BAG weitet Auskunftsrechte des Betriebsrats aus

Mit Beschluss vom 19. Februar 2008 - 1 ABR 84/06 - hat das Bundesarbeitsgericht die Auskunftsrechte des Betriebsrats dahingehend ausgelegt, dass ein solchesbereits ohne konkrete Anhaltspunkte für einen Regelverstoß zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Durchführung eine Betriebsvereinbarung geltend gemacht werden könne.

Mit Beschluss vom 19. Februar 2008 - 1 ABR 84/06 - hat das Bundesarbeitsgericht die Auskunftsrechte des Betriebsrats dahingehend ausgelegt, dass ein solchesbereits ohne konkrete Anhaltspunkte für einen Regelverstoß zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Durchführung eine Betriebsvereinbarung geltend gemacht werden könne.
  • Orientierungssätze
1. Ein Unterrichtungsanspruch nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG kann daraus folgen, dass der Betriebsrat nur mit Hilfe der begehrten Auskünfte überprüfen kann, ob der Arbeitgeber eine zugunsten der Arbeitnehmer geltende Betriebsvereinbarung richtig durchführt.
2. Der Auskunftsanspruch hängt nicht davon ab, dass der Betriebsrat konkrete Anhaltspunkte für einen Regelverstoß darlegt. (Orientierungssätze)
  • Sachverhalt
Die Betriebsparteien hatten 1998 eine Betriebsvereinbarung zur Regelung der Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgeschlossen. Nach der Betriebsvereinbarung war die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung jeweils am dritten Krankheitstag vorzulegen. Gleichzeitig war der Arbeitgeber berechtigt, anzuordnen, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits am ersten Krankheitstag vorzulegen ist. Voraussetzung waren begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Weiter war in der Betriebsvereinbarung ein Beschwerderecht für den betroffenen Arbeitnehmer gegenüber dem Betriebsrat normiert.
Auskunftsrechte des Betriebsrates, wann der Arbeitgeber von der Möglichkeit der sofortigen Vorlage bei Arbeitsunfähigkeit Gebrauch macht, waren nicht vorgesehen.
Von der Möglichkeit, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon am ersten Krankheitstag vorlegen zu lassen, wurde zunächst wenig Gebrauch gemacht. Im Zeitraum von Anfang Mai bis Anfang Juni 2005 wurden dann rund 20 solcher Anweisungen erteilt. Der Betriebsrat befürchtete deshalb, dass die Arbeitgeberin sich nicht mehr am Wortlaut der Betriebsvereinbarung - "begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit" - gebunden hält.
Aus diesem Grund beantragte der Betriebsrat, dass die Arbeitgeberin ihm die Namen der Arbeitnehmer mitzuteilen habe, denen sie die Anweisung erteilt hatte, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits am ersten Tage vorzulegen, sowie die Tatsachen, aufgrund welcher die Arbeitgeberin begründete Zweifel am Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit hatte.
Nachdem beide Vorinstanzen die Anträge des Betriebsrates abgewiesen hatten, hob das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auf und bejahte den Auskunftsanspruch des Betriebsrates.
  • Entscheidungsgründe
Das Bundesarbeitsgericht ist der Auffassung, dass die Anträge des Betriebsrates begründet sind, da der Betriebsrat überwachen müsse, ob die Betriebsvereinbarung ordnungsgemäß umgesetzt werde. Der Auskunftsanspruch folge aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG.
Um zu prüfen, ob Auskunftsansprüche nach dieser Norm bestehen, sei ein zweistufige Prüfung vorzunehmen. Zunächst sei zu prüfen, ob eine Aufgabe des Betriebsrates gegeben sei, wobei eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Bestehen einer Aufgabe des Betriebsrates ausreiche. Im zweiten Schritt sei dann zu prüfen, ob die begehrte Information zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich sei.
Vorliegend ergebe sich die Aufgabe aus der Pflicht des Betriebsrates, darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltende Betriebsvereinbarung durchgeführt werde (§ 80 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Dies gelte auch im Fall einer nachwirkenden Betriebsvereinbarung. Auch die Tatsache, dass der Betriebsrat Auskünfte eines bereits vergangenen Zeitraums beantrage, stehe dem nicht entgegen.
Zwar sei die Überwachungsaufgabe vorrangig zukunftsbezogen, aus den Auskünften über bestimmte Verhaltensweisen des Arbeitgebers in der Vergangenheit könne man aber Rückschlüsse für das zukünftige Verhalten ziehen. Die rückwärtige zeitliche Grenze läge deshalb erst dort, wo der Betriebsrat aus den gewünschten Informationen keine sachgerechte Forderungen mehr ziehen könne. Diese Grenze sei hier nicht überschritten. Ebensowenig sei die Überwachungspflicht deshalb entfallen, weil sie durch die Regelungen der Betriebsvereinbarung ausgeschlossen wäre.
Allein der Umstand, dass ein Beschwerderecht des einzelnen Arbeitnehmers gegenüber dem Betriebsrat vorgesehen sei, sei nicht ausreichend, um anzunehmen, dass der Betriebsrat auf sein Recht zur Unterrichtung verzichte, zumal dies ein Verzicht des Betriebsrates auf ihm gesetzlich übertragene Befugnisse darstelle, der unwirksam sei. Genauso wenig bedürfe es für den Auskunftsanspruch "greifbarer Anhaltspunkte" dafür, dass sich die Arbeitgeberin nicht an die Bestimmungen der Betriebsvereinbarung halte.
Eine Überwachung verlange ein vorbeugendes Tätigwerden. Auf das Auftreten von Verdachtsmomenten für eine Regelverletzung sei der Betriebsrat deshalb nicht zu verweisen. Dies ergebe sich auch aus der Vorschrift des § 80 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz BetrVG. Danach seien dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Jederzeit bedeute in diesem Zusammenhang, dass der Betriebsrat die erforderlichen Unterlagen auch ohne besonderen Anlass verlangen könne. Dies gelte nicht nur für den Vorlageanspruch des § 80 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz, sondern auch für den Auskunftsanspruch nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG.
  • Bewertung der Entscheidung
Die Tendenz des BAG, Auskunftsrechte des Betriebsrates grundsätzlich ausufernd zu interpretieren, tritt deutlich zu Tage. Das BAG weitet seine Rechtsprechung aus, dass für Auskunfts- und Unterrichtungsansprüche nach § 80 Abs. 2 BetrVG keine besonderen Anhaltspunkte vorliegen müssen, sondern dass der Betriebsrat die Vorlage von Unterlagen wie das Verlangen nach sonstigen Informationen jederzeit geltend machen kann.
In der vorliegenden Entscheidung ist eine solche ausufernde Interpretation der Informationsrechte des Betriebsrats nach § 80 BetrVG besonders problematisch, da durch das Beschwerderecht des Arbeitnehmers bereits eine ausreichende Kontrolle der Durchführung der Betriebsvereinbung geschaffen wurde.

Seite drucken

Zurück zur Übersicht
Weitere Artikel