Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen bleiben Glückssache

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass eine arbeitsvertragliche Regelung, die vom Tarifvertrag abweicht, nur dann Vorrang vor der tariflichen Regelung genießt, wenn sie zweifelsfrei als günstiger anzusehen ist.

Berlin, 14.12.2015 - Das entsprechende Urteil des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) vom 10. Dezember 2014 - 4 AZR 503/12 - zeigt auf, dass der Günstigkeitsvergleich zwischen einem in Bezug genommenen Tarifvertrag und einer normativ geltenden Tarifregelung nur zufällig zu richtigen Ergebnissen führt. Die Ablösung einer vertraglich in Bezug genommen tariflichen Regelung durch einen anderen, neueren Tarifvertrag hängt damit von der "zufällig" richtig formulierten Klausel ab.

  • Leitsatz des Gerichts

    Führt ein Günstigkeitsvergleich nicht zweifelsfrei zu dem Ergebnis, dass die vom normativ geltenden Tarifvertrag abweichende arbeitsvertragliche Regelung für den Arbeitnehmer günstiger ist, bleibt es bei der zwingenden, normativen Geltung des Tarifvertrags.

  • Sachverhalt 

    Die Parteien streiten um die Zahlung einer Jubiläumszuwendung. Der Kläger war seit Oktober 1971 bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Er ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Nach § 2 des Arbeitsvertrages sollte sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 und diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen richten. Dem Kläger wurde mitgeteilt, dass sich seine Dienst- und Jubiläumszeit unter Berücksichtigung seines Wehrdienstes und einer Wehrübung errechne und sein 40-jähriges Dienstjubiläum am 2. März 2010 erreicht werde. Nach § 39 BAT erhalten die Angestellten als Jubiläumszuwendung bei Vollendung einer Dienstzeit von 40 Jahren 409,03 € brutto.

    In der Folgezeit ging das Arbeitsverhältnis des Klägers auf die neu gegründete Klinikgesellschaft - die Beklagte - über. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten schloss 2004 mit dem Gesamtpersonalrat eine Dienstvereinbarung, wonach Dienst- und Beschäftigungszeiten nach den entsprechenden tariflichen Bestimmungen angerechnet werden. Die spätere Muttergesellschaft der Beklagten schloss mit der Gewerkschaft ver.di im März 2010 einen Manteltarifvertrag (MTV Damp) ab, der rückwirkend zum 1. Januar 2007 in Kraft trat. Nach § 17 MTV Damp erhalten alle Arbeitnehmer bei Vollendung einer Beschäftigungszeit von 40 Jahren eine Jubiläumszuwendung von 450,00 € brutto. Der MTV Damp sieht keine Regelung zu Wehrdienstzeiten vor. Nach § 8 MTV Damp ist Beschäftigungszeit die in der Unternehmensgruppe bzw. deren Rechtsvorgängerin zurückgelegte Zeit. 
  • Entscheidungsgründe 

    Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung der Jubiläumszuwendung. 

    Anspruch aus § 17 MTV Damp?

    Ein Anspruch ergebe sich nicht aus § 17 MTV Damp. Der Kläger habe zum Zeitpunkt der Klage im April 2010 nicht die in § 17 MTV Damp vorgesehene Beschäftigungszeit von 40 Jahren erfüllt. Die bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängerinnen zurückgelegte Beschäftigungszeit betrug bei Ausscheiden des Klägers am 30. April 2010 38 Jahre und sieben Monate. Die Zeiten des Grundwehrdienstes und der Wehrübung seien keine Beschäftigungszeit im Sinne des MTV Damp.

    Die Tarifvertragsparteien haben im MTV Damp ausschließlich die Berücksichtigung von "Beschäftigungszeiten" geregelt. Im Hinblick auf die im BAT vorgesehene und den Tarifvertragsparteien bekannte Differenzierung zwischen "Beschäftigungs- und Dienstzeiten" könne dem Begriff nicht die Bedeutung beigemessen werden, er umfasse auch die von den Beschäftigungszeiten zu unterscheidenden Dienstzeiten. Hätten die Tarifvertragsparteien auch die Anrechnung von Dienstzeiten im Sinne des BAT regeln wollen, hätte es nahegelegen, die entsprechende Terminologie aus der Dienstvereinbarung aufzugreifen. Dies haben sie nicht getan. 

