Wirksamkeit von Kündigungen vor Ablauf der Fristen

In seiner Entscheidung vom 8. April 2003 – 2 AZR 515/02 – befasst sich das BAG mit der Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Mit Schreiben vom 31. August 2001, das dem Vorsitzenden des Betriebsausschusses am 3. September 2001 zuging, hörte die beklagte Arbeitgeberin den Betriebsrat zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des klagenden Arbeitnehmers an. Nachdem der Betriebsrat keine Stellungnahme abgegeben hatte, übergab die Arbeitgeberin am 10. September 2001 um 17:00 Uhr einem Kurierdienst das Kündigungsschreiben mit dem Auftrag, dieses am 11. September 2001 um 10:00 Uhr dem Arbeitnehmer zuzustellen.

Das BAG hat entschieden, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung aufgelöst worden ist. Die Kündigung sei nicht nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG rechtsunwirksam, weil die Arbeitgeberin das Kündigungsschreiben vor Abschluss des Anhörungsverfahrens dem Kurierdienst übergeben habe.

Für eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG habe der Arbeitgeber den Abschluss des Anhörungsverfahren abzuwarten, ehe er die Kündigung ausspricht. Die Anhörungsfrist des § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG solle dem Betriebsrat voll als Überlegungsfrist zur Verfügung stehen.

Die Kündigung ist, so das BAG, schon vor Ablauf der Äußerungsfrist durch Abgabe an den Kurierdienst erklärt worden. Durch die Abgabe der verkörperten Willenserklärung an den Kurierdienst habe sich der Arbeitgeber am 10. September um 17:00 Uhr seiner Erklärung im Sinne von § 130 Abs. 1 BGB entäußert. Die Zustimmungsfiktion gemäß § 102 Abs. 2 S. 2 BetrVG treffe keine Sonderregelung für die Fristberechnung. Die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 S. 2 BetrVG ende damit gemäß § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des Tages der nächsten Woche, der durch seine Benennung dem Tag entspricht, an dem dem Betriebsrat die Arbeitgebermitteilung zugegangen sei, also am 10. September 2001 um 24:00 Uhr.

Nach Ansicht des BAG hat der Ausspruch der Kündigung vor Ablauf der Äußerungsfrist ausnahmsweise nicht nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge. Habe der Betriebsrat zur Kündigungsabsicht innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG keine Stellung genommen, so könne der Arbeitgeber am letzten Tage der Äußerungsfrist bei Dienstschluss das Kündigungsschreiben einem Kurierdienst übergeben, wenn er gleichzeitig dafür gesorgt habe, dass eine Zustellung erst so spät erfolge, dass er sie noch verhindern könne, wenn der Betriebsrat wider Erwarten doch zu der Kündigungsabsicht Stellung nehme. Eine wirksame Anhörung könne zwar grundsätzlich nicht mehr erfolgen, nachdem die Kündigung erklärt sei. Die Abgabe einer Kündigungserklärung bei Dienstschluss am letzten Tag der Äußerungsfrist des Betriebsrats sei vom Sinn und Zweck der Vorschrift her jedoch dann anders zu beurteilen, wenn sichergestellt sei, dass in dem Fall einer nachträglichen Stellungnahme des Betriebsrats dessen Bedenken Rechnung getragen und der Zugang der Kündigung gegebenenfalls verhindert werden könne.

Behalte sich der Arbeitgeber erkennbar die Entscheidung vor, eine ihm möglicherweise noch nach Dienstschluss zugehende Stellungnahme des Betriebsrats zu berücksichtigen und daraufhin seinen Kündigungsentschluss erneut zu überdenken, und sorge er dafür, dass in diesem Fall der Zugang der Kündigung verhindert werden könne, so stehe dem Betriebsrat die Äußerungsfrist des §102 Abs. 2 BetrVG voll zur Verfügung.

In der vorstehenden Entscheidung hält das BAG an seiner Auffassung fest, dass der Abschluss des Anhörungsverfahrens dem Ausspruch der Kündigung vorangehen muss und ein Verstoß nur im Ausnahmefall nicht zu ihrer Unwirksamkeit führt. Es stellt klar, dass für die Berechnung des Endes der Wochenfrist – entgegen vereinzelter unterinstanzlicher Rechtsprechung (vgl. LAG Hamm 11.2.1992, LAGE BetrVG 1972 § 102 Nr. 33) § 188 Abs. 2 BGB entscheidend ist.

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