Kündigungsschutz; Wartezeit; Treuwidrigkeit; Maßregelungsverbot

BAG zur Beachtlichkeit von Gewissenskonflikten von Arbeitnehmern bei der Ausübung ihrer Tätigkeit

In der Entscheidung vom 22. Mai 2003 – 2 AZR 426/02 – hat sich das BAG u. a. mit der Kündigung vor der Wartezeit gemäß § 1 Abs. 1 KSchG und einer möglicherweise diskriminierenden Kündigung befasst.

Der Kläger war mehrfach befristet bei der beklagten Stadt K beschäftigt. Zuletzt reinigte er bis zum 15.12.2000 Friedhöfe. Er unterliegt als Angehöriger einer Sinti-Familie einem Reinheitsgebot, das aus kulturellen und religiösen Gründen die Ausübung verschiedener Tätigkeiten, u. a. der eines Bestattungsgehilfen, ausschließt. Die Beklagte wies den Kläger in einem Bewerbungsgespräch für eine Weiterbeschäftigung darauf hin, dass die erstrebte Festanstellung als „Hilfsgärtner“ ab dem 1.2.2001 auch Arbeiten im Bestattungsbereich bis hin zur Umbettung voraussetze. Der Kläger war mit diesen Tätigkeiten einverstanden. Mitte Februar stritten die Parteien darüber, ob die zugewiesene Bestattungstätigkeit mit dem Arbeitsvertrag zu vereinbaren sei. Infolgedessen kündigte die Beklagte dem Kläger.

Das BAG hat die Wirksamkeit der Kündigung bestätigt. Die Kündigung sei nicht nach § 1 KSchG unwirksam. Das Arbeitsverhältnis habe bei Kündigung nicht länger als sechs Monate ohne Unterbrechung bestanden (§ 1 Abs. 1 KSchG). Das vorangegangene befristete Arbeitsverhältnis könne nicht mitgerechnet werden, weil die Vertragsbeziehung vom 15.12.2000 bis zum 31.01.2001 unterbrochen gewesen sei. Diese Unterbrechung sei auch nicht ausnahmsweise unbeachtlich, da zwischen beiden Arbeitsverhältnissen kein enger sachlicher Zusammenhang bestehe. Der Gesetzgeber stellt aus Gründen der Rechtssicherheit maßgeblich auf die formelle Voraussetzung der Dauer der Zugehörigkeit zum Betrieb oder Unternehmen ab.

Die Kündigung des Klägers sei auch nicht nach § 242 BGB unwirksam. Eine Kündigung verstoße gegen § 242 BGB, wenn sie aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst seien, Treu und Glauben verletze. Dies gelte jedenfalls für eine Kündigung, auf die wegen Nichterfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG das KSchG keine Anwendung finde, weil sonst für diese Fälle über § 242 BGB kraft Gesetzes ausgeschlossene Kündigungsschutz doch gewährt würde. Das BAG sah die Kündigung nicht wegen Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB als unwirksam an.

Die Rechtsausübung sei missbräuchlich, wenn ihr kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liege, wenn sie z. B. als Vorwand diene, um vertragsfremde oder unlautere Zwecke zu erreichen. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da der Kläger im Bewerbungsgespräch seine Mitarbeit bei Bestattungen zugesagt habe.

Die Beklagte habe auch nicht die Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) missachtet. Zwar müsse der Arbeitgeber bei der Ausübung des Direktionsrechts Gewissenskonflikte des Arbeitnehmers berücksichtigen. Für die Interessenabwägung sei es aber von Bedeutung, ob dieser bei Vertragsschluss mit der Zuweisung derartiger Tätigkeiten rechnen konnte, ob der Arbeitgeber auf die Ausführung durch den betreffenden Arbeitnehmer bestehen und in Zukunft mit weiteren Konflikten rechnen müsse. Wenn der Arbeitnehmer die geschuldete Leistung aufgrund einer Gewissensentscheidung nicht erbringe, könne der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis selbst nach dem KSchG in der Regel aus personenbedingten Gründen kündigen. Umstände, die als Kündigungsgründe nach § 1 Abs. 2 KSchG anerkannt seien, könnten keine Unwirksamkeit nach § 242 BGB begründen.

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