Arbeitsgemeinschaft Mittelstand: Positionspapier zum Verbandssanktionengesetz

Nachdem sich die Große Koalition im Koalitionsvertrag auf die Einführung eines Verbandssanktionengesetzes geeinigt hat, hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) mitten in der Corona-Pandemie am 21. April 2020 einen Gesetzentwurf vorgelegt. Die Verbände der AG Mittelstand positionieren sich hierzu.

Berlin, 08.06.2020 - Die Beachtung von Rechtsnormen ist im Rechtsstaat selbstverständlich. Der Ehrbare Kaufmann gilt Unternehmen als weiterer Handlungsmaßstab, Ehrbarkeit ist mehr als ein Handelsbrauch.

Die Verbände der AG Mittelstand positionieren sich zum Gesetzentwurf zur Einführung eines VerbandssanktionengesetzesDie Diskussion um das Unternehmensstrafrecht – jetzt unter dem irreführenden Titel Verbandssanktionengesetz im Rahmen eines Gesetzes zur „Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ – folgt einem Trend, Unternehmen und Wirtschaft in der Öffentlichkeit als unseriös oder latent kriminell abzustempeln. Das schadet dem Gründergeist und dem unternehmerischen Engagement. Statt die Leistungen der rechtstreuen Wirtschaft zu würdigen, wird wirtschaftliche Tätigkeit unter einen Generalverdacht gestellt – ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, in dem Wirtschaft und Gesellschaft eine existentielle Herausforderung zu bewältigen haben. Die Gesetzesbegründung selbst deutet gar an, arbeitsteilige Organisation in Unternehmen sei kriminogen im Sinne eines zum Unrecht verleitenden Umfelds. Indem der Anwendungsbereich nicht auf den Schutz von Rechtsgütern bezogen wird, sondern gezielt auf Verbände mit wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb abhebt, wird wirtschaftliche Tätigkeit per se zum Gefährdungstatbestand – eine überaus bedenkliche gesellschaftspolitische Entwicklung.

Ein rechtstatsächliches Bedürfnis für die neuen Regelungen fehlt. Nach den Lageberichten des Bundeskriminalamts ist Wirtschaftskriminalität stark rückläufig, von 102.813 Fällen im Jahr 2010 auf 50.555 Fälle im Jahr 2018 als letztem veröffentlichten Berichtsjahr. Wirtschaftskriminalität machte 2018 lediglich 0,9 % aller Straftaten aus, dies bei einer Aufklärungsquote von über 90 %, die deutlich über der allgemei- nen Aufklärungsquote von 57,7 % lag.

Schon heute können die Täter in einem Unternehmen bestraft und auch das Unternehmen selbst ordnungsrechtlich mit hohen Geldbußen sanktioniert werden. Aufgrund der bestehenden Sanktionen des Straf-, Gewerbe- und Ordnungswidrigkeitenrechts existiert kein Regelungsbedarf. Damit entbehrt der Vergleich mit allen Bürgern, die strafrechtliche Verbote zu beachten haben, der Grundlage: Alle Verbote gelten schon jetzt, auch innerhalb von Unternehmen. Derzeit sieht das Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) Bußgelder bis zu 10 Millionen Euro vor. Es ist nicht nachvollziehbar, warum eine solche Bußgeldhöhe in Verbindung mit einer umfassenden Vorteilsabschöpfung keine ausreichende Abschreckungswirkung für eine vom Mittelstand geprägte Unternehmenslandschaft haben soll, zumal die Sanktionsrahmen in Ländern wie Österreich oder der Schweiz im Vergleich deutlich niedriger ausgestaltet sind. Darüber hinaus kann der maximal vorgesehene Sanktionsrahmen mit seiner Anknüpfung an Umsatzgrößen für umsatzstarke, aber margenschwache Unternehmen existenzbedrohlich sein. Der allein rechtspolitisch gewählte Fokus auf prominente Einzelfälle der Vergangenheit verzerrt die kriminologische Wirklichkeit.