    Anspruch aus § 39 BAT?

    Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 39 BAT. Zwar finden die Vorschriften des BAT aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Die Abrede im Arbeitsvertrag enthalte eine zeitdynamische Bezugnahme auf die jeweiligen Regelungen des BAT. Die als sog. Gleichstellungsabrede auszulegende Bezugnahmeklausel habe ihre Dynamik in dem Zeitpunkt verloren, in dem die normative Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin an die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes entfallen ist. Der MTV Damp, der kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend im Arbeitsverhältnis der Parteien gelte, enthalte seinerseits die Regelung einer Jubiläumszuwendung. Das Günstigkeitsprinzip führe nicht zu einem Vorrang der Regelungen des über den Arbeitsvertrag anwendbaren BAT.

    Günstigkeitsvergleich

    Die Kollision zwischen den kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit für das Arbeitsverhältnis der Parteien normativ geltenden und den aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme anwendbaren Tarifvorschriften sei nach dem Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 TVG) zu lösen. Hiernach treten unmittelbar und zwingend geltende Tarifbestimmungen hinter einzelvertragliche Vereinbarungen mit für den Arbeitnehmer günstigeren Bedingungen zurück. Bei dem vorzunehmenden Sachgruppenvergleich seien die abstrakten Regelungen maßgebend, nicht das Ergebnis ihrer Anwendung im Einzelfall. Sei nicht zweifelsfrei feststellbar, dass die einzelvertragliche Regelung für den Arbeitnehmer günstiger ist - sei es, weil es sich um eine "neutrale", sei es, weil es sich um eine "ambivalente" Regelung handelt, bleibe es bei der zwingenden Geltung des Tarifvertrags.

    Die arbeitsvertraglich in Bezug genommene Regelung des § 39 BAT für eine Jubiläumszuwendung sei nicht günstiger im Sinne von § 4 Abs. 3 TVG als die normativ geltende des § 17 MTV Damp. Nach MTV Damp haben Arbeitnehmer nach 40 Jahren Beschäftigungszeit Anspruch auf eine Zuwendung in Höhe von 450,00 €. Nach BAT steht einem Arbeitnehmer bei einer Dienstzeit von 40 Jahren demgegenüber eine geringere Zuwendung in Höhe von 409,03 € zu, jedoch sind die Dienstzeiten bei der Bundeswehr anzurechnen. Dadurch können die Anspruchsvoraussetzungen im Einzelfall zeitlich früher erfüllt sein.

    Bei der Jubiläumszuwendung nach dem BAT handele es sich um eine sog. ambivalente Regelung. Abhängig von den Umständen des Einzelfalls könne sie günstiger oder ungünstiger sein als die normativ für das Arbeitsverhältnis geltenden Tarifvorschriften. Da nicht zweifelsfrei festgestellt werden könne, welche Regelung die günstigere ist, tritt die normativ für das Arbeitsverhältnis der Parteien geltende nicht hinter der kraft einzelvertraglicher Bezugnahme anwendbaren Regelung zurück. § 39 BAT komme deshalb nicht zur Anwendung.
  • Bewertung/Folgen der Entscheidung 

    Eine einzelvertraglich vereinbarte dynamische Bezugnahme ist nach der Rechtsprechung des BAG regelmäßig nicht als Gleichstellungsabrede, sondern als konstitutive Verweisung anzusehen. Danach bleibt der Arbeitgeber auch dann individualrechtlich an den in Bezug genommenen Tarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung gebunden, wenn dieser nur noch statisch nachwirkt.

    Das Urteil unterstreicht nochmals, dass der Günstigkeitsvergleich zwischen einem in Bezug genommenen Tarifvertrag und einer normativ geltenden Tarifregelung nur zufällig zu richtigen Ergebnissen führt. Zwischen Tarifverträgen und entsprechend auch zwischen kraft Bezugnahme geltenden Tarifverträgen sollten die Grundsätze über die Anwendung kollidierender Tarifverträge maßgeblich sein. Danach würde z. B. der jüngere Tarifvertrag den Älteren ablösen.

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