Veltmann: Kleinmut und Larmoyanz zur Flüchtlingsdebatte zunehmend unerträglich

Das entschlossene Zupacken und ernsthafte Ringen vieler Mittelständler um Integration wird gerade im Vorfeld der anstehenden Landtagswahlen zunehmend mit politisch kalkulierten Parolen konterkariert. Die kontraproduktive Weise des öffentlich ausgetragenen Dissenses der Regierungsrepräsentanten muss sofort beendet werden.

Berlin, 19.02.2016 — Dr. Ludwig Veltmann, Hauptgeschäftsführer des MITTELSTANDSVERBUNDES:

"Du Land der Dichter und Denker - rette Dich vor Stumpfsinn und Verzagtheit!" so mag es einen gerade in diesen Tagen durchfahren. Wo man sich gestern noch in weiten Teilen der Bevölkerung mit Gesten der "Willkommenskultur" überschlug, droht sich heute Angst vor Überfremdung, Überforderung und Kriminalität Raum zu schaffen. Mit schrecklichen Verbal-Eskapaden füllen sich die sogenannten "sozialen" Netze. Viele Inhalte jenseits des Zitierfähigen scheinen jene Lügen zu strafen, die noch an einen Werte-Kanon unter den Deutschen glaubten und deshalb einem Phantom, nämlich einer Leitkultur, hinterher jagten.

Der Fisch stinkt aber bekanntlich vom Kopf her. In medialen Schaukämpfen mit anlassbezogen mal geschliffener mal hölzerner Rhetorik und unter nicht selten schwülstig anmutendem Verweis auf ihre Verantwortung für die Menschen im Lande demonstrieren gewisse Spitzenpolitiker, gewählt fürs gemeinsame Regieren, offen die Geringschätzung von Positionen des jeweils anderen. Das muss sofort beendet werden!

Verantwortungsvolles Regierungshandeln ist gefragt

Gerade angesichts des gewaltigen Ausmaßes der Aufgabe ist gemeinsames und geschlossenes Regierungshandeln elementare Voraussetzung für tragfähige Lösungen. Wenn Demokratie gelingen soll, ist Kritik üben und Schwächen der Regierung aufzeigen Aufgabe von Opposition und einer kritischen Öffentlichkeit und nicht derer untereinander, die gemeinsam Verantwortung tragen. 

Natürlich muss man in Koalitionen und Regierungsfraktionen um den richtigen Kurs ringen – aber bitte in geschlossenen Räumen und ohne Öffentlichkeit. Das gilt selbstverständlich auch dann, wenn aufgrund veränderter Sachlagen der Handlungskurs verändert werden muss.

Übersehen wurde gerade in den letzten Wochen, was die ungezügelte Streitlust auf höchster Regierungsebene bei den Flüchtlingen und übrigens auch vielen anderen Migrantengruppen ausgelöst hat. Denn viele mag das Gefühl beschleichen, nicht in erster Linie Mensch, sondern vielmehr vordringlich Problem zu sein. Und zwar ein solches das das Sozialsystem des Gastlandes überlastet, die Kriminalität fördert und nur mit Stacheldraht-Zäunen – an welchen Innen- und Außengrenzen auch immer - und mit vermeintlich berechneten Obergrenzen in den Griff zu kriegen - weil in ein anderes Land zu verschieben - ist.

Mammutaufgabe Integration

Vor allem aber trägt der öffentliche Regierungsdisput nicht dazu bei, die vielen Tausend lokalen mittelständischen Unternehmer in Deutschland, darunter Fachhändler, Handwerker und Dienstleistungsunternehmer, die sich mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entschlossen um Integration kümmern, zu bestärken und zu weiteren Anstrengungen zu ermuntern. Hier könnte die Politik sich dagegen verdient machen, indem sie Integrationsbarrieren systematisch verringert. Dazu zählen Wartezeiten bis zur Aufnahme einer Tätigkeit von drei Monaten, bei Zeitarbeit sogar 15 Monaten, die Vorrangprüfung, fehlendes Verwaltungspersonal und noch zu zaghafte Förderung von Deutschkursen.

"Dass die Integration eine Mammutaufgabe ist, die viel Kraft und Zeit kostet, ist Fakt."