Wer das Unternehmen als juristische Person „bestrafen“ will, trifft zudem die Falschen. Statt die mit krimineller Energie handelnden Täter zu ermitteln und zu bestrafen, werden Anteilseigner sanktioniert und Arbeitsplätze unbeteiligter Arbeitnehmer in den betroffenen Unternehmen und bei deren Vertragspartnern gefährdet. Sofern bei den Staatsanwaltschaften personelle Ressourcen für eine effektive Verfolgung fehlen – oder diese gar regional unterschiedlich gehandhabt wird –, ist das eine Folge politischer Präferenzen der Bundesländer. Die Einführung des Legalitätsprinzips anstelle des bisherigen Opportunitätsprinzip hilft nicht gegen fehlende Kapazitäten bei den Staatsanwaltschaften. Insgesamt kann der systemfremde Ansatz der Bestrafung juristischer Personen so nicht gerechtfertigt werden.

Mit der strafrechtlichen Verfolgung des Unternehmens würde zudem der bisher im deutschen Strafrecht geltende Grundsatz aufgegeben, dass die strafrechtliche Haftung nur den schuldhaft Handelnden trifft. Die Bezeichnung als Verbandssanktionengesetz verschleiert, dass es sich faktisch um Strafrecht handelt, mit dem „Verbandstaten“ unter Anwendung zahlreicher Regelungen aus der StPO strafrechtlich geahndet werden. Für den Rechtsstaat am bedenklichsten ist, dass mit dem Gesetzesentwurf eine Straftat eines Dritten – jede Art von Führungskraft – dem Unternehmen zugerechnet werden soll, ohne dass dem Unternehmen selbst irgendein Unrechtsvorwurf gemacht wird: es haftet damit für die bloße wirtschaftliche Tätigkeit selbst, auch optimale Compliancemaßnahmen könnten höchstens eine Buße verringern, aber nicht den Tatvorwurf entkräften.

Generell bleibt es richtig, Compliancemaßnahmen bußgeldmindernd oder sogar bußgeldausschließend zu berücksichtigen. Allerdings darf es gerade aus mittelstandspolitischer Sicht keinen Zwang geben, Compliancesysteme einzuführen, zumal es keine differenzierten Standards gibt, die für kleine und mittlere Unternehmen ebenso adäquat wären wie für große international tätige Unternehmen. So wird bewusst Verunsicherung in die Unternehmen getragen, um eine Beraterbranche zu stärken. Sofern ein Organisationsverschulden vorliegen sollte, etwa risikoinadäquate Kontrolle, bietet das Ordnungswidrigkeitenrecht im Sinne eines Verwaltungsstrafrechts bereits jetzt hinreichende Möglichkeiten einer Sanktion. Die vom Verbandssanktionengesetz nun gewollte Kriminalisierung, auch durch öffentliche Prangerwirkung in bestimmten Fällen, ist ein Fremdkörper im deutschen Strafrecht. Denn schon die Ermittlungen und die Berichterstattung bedeuten für Unternehmen einen Imageschaden, der nicht wiedergutzumachen ist, selbst wenn sich am Ende herausstellt, dass die Vorwürfe unberechtigt waren.

Die vorgeschlagenen Regelungen zu Beschlagnahmeverboten und Verfahrensrechten von Unternehmen waren überfällig – insoweit in einzelnen Details Rechtsklarheit zu schaffen, ist durchaus richtig. Hervorzuheben ist etwa die differenzierte Regelung zum Beschuldigtenstatus. Vom Grundsatz her zu begrüßen sind auch die Regelungen zu internen Ermittlungen in Betrieben. Allerdings mag das dabei vorgesehene Trennungsgebot zur Unternehmensverteidigung allein für Großunternehmen praxisgerecht sein, indes für KMU ungeeignet. Zudem dürfen Unternehmen nicht zum verlängerten Arm der Staatsanwaltschaften gemacht werden: hoheitliche und unternehmerische Sphären müssen getrennt bleiben. Genau die Aufhebung dieser Trennung findet aber statt, wenn Strafminderung nur erreicht werden kann, wenn umfassende und vorbehaltlose Kooperation eingefordert wird, die letztlich den Ermittlungsbehörden Verhandlungsmasse für Absprachen schaffen soll.

