlig losgelöst von dieser Technologie ist. Gleichzeitig ist es so, dass bislang nur rund 14 Prozent aller Unternehmen KI nutzen, aber in den kommenden drei Jahren 23 Prozent in KI investieren wollen. Das zeigt, wie groß die anstehende Veränderung ist."

Wie kann der kooperierende Mittelstand die Möglichkeiten der KI bestmöglich für sich nutzen? An welchen Stellen sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gefordert?

"Die aktuellen Entwicklungen bei der KI bieten Deutschland und der deutschen Wirtschaft große Chancen. Das gilt insbesondere auch für kleine und mittlere Unternehmen. KI-Anwendungen können zukünftig helfen, den Fachkräftemangel zu lindern. Sie können dabei unterstützen, den Arbeitsmarkt inklusiver zu machen. Und wir setzen alles daran, dass KI beim Bürokratieabbau hilft."

"Ich will, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von heute auch die Arbeit von morgen machen können.", Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales

Sie sagen „Deutschland muss zur Weiterbildungsrepublik werden.“ Können Sie konkrete Beispiele Ihrer Arbeit nennen, mit denen Sie das erreichen wollen und bis wann – vor allem auch im Bereich der KI?

"Wir setzen in der Tat massiv auf Weiterbildung. Wir haben bereits heute eine umfassende Weiterbildungsförderung Beschäftigter im Strukturwandel. Mit dem Weiterbildungsgesetz öffnen wir die bestehende Weiterbildungsförderung für alle Betriebe und gestalten sie noch attraktiver aus. Wir haben dabei insbesondere die kleinen und mittelständischen Unternehmen im Blick, die jetzt noch besser gefördert werden. Gerade die KMU müssen noch mehr in Weiterbildung investieren und darin unterstützen wir sie. Zudem ergänzen wir die Fördermöglichkeiten zukünftig mit dem Qualifizierungsgeld um ein neues Transformationsinstrument. Das Qualifizierungsgeld in Höhe des Kurzarbeitergeldes entlastet Betriebe, die stark vom Strukturwandel betroffen sind und maßgeschneiderte Qualifizierungsangebote brauchen. Ziel ist, die Beschäftigten durch bedarfsgerechte Qualifizierung fit für künftige Anforderungen zu machen, etwa durch die Stärkung digitaler Kompetenzen. Das betrifft etwa Firmen in der Automobilindustrie, die sich auf autonomes Fahren oder auf Elektromobilität einstellen oder etwa auch eine Glasherstellungsfirma, die transformationsbedingt in die Halbleiterproduktion einsteigt. In Fällen, in denen trotzdem tatsächlich Menschen entlassen werden, helfen wir bei der Neu-Orientierung durch unsere bewährten Arbeitsmarktinstrumente. Ich will, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von heute auch die Arbeit von morgen machen können."

Sie sprechen sich beim Thema KI für Transparenz aus. Wie soll diese gestaltet werden?

"Mir ist wichtig, dass wir einen klaren und transparenten Rahmen schaffen, um Beschäftigte vor negativen Auswirkungen zu schützen. Dafür setzen wir uns im Rahmen der Verhandlungen zur KI-Verordnung ein, die derzeit auf europäischer Ebene laufen. Hierbei wollen wir beispielsweise sicherstellen, dass sich die EU im derzeit laufenden Trilog auf eine rechtsklare und zukunftsfeste Definition von KI einigt. Wir befahren hier auch teilweise unbekanntes Gelände. Aber wir haben dabei einen klaren Kompass, nämlich, dass KI den Menschen dient und nicht umgekehrt. Das gilt für uns sowohl in der betrieblichen Praxis als auch bei regulatorischen Vorhaben wie der KI-Verordnung oder dem Beschäftigtendatenschutzgesetz."

Immer häufiger wird KI im Personalwesen – z.B. bei der Auswahl von Bewerbenden – eingesetzt. Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit KI Diversity stärken kann und Diskriminierung vermieden wird?

