Organisationsreform der Unfallversicherung bringt mehr Bürokratie

Nach der Beschlussfassung im Ausschuss für Arbeit und Soziales ist klar, dass der Lastenausgleich nicht entschärft wird und dass überraschend neue Meldepflichten auf die Unternehmen zukommen.

Berlin, 25.06.2008:Zwei Tage vor der Schlussabstimmung im Bundestag hat der Ausschuss für Arbeit und Soziales die geplante Reform der Unfallversicherung in Einzelpunkten korrigiert. Vom Tisch ist nunmehr das von Arbeitgebern und Gewerkschaften kritisierte Vorhaben, den Spitzenverband der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen, die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, unter Fachaufsicht des Bundesarbeitsministeriums zu stellen. Der Umfang der Aufsicht ist nach dem geänderten Entwurf auf die Rechtsaufsicht beschränkt.

Lastenausgleich - Verteilungsschlüssel bleibt, Übergangsfrist verlängert
Zudem verlängerte der Ausschuss auf Antrag der Koalition die Übergangsfrist für die Einführung des neuen Lastenausgleichsverfahrens um drei Jahre bis zum Jahr 2013. An dem geplanten Verteilungsmaßstab des Lastenausgleichs - 70 Prozent nach Entgelten und 30 Prozent nach Neurenten - wurde hingegen festgehalten. Mit der Fristverlängerung für die Einführung werde den durch den neuen Schlüssel belasteten Unternehmen, u.a. im Handels- undim Dienstleistungssektor entgegengekommen, unterstrichen Union und SPD im Ausschuss.

Der ZGV kritisiert das Festhalten an diesem Verteilungsschlüssel - er hatte sich im gesamten Gesetzgebungsverfahreninsbesondere füreine Veränderung des Verteilungsschlüssels im Lastenausgleich eingesetzt, zuletzt mit einer Stellungnahme gegenüber dem federführenden Ausschuss. Zudem sei die gesamte Reform zu kurz gesprungen, da entgegen den Aussagenim Koalitionsvertrag aufeine Leistungsreformin der Unfallversicherung verzichtet wird. Nur auf diesem Wege wärennennenswerte Einsparungen zu erzielen.

Nicht in den Lastenausgleich einbezogen werden vorerstdie privatisierten Unternehmen der öffentlichen Hand, etwa die Deutsche Telekom. Bis Ende 2011 soll abschließend geprüft werden, wie diese Unternehmen in den Lastenausgleich einzubeziehen sind - im Gesetzentwurf war weder eine Einbeziehung noch eine Prüfung vorgesehen. Außerdem erhalten die Berufsgenossenschaften bis zum Jahr 2030 statt bis zum Jahr 2020 Zeit zur Bildung eines Kapitalstocks für Altersrückstellungen.

Neue Meldepflicht - überraschender Änderungsantrag zur Arbeitszeiterfassung

Besonders kritisch zu beurteilen sind die Entwicklungen im Bereich der Meldungen. Die bislang im Gesetzentwurf vorgesehene Ausweitung der Meldepflichten nach § 28a SGB IV (monatliche Meldung für die Unfallversicherung an den Rentenversicherungsträger) bleibt bestehen. Im Gegenzug soll jedoch der jährliche Lohnnachweis gemäß § 165 SGB VII wegfallen. Damit würde zumindest die im Kabinettsentwurf noch vorgesehene Doppelmeldung entfallen. DieWirtschaftsverbände hatten sichin erster Linie für eine - wie auch vom Bundesrat vorgeschlagene - Vereinbarungslösung ausgesprochen. Danach sollten die Deutsche Rentenversicherung Bund und die DGUV die Einzelheiten des Verfahrens und des Datenaustausches in einer Vereinbarung festlegen. Eine Ausweitung des § 28a SGB IV hätte somit entfallen können. Diesem Vorschlag ist der Bundestagsausschuss leider nicht gefolgt.

Durch die Änderungsanträge wird nunmehr noch ein weiterer Meldetatbestand vorgesehen: die geleisteten Arbeitsstunden. DieWirtschaftsverbände hatten sich nachdrücklich gegen diese weitere Ausweitung der Meldepflichten - die sich erst Ende letzter Woche gerüchteweise abzeichnete - gewandt. Mit einer individuellen/arbeitnehmerbezogenen Meldung der Arbeitsstunden würde das glatte Gegenteil dessen erreicht, was eigentlich mit dem Übergang der Betriebsprüfung auf die Rentenversicherungsträger angestrebt wurde, nämlich die Arbeitgeber von Bürokratie zu entlasten.

Eine individuelle Arbeitsstundenmeldung können die Arbeitgeber verlässlich nicht gewährleisten. Zum einen wird die Arbeitszeit vieler Beschäftigter gar nicht in Zeiterfassungssystemen registriert und sie muss es auch nicht. Nach dem Arbeitszeitgesetz müssen grundsätzlich nur solche Arbeitszeiten aufgezeichnet werden, die werktäglich 8 Stunden überschreiten. Bei Arbeitnehmern wie leitenden Angestellten gibt es sogar überhaupt keine Pflicht zur Aufzeichnung von Arbeitszeiten. Dort wo aufgezeichnet werden muss, gilt heute eine Aufbewahrungsfrist von zwei Jahren. Die jetzt vorgesehene neue Meldung würde für ausnahmslos alle Arbeitnehmer eine Aufzeichnungs- und Meldepflicht bedeuten. Die Aufbewahrungsfrist würde sich zudem von zwei auf fünf Jahre mehr als verdoppeln. Zum anderen: Auch dort, wo Zeiterfassungssysteme die Arbeitszeit der Beschäftigten erfassen, sind diese Zeiterfassungssysteme in der Regel nicht mit der Lohn- und Gehaltsabrechnung verknüpft, in der die DEÜV-Meldungen erstellt werden.

Zudem wurde der Nationale Normenkontrollrat – der „Bürokratie-TÜV“ – mit der jetzt vorgesehenen neuen Informationspflicht, die Arbeitgeber zur individuellen Arbeitsstundenmeldung zu verpflichten, überhaupt nicht befasst.

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