Dem Entwurf fehlt damit insgesamt die verfassungsrechtlich gebotene Bestimmtheit: weder die objektive Tat und deren Unrechtsgehalt noch die strafmildernden Optionen der Kooperation mit den Ermittlungsbehörden hinsichtlich der Ergebnisse von internal investigations sind hinreichend bestimmt. Auch die Rechte von Betroffenen, etwa bei internen Ermittlungen, bleiben für die Praxis gewollt diffus. Der Entwurf ist verfassungsrechtlich zweifelhaft und strafrechtlich mangelhaft.

Schließlich: Weder europäische noch internationale Entwicklungen gebieten die Einführung eines Unternehmensstrafrechts. Soweit andere europäische Staaten ein Unternehmensstrafrecht kennen, gibt es in der Regel keine anderen Sanktionsinstrumente wie das Ordnungswidrigkeitenrecht nach deutschem Vorbild. Das Ordnungswidrigkeitenrecht schließlich ist – auch im internationalen Vergleich – ein effektives Sanktionsinstrument. Der behauptete europäische Trend zum Unternehmensstrafrecht existiert nicht. Das Unionsrecht schließlich lässt den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Wahl, in welcher Weise sie strafbares Verhalten von Unternehmen sanktionieren, solange die Sanktionen effektiv und abschreckend sind.

Auch der Schutz der Menschenrechte bedarf keines Unternehmensstrafrechts, im Gegenteil: Deutschland ist kein Weltstrafgericht. Eine "corporate liability" für Menschenrechtsverletzungen wäre bereits völkerrechtlich höchst fragwürdig. Die UN-Leitprinzipien, die OECD-Grundsätze und das EU-Recht fordern entgegen der Gesetzesbegründung gerade nicht die Einführung allgemeiner strafrechtlicher Sanktionierung von Unternehmen, schon gar nicht – wie nun im Gesetzentwurf vorgesehen – für Handlungen außerhalb des eigenen Hoheitsbereiches. Es geht zu Recht um Verantwortung und Sorgfalt. Denn auch hier gilt, dass private Unternehmen nicht staatliche Defizite kompensieren können. Es wäre daher ein falsches Signal, anstelle der vielfältigen positiven Maßnahmen der Unternehmen im Menschenrechtsschutz in vielen Gastländern und der sich ausdifferenzierenden Verantwortung der Unternehmen das Thema „Wirtschaft und Menschenrechte“ mit strafrechtlicher Sanktion zu belasten. Maßstab des unternehmerischen Handelns muss das jeweilig anwendbare Recht sein, Unternehmen dürfen nicht rechtlich und tatsächlich widersprüchlichen Anforderungen ausgesetzt werden; vielmehr bleibt es primär staatliche Aufgabe, international einheitliche Standards durchzusetzen und die Länder zum Schutz der Menschenrechte anzuhalten.

Fazit

Die mittelständische Wirtschaft lehnt die mit dem Entwurf verfolgte Kriminalisierung wirtschaftlicher Tätigkeit ab. Die punktuellen verfahrensrechtlichen Klarstellungen und gesteigerte Akzeptanz von Compliance wiegen nicht die vielfachen massiven Defizite des Verbandssanktionengesetzes auf. Erodierendes Vertrauen in den Rechtsstaat wird nicht durch strafrechtliche Sanktionsdrohung ohne eigenes Verschulden gefördert. Das Gesetz lädt umso mehr zum Nachdenken darüber ein, unter welchen Rahmenbedingungen Wirtschaft in Deutschland handeln soll. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Unternehmen auch im Strafrecht in ihrem gesellschaftlichen Wert zu würdigen und nicht ihre Integrität strukturell in Frage zu stellen. Auf die Kodifizierung eines Unternehmensstrafrechts in Form des Verbandssanktionengesetzes und die damit verbundene Kriminalisierung der Unternehmen sollte unbedingt verzichtet werden.

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