"Wir erleben jetzt schon zunehmend, dass bei der Personalauswahl Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt, um den oder die Beste zu finden. Doch wenn die Systeme mit falschen Daten gefüttert werden, wird es problematisch. Nehmen Sie die Praxis der Staatssekretäre seit 1949. Da gab es mehr mit dem Namen Hans als es Frauen gab. Wenn man jetzt eine Personaler-KI mit diesen Daten trainiert, dann lernt das System, dass Menschen mit dem Namen Hans besonders qualifiziert sind. Das ist natürlich Quatsch. Aber deshalb muss man wissen, mit welchen Daten ein System trainiert wurde. Dann kann man einschätzen, wie gut die Ergebnisse sind. Das müssen wir auch bei der KI-Verordnung berücksichtigen. Hier ist es notwendig, dass für die Entwicklung von KI-Systemen, die bspw. für die Personalauswahl eingesetzt werden sollen, klare Anforderungen an die Datenprüfung und hier insbesondere an die Qualität der Trainingsdaten geschaffen werden. Ich bin zuversichtlich, dass die KI-Verordnung einen klaren Rahmen schaffen wird. Das bildet eine wichtige Voraussetzung, um die Vorteile von KI nutzen zu können. Es braucht ebenfalls eindeutige Regeln für die Verarbeitung von Beschäftigtendaten. KI-Systeme ermöglichen die Verarbeitung großer Datenmengen und können Bewerberinnen und Bewerber detailliert bewerten. Gemeinsam mit dem Bundesministerium des Inneren legen wir daher demnächst den Entwurf für ein Beschäftigtendatenschutzgesetz vor. Wir werden damit auch beim Einsatz moderner Technologien für Rechtssicherheit und effektiven Schutz der Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten sorgen."

KI ist ein Querschnittsthema, das von mehreren Ministerien bearbeitet wird. Wie arbeiten Sie hier mit den anderen Ministerien zusammen?

"Schon seit 2018 steuern wir gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz die KI-Strategie der Bundesregierung. Ich finde wichtig, hier einmal zu betonen wie gut diese Zusammenarbeit läuft. Wir haben uns das bewusst in dieser Kombination überlegt, um wirtschaftliche, soziale sowie arbeitsmarkt- und forschungspolitische Perspektiven zusammenzubringen. Für mein Haus ist das eine besondere Rolle. Und natürlich arbeiten wir auch bei der KI-Verordnung mit allen Ressorts eng und vertrauensvoll zusammen. Zudem sind wir europaweit und auch im globalen Austausch bei der OECD das einzige Arbeitsministerium, dass sich in Fragen der KI-Regulierung einbringt und schon wichtige Standards in den USA und Japan geliefert hat."

Sehen Sie KI als ein Vehikel, um etwa die Arbeitnehmer:innenrechte zu stärken? Wie können dabei zusätzliche Pflichten für Arbeitgeber:innen so gering wie möglich gehalten und zusätzliche Bürokratie verhindert werden?

"Ich will die KI für bessere Arbeitsbedingungen nutzen. KI darf nicht zur Verdichtung der Arbeit führen. Und natürlich geht es nur mit der Zustimmung der Beschäftigten. Wir haben deshalb im Betriebsverfassungsgesetz geregelt, dass es eine grundsätzliche Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim Einsatz von KI am Arbeitsplatz gibt. Und umgekehrt werden wir darauf achten, dass KI zu weniger Bürokratie beiträgt und Abläufe in Unternehmen effizienter werden können."

In welchem Umfang könnte KI den angespannten Arbeitsmarkt entlasten?

"Wir haben Bereiche in der Industrie, wo wir KI dringend brauchen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Da kann KI den Menschen im Produktionsprozess helfen, schneller und besser die richtigen Entscheidungen zu treffen. Dann gibt es Bereiche, wo die KI tatsächlich menschliche Arbeit ersetzen wird – und zwar nicht nur bei den klassischen Arbeitern, sondern etwa im Bereich Handel, Banken und Versicherung. Hier wird es irgendwann tatsächlich um berufliche Neuorientierung gehen. Deswegen setzen wir jetzt schon stark auf Weiterbildung und Qualifizierung. Und es gibt einen Bereich, da wird die Nachfrage nach menschlicher Arbeit nicht weniger werden, sondern sogar dramatisch wachsen: Das ist der Bereich Gesundheit, Bildung, Pflege, also alle sozialen Dienstleistungen. Da kann die KI keine menschliche Arbeit ersetzen, aber sie besser machen. Der Kollege Algorithmus kann zum Beispiel Pflegekräfte von Bürokratie entlasten."

Viele Unternehmen rechnen damit, dass KI zu einer höheren Wertschöpfung der Arbeit beitragen kann. Welche konkreten Chancen sehen Sie hier? Erwarten Sie neue Maßstäbe gerade auch bezüglich der Definition von „Arbeit“, „Arbeitszeit“ und Entlohnung?

"KI wird weite Teile der Arbeitswelt grundlegend verändern. Das kann man mit der industriellen Revolution vergleichen. Die Entwicklung ist extrem dynamisch, das zeigt ja eine Anwendung wie Chat GPT. Es wird neue Arbeitsplätze geben und die bestehenden werden sich verändern. In welche Richtung, das haben wir in der Hand. Ich wende mich aber dagegen, dass KI die Arbeitswelt spaltet. Hier müssen wir massiv mit Weiterbildung und Qualifizierung gegensteuern. Sonst profitiert nur ein Teil der Beschäftigten. Ich möchte aber, dass der Einsatz von KI zu besseren Arbeitsbedingungen führt." 

Passt das Korsett der Arbeitszeiterfassung überhaupt dazu?

