"Whistleblowing" - geplante Änderung des § 612a BGB

Derzeit wird die Einführung einer neuen Vorschrift (§ 612a) im Bürgerlichen Gesetzbuch diskutiert, die Anzeigerechte des Arbeitsnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber regeln soll. Die Diskussion steht im Zusammenhang mit dem „Gammelfleisch-Skandal“ und der von Bundesminister Seehofer angestrebten Änderung des Lebensmittelrechts.

Für die Einführung einer solchen Regelung besteht aus Sicht des ZGVkeine Notwendigkeit. Nach der Rechtsprechung hat der Arbeitnehmer bereits jetzt Möglichkeiten, seinen Arbeitgeber bei der Staatsanwaltschaft oder den entsprechenden Behörden anzuzeigen. Grundsätzlich hat er aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vorher eine innerbetriebliche Klärung anzustreben. Eine Änderung dieser Rechtslage würde dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zuwiderlaufen.

Der vorgesehene § 612a BGB, der de facto eine gesetzliche Grundlage für Aspekte des Whistleblowings schaffen soll, ist unter dem Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes überflüssig. Schlimmer noch: Er stellt den Versuch dar, massiv das Vertrauensverhältnis in den Betrieben zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern, aber auch der Arbeitnehmer untereinander zu untergraben. Dies geschieht, indem heute schon existierende Rechtsprechung kodifiziert wird, in diesem Rahmen aber deutlich über die Voraussetzungen hinausgegangen wird, die für Anzeigerechte bisher formuliert wurden. Dadurch wird in nicht nachvollziehbarer Weise in die Autonomie der Betriebe eingegriffen.

1. bisher: Straftaten von erheblicher Bedeutung

Esist schon heute unbestritten, dass der Arbeitnehmer dann ein Anzeigerecht hat, wenn der Arbeitgeber nicht schutzwürdig ist, z. B. weil er von seinem Mitarbeiter die Mitwirkung an offensichtlich strafbaren Taten verlangt.

Allerdings kommt es zu einer erheblichen Ausdehnung der heute für ein solches Anzeigerecht durch die Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen. So soll künftig jede Straftat ausreichen, den Arbeitnehmer zu berechtigen, sich ohne vorheriges innerbetriebliches Verlangen auf Abhilfe an einen Dritten zu wenden. Dies geht weit über diebisherige Rechtsprechung hinaus. Nach geltender Rechtslage muss es sich vielmehr um schwerwiegende, mit erheblichen Gefahren verbundene Straftaten handeln (so auch das BAG am 3. Juli 2003 — 2 AZR 235/02), bevor der Arbeitnehmer sich an Dritte wenden darf, ohne zuvor innerbetrieblich auf Abhilfe zu dringen. Die für das Miteinander von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zentrale Einhaltung des üblichen Weges, zuerst im Betrieb selbst auf Abhilfe zu dringen, würde untergraben und damit eine Kultur gefördert, die es Arbeitnehmern ermöglicht, eigene Belange ohne Rücksicht auf betriebliche Gegebenheiten durchzusetzen. Dies ist nicht akzeptabel.

Des Weiteren bezieht die vorgesehene Regelung nicht den vom BAG herausgearbeiteten Gesichtspunkt des Missbrauchsvorbehalts mit ein. Danach kommt es entscheidend auch auf die Motivation des Arbeitnehmers an, die ihn zur Anzeige des Fehlverhaltens seines Arbeitgebers veranlasst. Eine Anzeige, nur mit dem Ziel des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber „eins auszuwischen“ wird auch heute zu Recht sanktioniert und nicht als Rechtfertigungsgrund dafür anerkannt, sich an eine öffentliche Stelle zu wenden.

2. Verstoß gegen gesetzliche Pflichten

Es gibt bereits eine Vielzahl von Vorschriften, die den Arbeitnehmer zur Anzeige der Verletzung von gesetzlichen Pflichten durch den Arbeitgeber ermächtigt. Daher ist eine abstrakte Regelung in einem allgemeinen Gesetz völlig überflüssig. Darüber hinaus ist vorgesehen, jegliche gesetzliche Pflicht, unabhängig davon, wie diese normiert ist, zum Gegenstand solcher Anzeigepflichten zu machen. Dies kann im Extremfall bedeuten, auch einfache schuldrechtliche Verpflichtungen zum Gegenstand solcher Anzeigepflichten zu machen.

Eine solche Regelung reicht weit über jedes Maß des vernünftigen Miteinanders von Arbeitgeber, Arbeitnehmer und zur Ausführung berufener Behörde hinaus. Dabei hilft es nicht, dass zuvor eine Abhilfe im Betrieb versucht werden soll. Denn bereits die Auffassung des Arbeitnehmers, eine innerbetriebliche Abhilfe werde nicht oder nicht ausreichend erfolgen, soll ihm künftigGelegenheit geben, seinen Arbeitgeber oder Arbeitskollegen bei allen nur denkbaren Stellen zu denunzieren.

3. Zusammenfassung

Der vorgesehene § 612a BGB greift in nicht akzeptabler Form in das notwendige Treueverhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein. Er gefährdet den Betriebsfrieden und genau dies scheint auch sein Ziel zu sein. Besonders gravierend fällt ins Gewicht, dass bestehende Grundsätze, an denen sich der Arbeitnehmer zu orientieren hat, abgesenkt werdenund es in das subjektive Belieben des Arbeitnehmers gestellt werden soll, wann die Einhaltung des innerbetrieblichen Beschwerdewegs für notwendig erachtet wird.

In der vorgesehenen Weite und Intensität, vor allen Dingen aber auch wegen seiner überhaupt nicht vorhandenen Bestimmtheit, stellt sich die Frage, ob eine solche Vorschrift nicht gegen das Rechtsstaatsgebot des Artikel 20 GG verstoßen würde und damit auch verfassungswidrig wäre. Sie muss auf grundsätzlichen Widerstand der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten treffen und darf keinesfalls Gesetz werden.

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