BGA-Beschluss zur Nichtigkeit einer Betriebsratswahl

Mit Beschluss vom 19. November 2003 – 7 ABR 24/03 hat das Bundesarbeitsgericht in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung die Anforderungen für die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl verschärft.

Mit Beschluss vom 19. November 2003 – 7 ABR 24/03 hat das Bundesarbeitsgericht in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung (BAG vom 27. April 1976 – 1 AZR 482/75 - ) die Anforderungen für die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl verschärft.

Bei der Arbeitgeberin wurde erstmals eine Betriebsratswahl durchgeführt. Im Zeitpunkt der Betriebsratswahl waren 59 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt, von denen 52 über einen eigenen E-Mail-Anschluss verfügten. Auf Einladung von drei Arbeitnehmerinnen, die an die Beschäftigten via E-Mail versandt wurde, fand eine Betriebsversammlung statt, an der auch die Geschäftsführer der Arbeitgeberin teilnahmen. Dort wurde ein aus drei Arbeitnehmerinnen bestehender Wahlvorstand gewählt. Dieser fasste ohne Einwendungen der Teilnehmer der Betriebsversammlung den Beschluss, die Betriebsratswahl im vereinfachten Wahlverfahren durchzuführen. Der Wahlvorstand erstellte in der Versammlung ferner eine Wählerliste und nahm Wahlvorschläge entgegen. Anfang 2002 informierte die Vorsitzende des Wahlvorstands die Beschäftigten per E-Mail darüber, dass Ende Januar 2002 die Betriebsversammlung mit Wahl des Betriebsrats stattfinden werde. Die Einladung enthielt die Bitte, auch die Beschäftigten zu informieren, die nicht per E-Mail zu erreichen sind. Ein von drei Arbeitnehmern unterzeichneter Wahlvorschlag ging noch vor der Betriebsversammlung beim Wahlvorstand ein, der ihn zur Wahl zuließ. An der Betriebsratswahl nahmen 48 Arbeitnehmer teil. Es wurden fünf Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder gewählt. Binnen zwei Wochen, nachdem der Wahlvorstand der Arbeitgeberin die Namen der Betriebsratsmitglieder schriftlich mitgeteilt hat, machte die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl geltend. Die Betriebsratswahl sei anfechtbar und außerdem wegen der Vielzahl von Fehlern im Wahlverfahren nichtig.

Das Gericht gelangt zunächst zu der Auffassung, dass die Betriebsratswahl unwirksam ist. Bei der Wahl sei gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen worden. Die einladenden Arbeitnehmerinnen hätten es versäumt, dafür Sorge zu tragen, dass alle Mitarbeiter zur Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 2 BetrVG eingeladen worden sind. Der Wahlvorstand habe die Wahl zu unrecht im vereinfachten Verfahren für Kleinbetriebe durchgeführt. Die in § 14 a Abs. 5 BetrVG normierte Vereinbarung betriebsverfassungsrechtlicher Art bedürfe korrespondierender Willenserklärungen von Wahlvorstand und Arbeitgeber. Daran fehle es, da sich dem Schweigen der Geschäftsführer in der Betriebsversammlung keine Willenserklärung entnehmen lasse. Im übrigen habe der Wahlvorstand alle für das Regelverfahren geltenden Vorschriften des Gesetzes und der Wahlordnung nicht beachtet, er habe auch die Vorschriften für das von ihm zu unrecht betriebene vereinfachte Verfahren missachtet, schließlich seien die vom Wahlvorstand als gültig anerkannten Wahlvorschläge nicht in der vom Gesetz vorgesehenen Weise bekannt gemacht worden. Der Verstoß sei geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen kommt der Siebte Senat des BAG jedoch zu dem Schluss, dass die Wahl nicht nichtig sei. An der Entscheidung des Ersten Senats vom 27. April 1976 - 1 AZR 482/75 -, wonach von einer dem Betriebsverfassungsgesetz entsprechenden Wahl dem äußeren Anschein nach dann nicht mehr die Rede sein kann, wenn nach einer Gesamtwürdigung des in Betracht kommenden Prozessstoffs die Verstöße gegen die Vorschriften des Wahlverfahrens so offensichtlich und schwerwiegend sind, dass das Wahlverfahren nicht mehr als ein nach dem Gesetz durchgeführter Wahlakt angesehen werden kann, wird ausdrücklich nicht mehr festgehalten. Eine Ausnahme von dem Grundsatz der (bloßen) Anfechtbarkeit sei nur geboten, wenn bei der Wahl des Betriebsrats so grob und offensichtlich gegen Wahlvorschriften verstoßen wurde, dass auch nur von dem Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr gesprochen werden kann und dies jedem mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Dritten sofort ohne weiteres erkennbar ist. Von einer solchen Ausnahme könne in dem zugrundeliegenden Fall bei einer erforderlichen bewertenden Gesamtwürdigung ebenso wenig ausgegangen werden wie bei einer erst durch Beweisaufnahme zu ermittelnden Tatsachenfeststellung. Handele es sich bei den einzelnen Verstößen um Mängel, die jeder für sich genommen zwar die Anfechtung der Betriebsratswahl rechtfertigen, nicht aber die Wahl als nichtig erkennen lassen, so könne weder die addierte Summe der Fehler noch eine Gesamtwürdigung zur Nichtigkeit führen. Der Schwebezustand nach Ablauf der Anfechtungsfrist vertrage sich nicht mit der vertrauensvollen Zusammenarbeit der Betriebspartner.

Die Begründung des Siebten Senats für diese Abkehr von der im Schrifttum (GK-BetrVG/Kreutz, RdNr. 135 zu § 19 BetrVG m.w.N.) fast einhellig anerkannten Rechtsprechung ist nicht nachvollziehbar und führt zu Rechtsunsicherheit. Das Erfordernis einer Gesamtwürdigung muss weder die Möglichkeit eines fehlenden Anscheins für eine dem Gesetz entsprechende Wahl noch die Offensichtlichkeit der Unwirksamkeit der Wahl ausschließen. Überdies wurde im vorliegenden Fall die Nichtigkeit binnen der zweiwöchigen Anfechtungsfrist geltend gemacht, eine etwaige missbräuchliche Berufung auf die Nichtigkeit kam daher überhaupt nicht in Betracht.

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