BAG-Urteil: Stichtagsregelung in „Pakt für Arbeit“

Das BAG hat sich in der Entscheidung vom 25. Juni 2003 mit der Vereinbarkeit einer tariflichen Regelung zur Beschäftigungssicherung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz befasst.

Das BAG hat sich in der Entscheidung vom 25. Juni 2003 — 4 AZR 405/02 - mit der Vereinbarkeit einer tariflichen Regelung zur Beschäftigungssicherung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz befasst.

Die Parteien streiten darüber, ob Absenkungen tariflicher Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers wirksam sind. Die beklagte Arbeitgeberin, ein Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs, befürchtete aufgrund neuer Vergabevorschriften den Verlust eines Konzessionsvolumens, dem ein Personalbedarf von ca. 400 Busfahrern entsprach. Die Arbeitgeberin vereinbarte mit der ÖTV einen sog. "Pakt für Arbeit". Die u.a. veränderten Arbeitszeitregelungen, Überstundenzuschläge und Zulagen betrafen z.T. alle Mitarbeiter, z.T. alle Busfahrer, überwiegend aber nur die 416 Busfahrer, die seit dem 1.1.1991 eingestellt worden waren. Diese Arbeitnehmergruppe erhielt als Ausgleich eine Abfindung in Höhe von 20.000 DM. Im Gegenzug schloss die Arbeitgeberin zeitlich befristet betriebsbedingte Kündigungen aus. Mit Wirkung zum 1.1.1999 wurden die Arbeitsbedingungen der verschiedenen Arbeitnehmergruppen wieder weit gehend angeglichen. Der Arbeitnehmer verlangt u.a. die Zahlung der Vergütungsdifferenz, die er aufgrund der Vereinbarung erlitten hat. Das LAG hat die erstinstanzlich erfolgreiche Klage abgewiesen.

Das BAG hat entschieden, dass der Arbeitnehmer die Zahlung nicht verlangen kann.

Die tarifvertraglichen Leistungsabsenkungen durch den "Pakt für Arbeit" seien wirksam. Eine Neuregelung einer Tarifnorm verdränge die bisherige, gegebenenfalls auch günstigere Vorschrift. Die neuen Tarifvereinbarungen verstießen nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Ein Gesetzgeber überschreite die Grenzen des Art. 3 Abs. 1 GG erst, wenn eine gesetzliche Differenzierung sich sachbereichsbezogen nicht auf einen vernünftigen rechtfertigenden Grund zurückführen lasse, oder wenn bedeutende Ungleichheiten nicht angemessen berücksichtigt würden. Der Gesetzgeber könne zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einführen, die allerdings ihrerseits auch sachlich gerechtfertigt sein müssen. Ob der Gleichheitssatz die Tarifvertragsparteien in gleicher Weise wie den Gesetzgeber binde - so der Dritte Senat - oder nicht - so vielfach der erkennende Vierte Senat - bedürfe keiner Entscheidung. Denn selbst bei einer unterstellten Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 Abs. 1 GG läge kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor. Es sei nicht Aufgabe der Gerichte zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien die gerechteste und zweckmäßigste Lösung für ein Regelungsproblem gefunden haben. Den Tarifvertragsparteien stehe vielmehr eine Einschätzungsprärogative und bei der Vertragsgestaltung ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Bei der Überprüfung eines möglichen Gleichheitsverstoßes sei nicht auf die Einzellfallgerechtigkeit, sondern auf die generellen Auswirkungen der Vorschrift abzustellen.

Die Differenzierung zwischen den Busfahrern, die vor dem Stichtag des 1.1.1991 eingestellt worden sind, und den anderen Fahrern verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Da die Tarifvertragsparteien die Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitgeberin als bedroht eingeschätzt haben, läge es im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums, die von ihnen für geboten und angemessen angesehene Regelung zu vereinbaren. Ihre Entscheidung, die Wettbewerbsfähigkeit der Beklagten zunächst vorrangig durch die Absenkung der Vergütung bei den ca. 400 Busfahrern mit der kürzesten Betriebszugehörigkeit zu verbessern, sei nicht sachwidrig, sondern plausibel. Die Zahl der aufgrund des vereinbarten Stichtags von der Tarifregelung am stärksten betroffenen Fahrer habe in etwa der Zahl entsprochen, die nach Einschätzung der Tarifvertragsparteien bei Wegfall der Konzessionen von Entlassungen bedroht waren. Diese Einschätzung sei nachvollziehbar. Denn die Betriebszugehörigkeit spiele für die soziale Auswahl bei betriebsbedingtem Personalabbau eine erhebliche, in vielen Fällen die entscheidende Rolle. Die Tarifvertragsparteien seien nicht verpflichtet gewesen, auf eine im Einzelfall möglicherweise bestehende größere soziale Schutzbedürftigkeit von betroffenen Fahrern Rücksicht zu nehmen. Die allgemeine Regelung eines Stichtages sei nicht zu beanstanden. Darüber hinaus dürften die Einkommenseinbußen nicht isoliert betrachtet werden. Ebenso müssten die Arbeitsplatzsicherung und die weiteren Kostensenkungsmaßnahmen (Arbeitszeit, Zuschläge usw.) berücksichtigt werden, die sich auch auf die übrigen, nicht kündigungsgefährdeten Arbeitnehmer erstreckten. Schließlich sei eine Abfindung gezahlt worden, die zwar nicht der vollen Kompensation, aber einer angemessenen Abfederung der Vergütungseinbußen diente.

Die Entscheidung des BAG ist zu begrüßen. Das Gericht räumt tariflichen Bündnissen für Arbeit einen weiten Gestaltungsspielraum ein. Bemerkenswert ist, dass das BAG in die Überprüfung eines möglichen Gleichheitsverstoßes gleichermaßen "Äpfel und Birnen", also Arbeitsplatzsicherheit, Lohneinbußen und Arbeitszeitregelungen, einbezieht.

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