Anforderungen an die Begründung des Widerspruchs des Betriebsrats gegen eine Kündigung nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG

Widerspruch des Betriebsrates "ins Blaue hinein" unzulässig.

In der Entscheidung vom 9.7.2003 – 5 AZR 305/02 – hatte sich das Bundesarbeitsgericht erstmals mit der Auslegung des § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG zu befassen. Anlass war ein Streit über einen Anspruch des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug.

Der Kläger war als Transportarbeiter bei der Beklagten beschäftigt. Im Januar 2000 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung von 178 der 245 bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer an. Von dem Personalabbau war auch der Kläger betroffen. Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung des Klägers wie folgt: „... In vergleichbaren Abteilungen sind mehrere Arbeitnehmer tätig, die wesentlich jünger sind, eine geringere Betriebszugehörigkeit aufweisen und geringere Unterhaltspflichten haben ... Beispielhaft werden hier die Mitarbeiter der Kostenstelle 451 genannt, die trotz schlechterer Sozialdaten in der Fertigstellung weiterbeschäftigt werden ...“. Einen gleichartigen Widerspruch gab der Betriebsrat zu allen anderen 177 beabsichtigten Kündigungen ab. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31. August 2000. Hiergegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage und beantragte im Rahmen dessen, ihn vorläufig weiter zu beschäftigen. Die Kündigungsschutzklage wurde abgewiesen.

Nach Auffassung des Fünften Senats stand dem Kläger kein Weiterbeschäftigungsanspruch unter den Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG zu und kam folglich ein Annahmeverzug des Arbeitgebers nicht in Betracht. Der Widerspruch des Betriebsrats entspreche nicht den Anforderungen des § 102 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Mache der Betriebsrat mit seinem Widerspruch geltend, der Arbeitgeber habe zu Unrecht Arbeitnehmer nicht in die soziale Auswahl einbezogen, müssten diese Arbeitnehmer vom Betriebsrat entweder konkret benannt oder anhand abstrakter Merkmale aus dem Widerspruchsschreiben bestimmbar sein. Dies folge aus dem Regelungszusammenhang von § 102 Abs. 3 Nr. 1 mit § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG. Das Arbeitsgericht könne den Arbeitgeber nur dann im Wege der einstweiligen Verfügung von der Weiterbeschäftigungspflicht wegen eines offensichtlich unwirksamen Widerspruchs entbinden, wenn sich aus dem Widerspruch des Betriebsrats hinreichend deutlich ergebe, welche Arbeitnehmer im Hinblick auf ihre soziale Schutzwürdigkeit zu vergleichen sein sollen. Ferner könne bei mehreren zur gleichen Zeit beabsichtigten betriebsbedingten Kündigungen der Betriebsrat den Kündigungen nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG nur dann wirksam widersprechen, wenn er in jedem Einzelfall auf bestimmte oder bestimmbare, seiner Ansicht nach weniger schutzwürdige Arbeitnehmer verweisen würde. Der Betriebsrat könne nicht für alle oder mehrere beabsichtigte Kündigungen geltend machen, die soziale Auswahl sei fehlerhaft, weil der Arbeitgeber einen oder mehrere schutzwürdigere Arbeitnehmer übergangen habe. Auf denselben Berufungsfall könne der Betriebsrat seinen Widerspruch nicht mehrfach stützen. Vorliegend gehe die Widerspruchsbegründung des Betriebsrats nicht auf den Einzelfall des Klägers ein und argumentiere nur mit Vermutungen, letztlich habe der Betriebsrat den Widerspruch ins Blaue hinein erhoben.

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