"Arbeitszeiterfassung ist wichtig für den Arbeitsschutz. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesarbeitsgerichts ist die Erfassung der Arbeitszeiten bereits jetzt verpflichtend, um Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu gewährleisten. Mit dem von mir vorgelegten Vorschlag für eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes schaffen wir Rechtssicherheit für Unternehmen und Beschäftigte und ermöglichen Flexibilität, ohne dass es ein Zurück zur Stechuhr gibt."

Wie nutzen Sie selbst in Ihrem Ministerium schon KI? Hat das positive Auswirkungen auf die Verwaltungsprozesse?

"Wir haben 2017, als ich Arbeitsminister wurde, eine eigene Abteilung, die Denkfabrik Digitale Arbeitswelt, hier im Ministerium eingerichtet, in der wir mithilfe von KI alle Trends im Blick behalten, die für unseren Arbeitsmarkt relevant werden können. KI hilft uns schon heute, weltweit Themen frühzeitig zu erkennen und auszuwerten, welche Relevanz daraus für unsere Arbeit entsteht. Und natürlich prüfen wir auch, welche Prozesse von KI unterstützt werden können, um Verwaltungsvorgänge zu vereinfachen oder zu beschleunigen."

Im Dezember 2022 haben Sie Unternehmen aufgefordert, im Kampf gegen den Personalmangel stärker auf ältere Beschäftigte zu setzen. Trotzdem halten Sie an der Rente ab 63 Jahren fest. Wie passt das zusammen?

"Viele Unternehmen setzen bereits auf ältere Beschäftigte und das finde ich richtig. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Erwerbstätigenquote der Altersgruppe von 60 bis unter 65 Jahren verdreifacht. Diesen Trend unterstützen wir unter anderem mit mehr Angeboten zur Weiterbildung. Im Übrigen lässt die „Rente ab 63“ die demografischen Entwicklungen nicht außer Acht. Auch bei dieser Rente steigt die Altersgrenze an. Aktuell liegt sie bereits bei über 64 Jahren und wird zukünftig bei 65 Jahren liegen.

Mir ist es wichtig zu betonen, dass man diese Rente nicht umsonst bekommt: Von dieser Rente profitieren insbesondere diejenigen, die sehr früh ins Berufsleben gestartet sind und häufig auch körperlich belastende Berufe ausgeübt haben. Das sind genau diejenigen, die unser Land am Laufen halten: Menschen, die in der Pflege tätig sind, die LKW fahren oder auf dem Bau arbeiten.

Diese Menschen haben über viele Jahre ihren Beitrag zur Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung geleistet. Und dies häufig unter weitaus schwereren Bedingungen als es heute der Fall ist. Für mich ist es eine Frage der Fairness, für diesen Personenkreis ein passendes Angebot zu haben. Mit der Abschaffung der Hinzuverdienstgrenzen bei der Altersrente haben wir zudem Anreize zum Weiterarbeiten gesetzt, auch wenn man bereits eine Altersrente bezieht."

Wie wollen Sie die KI-Kompetenz älterer Menschen stärken – vor allem, wenn diese über die Regelaltersgrenze hinaus im Arbeitsmarkt verbleiben wollen?

"Mit Weiterbildung - ganz klar. Es ist unheimlich wichtig, dass wir die Potenziale älterer Beschäftigter nutzen, das sind Fachkräfte, die wir schon haben. Mit dem im Juni beschlossenen Qualifzierungsgeld und der Reform der Weiterbildungsförderung geben wir Betrieben und Beschäftigten die Möglichkeit, sich weiterzubilden und auch beim Thema KI mitzureden."

Immer mehr junge Menschen machen sich Gedanken über ihre Altersversorgung – gerade auch mit Blick auf die aus dem Arbeitsmarkt austretende „Boomer-Generation“. Wie wollen Sie jungen Menschen eine Perspektive für eine Versorgung im Alter bieten?

"Die gesetzliche Rente steht auf sicheren Beinen, und wir werden sie weiter nach Kräften stabilisieren. Ein erstes Rentenpaket haben wir bereits umgesetzt, ein zweites Rentenpaket befindet sich in der Abstimmung. Damit werden wir ein wichtiges rentenpolitisches Vorhaben umsetzen, die dauerhafte Sicherung der Haltelinie für das Rentenniveau bei 48 Prozent. Mit dem geplanten Generationenkapital stärken wir die Finanzierungsgrundlage der gesetzlichen Rentenversicherung. Aber die beste Vorsorge ist und bleibt eine Berufstätigkeit, die einem Freude bereitet und flexibel gestaltet werden kann. Deshalb sind eine Berufsausbildung und lebenslange Weiterbildung so wichtig, um mit wechselnden Anforderungen bis in den Ruhestand mitwachsen zu können."

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bundesminister!

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