Veltmann

Dass eine schnellere Registrierung, bessere Unterbringung und zugleich Verschärfung der inneren Sicherheit sowie gerade auch die Sicherstellung eines geeigneten Qualifizierungsangebots Mammutaufgaben sind, die viel Kraft und Zeit kosten, ist Fakt. Die Politik sollte aber das Konzept und die Fortschritte, die es zweifelsohne gibt und die durchaus hoffnungsvoll stimmen, transparent machen. Zudem sollte sie deutlich machen, wie sehr sich jeder Einzelne dabei engagieren muss, weil Politik und Verwaltung es allein angesichts solch gewaltiger internationaler Verwerfungen nicht schaffen können.

Eine Bundeskanzlerin mit menschlicher Größe

Und ein Weiteres muss die Politik in dieser Lage leisten: Sie muss ihre Kraft darauf verwenden, Falschmeldungen richtig zu stellen und Attacken aller Art abzuwehren. Eine Bundeskanzlerin, die – anderes als so viele – in dieser Lage aufrechte Haltung und menschliche Größe zeigt, und gewaltige Kraftanstrengungen unternimmt, Lösungen in Europa zu finden, verdient Respekt statt allgegenwärtiger Anfeindungen. Denn diese schaden keineswegs nur ihr, sondern destabilisieren unsere Gesellschaft und damit unsere Wirtschaft.

Einen jeden muss die Vorstellung darüber schrecken, was wohl in einem freiheitlichen Land auf hohem Wohlstandsniveau in so verworrenen Zeiten wie diesen voller ernster globaler Gefahren die Folgen wären, wenn ein Hitzkopf mit ideologischer oder gar nationalistischer Gesinnung an der Spitze unseres Landes stünde.

Die aktuellen Migrationen werden gewiss als die Völkerwanderung des 21. Jahrhunderts in die Geschichte eingehen. Keine der gegenwärtig diskutierten Maßnahmen zur Abwehr dieses Vorganges wird sich als geeignet erweisen. Die Zielländer der Migration werden sich darauf einstellen müssen, ihren Wohlstand zu teilen, wenn sie ihn dauerhaft sichern wollen.

Aktuell ist die Hälfte derer, die unterwegs sind, jünger als 25 Jahre. Für die heute von Überalterung bedrohten Standorte, zu denen Deutschland zweifelsfrei zählt, kann dies gewaltige Chancen bedeuten. Die politische Führung muss die Ängste der Menschen mindern und ihren Gemeinsinn fördern. Ebenso muss sie freilich die Risiken erläutern und tragfähige Strategien zu deren Bewältigung entwickeln.

Sieben Millionen Menschen braucht Deutschland 

Durch die Flüchtlinge wird unser Land keineswegs übervölkert. Seriösen Berechnungen zur Folge müssen bis 2035 im Saldo mehr als sieben Millionen Menschen zuwandern, um die Einwohnerzahl Deutschlands auf dem Niveau von 2014 zu halten. Der demographische Wandel wurde in den zurückliegenden Jahren in vielfältiger Hinsicht beklagt, nun ist Entspannung in Aussicht, wenn auch in anderer Form, als einst vielleicht erhofft.

Selbstverständlich werden sich durch die neue Bevölkerungsstruktur kulturelle Veränderungen ergeben und es wird deshalb gerade bei der Erziehung unserer Kinder zu Respekt und Neugier noch mehr Gewicht beigemessen werden müssen.

Selbstverständlich ist mit Zähnen und Klauen das Wesen unseres freiheitlichen und weltoffenen Lebens zu verteidigen, bei dem sich Bibel, Koran und sonstige religiöse Manifeste bitteschön eindeutig dem Grundgesetz als gesamtgesellschaftlichem Konsens über die Regeln des Zusammenlebens unterordnen. Die Kraftanstrengung, die jetzt und noch lange notwendig ist, wird sich mittelfristig wirtschaftlich für Deutschland spürbar auszahlen.

Populisten und Zweckpessimisten sei dagegen gesagt, dass sie mit ihren Aktivitäten gerade das Gegenteil bewirken. Wer von ihnen den Erfolg nicht verhindern will, muss tunlichst seine Haltung überdenken."


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