Was ist Durchgriffshaftung?

Viele Vorstände und Geschäftsführer umtreibt die Sorge, für geschäftliche Handlungen persönlich einstehen zu müssen. Ist diese Sorge wirklich berechtigt?

Das Stichwort „Durchgriffshaftung“ ist ein schillernder Begriff geworden. Die Neigung, für jede geschäftliche Fehlentwicklung einen Verantwortlichen zu finden, der den „Schaden“ ersetzt, macht aus der Durchgriffshaftung ein Zauberwort, das zugleich geeignet ist, sinnvolle Initiativen zu verhindern. Der ZGV versucht etwas Klarheit zu schaffen.

I.Grundsatz

Juristische Personen haften grundsätzlich nur mit ihrem Gesellschaftsvermögen. Ihre Mitglieder und Organe haften grundsätzlich nicht persönlich für vertragliche Verpflichtungen der Gesellschaft. Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes ist nach der Rechtsprechung jedoch in bestimmten Einzelfällen möglich. Nach den Grundsätzen der sog. Durchgriffshaftung sind folgende Fallgruppen zu beachten:

-die Unterkapitalisierung

-die Vermögensvermischung

-die Sphärenvermischung und

-der Institutsmissbrauch

II.Die Unterkapitalisierung

Eine Gesellschaft gilt regelmäßig dann als unterkapitalisiert, wenn sie nicht kreditwürdig ist. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn das Eigenkapital nicht ausreicht, um den im Rahmen der Geschäftstätigkeit benötigten Finanzbedarf unter Berücksichtigung gebräuchlicher Finanzierungsmethoden, wie etwa Kredite Dritter zu decken. Kann der fehlende Finanzbedarf weder mit Fremdkapital noch mit Eigenkapital gedeckt werden und wird das Finanzierungsproblem schuldhaft unter der Decke gehalten, so sind die Voraussetzungen der Durchgriffshaftung, d.h. der direkten Haftung der Organe der Gesellschaft gegeben. Die materielle Unterkapitalisierung führt zu einer direkten Außenhaftung der Gesellschafter auch der Kapitalgesellschaft und bei der GmbH Co.

III.Vermögensvermischung

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gehört die deutliche Trennung von Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen zu den unverzichtbaren Voraussetzungen für die beschränkte Haftung, die die Gesellschafter durch die Errichtung von Kapital- oder Kommanditgesellschaften mit jeweils eigenem Gesellschaftsvermögen herbeiführen können. Diese Trennung hat deutlich aus den Büchern hervorzugehen. Wird das Trennungsprinzip missachtet, d. h. das Privatvermögen und das Gesellschaftsvermögen vermischt, so kann sich der betroffene Gesellschafter gegenüber den Gläubigern nicht mehr auf das Prinzip der Vermögenstrennung berufen (BGH ZIP 1985, 31). Es haftet jedoch nur derjenige Gesellschafter persönlich, der die Vermischung veranlasst hat oder zumindest Kenntnis von ihr hat und untätig bleibt. Der ahnungslose Minderheitsgesellschafter etwa ist von dieser Haftung nicht betroffen.

IV.Sphärenvermischung

Von einer haftungsbegründenden Sphärenvermischung wird dann gesprochen, wenn die Trennung der Rechtssubjekte nicht hinreichend offenkundig ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Trennung zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter verschleiert wird, z. B. durch die Führung ähnlicher Firmen, die die gleichen Geschäftsräume und das gleiche Personal hat und mithin im organisatorischen Bereich diese Sphären von Gesellschaft und Gesellschafter nicht unterschieden werden können. In einem solchen Fall haften die Gesellschafter den Gläubigern persönlich.

V.Institutsmissbrauch

Als weitere Gruppe der Durchgriffshaftung wird der sog. Institutsmissbrauch behandelt. Ein Institutsmissbrauch liegt dann vor, wenn der Gesellschafter die Konstruktion der juristischen Person bewusst zum Nachteil der Gläubiger geschaffen hat. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die geschäftlichen Chancen zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern so aufgeteilt sind, dass die Gesellschaft alle Risiken trägt, aber keine Gewinnchance hat. In einem solchen Falle besteht eine persönliche Haftung der Gesellschafter.

VI.Qualifiziert faktischer Konzern

Einen Sonderfall der Durchgriffshaftung stellt der sog. qualifiziert faktische Konzern dar. Grundsätzlich kommt ein Konzern durch einen Beherrschungsvertrag zustande, wonach das beherrschende Unternehmen weitestgehenden Einfluss auf das beherrschte Unternehmen erhält. Sofern ein solcher förmlicher Beherrschungsvertrag nicht vorliegt, jedoch ein Mehrheitsgesellschafter im Eigeninteresse einen nachhaltigen Einfluss auf das beherrschte Unternehmen ausübt, spricht man von einem sog. qualifiziert faktischen Konzern. Es muss dabei jedoch eine starke Kontrolldichte zusammen mit Einzelanweisungen vorliegen (BGH Z 107,7). Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Haftung im qualifiziert faktischen Konzern sind nach der Rechtsprechung (BGH NJW 1993, 1200):

1.Ausübung von Leistungsmacht. Die Leitung der abhängigen Gesellschaft muss durch das herrschende Unternehmen ausgeübt werden.

2.Die Leitung muss unter Verletzung von berechtigten wirtschaftlichen Interessen der abhängigen Gesellschaft ausgeübt werden. Dies kann etwa durch einen Zwang zum erheblich überteuerten Bezug von Waren- und Dienstleistungen des Mutterunternehmens, Aufgabe wesentlicher Unternehmensfunktionen, die Einstellung der Geschäftstätigkeit, etc. geschehen.

3.Durch die Ausübung der Leitungsmacht muss ein Nachteil der abhängigen Gesellschaft bewirkt worden sein, der nicht anderweitig ausgeglichen wird. Als anderweitiger Ausgleich kommt z. B. die Rückzahlung des Stammkapitals an die Gesellschafter in Frage.

Die Rechtsfolgen der qualifiziert faktischen Konzernierung stellen sich wie folgt dar:

Das herrschende Unternehmen haftet bei Vorliegen der soeben genannten Voraussetzungen dahingehend, dass es die Verluste des abhängigen Unternehmens auszugleichen hat. Wird das Insolvenzverfahren bei der abhängigen Gesellschaft mangels Masse nicht eröffnet, so kann jeder Gläubiger die Erfüllung seiner Ansprüche vom herrschenden Unternehmen verlangen.

Das herrschende Unternehmen hat jedoch Verluste der Untergesellschaft nur insoweit auszugleichen, als dies zur Befriedigung des anspruchstellenden Gläubigers erforderlich ist. Im Falle der Inanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter bedeutet dies allerdings regelmäßig eine vollständige Verlustausgleichspflicht. Die Beweislast für die haftungsbegründenden Tatsachen obliegt im Streitfalle dem Gläubiger. Die Durchgriffshaftung erstreckt sich auch auf arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Ansprüche.

VII.Rechte der Gesellschafter

Gesellschafter haben gegen das herrschende Unternehmen einen Anspruch auf Unterlassung des gesamten schädigenden Verhaltens sowie ein Austrittsrecht aus wichtigem Grund gegen volle Abfindung. Volle Abfindung bedeutet hier, dass die regelmäßig gesellschaftsvertraglich verankerten Abfindungsbeschränkungen keine Anwendung finden, sondern vielmehr die Abfindung analog den aktienrechtlichen Vorschriften gezahlt werden muss.

Ansprechpartner:

RA Rouben Halajian

Telefon: 030 / 59 00 99 662

E-Mail: r.halajian@zgv-online.de

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