Kündigung eines Geschäftsführers: Arbeitsgerichte können zuständig sein

Das BAG hat in zwei Beschlüssen entschieden, dass ein Geschäftsführer vor dem Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage erheben kann, wenn er vor seiner Kündigung von den Gesellschaftern von der Geschäftsführung abberufen wurde oder spätestens während des Gerichtsverfahrens sein Amt niederlegt.

Berlin, 18.9.2015 — Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat hierüber in zwei Entscheidungen - Beschluss vom 22.10.2014 (10 AZB 46/14)sowie Beschluss vom03.12.2014(10 AZB 98/14) über den Rechtsweg für die Kündigungsschutzklage von Geschäftsführern befunden. Sind diese spätestens im Gerichtsverfahren nicht mehr Organ der Gesellschaft,sind für den Streit um ihren Anstellungsvertrag die Arbeitsgerichte und nicht die Zivilgerichte zuständig.

  1. Auszug aus den Orientierungssätzen

    1. Die Fiktion des § 5 Abs 1 S 3 ArbGG soll sicherstellen, dass die Mitglieder der Vertretungsorgane mit der juristischen Person keinen Rechtsstreit im "Arbeitgeberlager" vor dem Arbeitsgericht führen.

    2. Soweit der Senat die Auffassung vertreten hat, es komme für das Eingreifen der Fiktionswirkung des § 5 Abs 1 S 3 ArbGG ausschließlich auf die Umstände zum Zeitpunkt der Klageerhebung an, wird hieran nicht festgehalten.

    3. Nachträgliche zuständigkeitsbegründende Umstände sind vielmehr auch dann zu berücksichtigen, wenn ein zum Zeitpunkt der Klageerhebung vor dem Arbeitsgericht noch nicht abberufener Geschäftsführer vor einer rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtswegzuständigkeit abberufen wird.

    4. Gleiches gilt, wenn der Geschäftsführer bis zu diesem Zeitpunkt wirksam sein Amt niederlegt.

    5. Nachträgliche Veränderungen führen grundsätzlich nicht zum Verlust des einmal gegebenen Rechtswegs. Dieser Grundsatz gilt jedoch nur rechtswegerhaltend. Alle bis zur letzten Tatsachenverhandlung eintretenden Umstände, welche die zunächst bestehende Unzulässigkeit des Rechtswegs beseitigen, sind dagegen zu berücksichtigen, sofern nicht vorher ein (rechtskräftiger) Verweisungsbeschluss ergeht.

  2. Sachverhalte

    Im  ersten Sachverhalt wurde dem Geschäftsführer am 17.09.2013 schriftlich mitgeteilt, dass er  mit sofortiger Wirkung von seiner Geschäftsführung abberufen und sein Anstellungsverhältnis zum 30.09.2013 ordentlich gekündigt werde. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht.

    Im zweiten Fall wurde das Anstellungsverhältnis mit dem Geschäftsführer am 25.02.2014 zum 31.08.2014 gekündigt. Mit der am 20.03.2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung. Mit einem am 28.08.2014 der Beklagten zugegangenen Schreiben legte der Kläger sein Amt als Geschäftsführer mit sofortiger Wirkung nieder. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht haben die Klage wegen Unzuständigkeit als unzulässig abgewiesen.

  3. Entscheidungsgründe

    Der Rechtsweg zur Arbeitsgerichtsbarkeit ist in beiden Fällen nach Auffassung des BAG gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) und b) ArbGG eröffnet. Die Kläger seien Arbeitnehmer, weil die Fiktion nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht gelte.

    Maßgebend für die Fiktionswirkungseien auch solche Umstände, welche erst nach der Klageerhebung eintreten. Würde der Zeitpunkt der Klageerhebung die zeitliche Zäsur bilden, sodass die Umstände, die erst danach eintreten, nicht mehr berücksichtigt würden, hätten es die Gesellschafter nach einer Kündigung in der Hand, durch ein Hinausschieben der Abberufungsentscheidung eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auch in den Fällen auszuschließen, in denen unzweifelhaft ein Arbeitsverhältnis vorliege.

    Dies wäre im Hinblick auf die Klagefrist für eine Kündigungsschutzklage problematisch. Die Berücksichtigung von späteren zuständigkeitsbegründenden Veränderungen werde im Rahmen der Rechtsbeschwerde aufgrund der Prozessökonomie verlangt. Der im § 17 Abs. 1 GVG enthaltene Grundsatz der perpetuatio fori sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil er nur für den einmal gegebenen Rechtsweg rechtswegerhaltend wirke.

    Im vorliegenden Fall sei die Zuständigkeit jedoch strittig gewesen. Im ersten Fall sei der Kläger bereits mit der Klageerhebung nicht mehr Geschäftsführer. Im zweiten Fall habe der Kläger die Geschäftsführung während des Verfahrens, und zwar vor der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde, sein Amt niedergelegt.

  4. Bewertung/ Folgen der Entscheidung

    Das BAG ändert mit diesen Entscheidungen seine bisherige Rechtsprechung. Die frühere Rechtsprechung hat abschließend auf die Umstände zum Zeitpunkt der Klageerhebung abgestellt (BAG Beschluss vom 15. November 2013 - 10 AZB 28/13). Hatten die Voraussetzungen für das Eingreifen der Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG im Zeitpunkt der Zustellung der Klage vorgelegen, konnten später eintretende Umstände dies nicht mehr ändern.

    Künftig hat der Geschäftsführer es selbst in der Hand, und zwar bis zur letzten Tatsachenverhandlung, die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts herbeizuführen, sofern nicht vorher ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluss ergangen ist. Legt der Geschäftsführer etwa rechtzeitig Rechtsbeschwerde gegen den Verweisungsbeschluss ein, sind die nachträglich eintretenden Umstände bis zur Entscheidung der letzten Instanz über die Rechtsbeschwerde zu berücksichtigen.


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