Digitale Wirtschaft: Wo die EU Verbundgruppen hindert

Bestehende EU-Regeln verwehren Verbundgruppen und deren Online-Plattformen oft den Zugang im Wettbewerb. DER MITTELSTANDSVERBUND stellte vor EU-Vertretern nun klar, warum das Recht neu definiert werden muss.

Brüssel, 14.03.2017 – Eine gemeinsame Online-Plattform ist für viele Verbundgruppen eine Chance, ihre angeschlossenen kleinen und mittleren Mitgliedsunternehmen in die digitale Welt zu begleiten. Oft fehlt es den mittelständischen Betrieben an Know-how und Personal, um sich mit digitalen Werkzeugen auseinander zu setzen. Die Verbundgruppen sehen sich hier in der Pflicht. Doch bestehende EU-Regeln verhindern das oft. Es steht auch die Frage im Raum, ob das bestehende Recht allen Beteiligten – ob Händler, Lieferant, Produzent oder Kunde – ausreichend Schutz gewährleistet?

Begriff „Plattform“ wird zu weit gefasst

DER MITTELSTANDSVERBUND organisierte deshalb gemeinsam mit seinem europäischen Dachverband, Independent Retail Europe, am 10. März einen Workshop in Brüssel. Im direkten Austausch besprachen Verbundgruppenvertreter mit Vertretern der Europäischen Kommission, wie der zukünftige Rahmen für gelungene Plattformkonzepte aussehen muss.

Das Thema hat für die Europäische Kommission höchste Priorität. Mit ihrer digitalen Agenda kündigte die Behörde vor knapp zwei Jahren eine wegweisende Zukunftsstrategie für Europa an. Auch der Themenkomplex „Plattformen“ spielt hier eine Rolle. 2016 veröffentlichte die Kommission eine eigene Mitteilung zum Thema. Der Begriff blieb allerdings zunächst untechnisch für alle Arten von Internetportalen, auf denen Händler, Dienstleister oder Kunden miteinander verbunden sind. Es geht also sowohl um Handels-Plattformen, Vergleichsportale, Dienstleistungsportale (Uber, Deliveroo etc.) als auch Reiseportale.

Eine Reihe von Fragen

Was die Kommission dabei vor allem wissen will: Geht dort alles mit rechten Dingen zu? Wie kommen beispielsweise Rankings auf Handelsplattformen zustande? Sieht der Kunde wirklich immer das günstigste Angebot? Was geschieht mit Kundendaten und wer darf diese nutzen? Nutzen große Plattformen wie beispielsweise Amazon ihre Marktmacht aus, um den angeschlossenen Händlern unlautere Geschäftsbedingungen aufzuzwingen? Was passiert, wenn Plattformen als Konkurrenten zu ihren angeschlossenen Händlern auftreten? Dahinter steht jeweils die Frage, ob die Kommission als europäischer Gesetzgeber neue, europaweite Regeln erarbeiten muss, um faire Verhältnisse zu schaffen. Hierzu gab es bereits erste Sondierungsgespräche mit großen Plattformen.

Online-Plattformen des kooperierenden Mittelstandes sind Teil des Kommissionsbegriff – doch unterscheiden sie sich doch massiv von anderen. Im Workshop sollte deshalb die Lage dargestellt werden. Es ging dabei nicht nur um die Vorstellung aktueller Konzepte, sondern auch um den Weg dorthin, den Verbundgruppen unterschiedlichen Hintergrunds auf verschiedene Art und Weise beschritten haben.

Keine Anti-Plattform Agenda

Schon zu Begin des Workshops stellten die Vertreter der Europäischen Kommission fest: Wir haben nicht vor, grundlos gegen Plattformen vorzugehen. Momentan ginge es eher darum festzustellen, was in der digitalen Wirtschaft gut funktioniere und wo es eventuell Verbesserungsbedarf gibt. Der Kommission ist dabei klar: Plattformen helfen mittelständischen Unternehmen, ihren Weg in der digitalen Welt zu beschreiten. Neue Regeln – soweit diese überhaupt notwendig sind – dürften daher für die betroffenen Unternehmen vor allem unkompliziert sein. Die Unternehmen sollten sich um ihr Kerngeschäft kümmern können, anstatt mit dem Befolgen neuer Vorschriften beschäftigt zu sein - so der Grundton der Politiker.

David gegen Goliath

In den darauf folgenden Vorträgen vermittelten die Verbundgruppenvertreter zunächst die Ausgangslage, in der sich der kooperierende Mittelstand befindet. Das Ergebnis war eindeutig: Es gibt die bekannten großen Plattformen als feste Größe auf dem Markt. Diese verfügen über gefüllte Kriegskassen in Form von riesigen Marketingbudgets. Die Strategien von Verbundgruppen könnten daher nicht darin bestehen, direkt gegen die Riesen zu konkurrieren. Vielmehr müssten Nischen gefunden werden, die den Fortbestand des kooperierenden Mittelstands gewährleisten.

Hierbei seien auch die Verbundgruppenzentralen in der Verantwortung gegenüber ihren Mitgliedern und deren Angestellten, erklärte Susanne Sorg, Vorstandsmitglied der EK/servicegroup eG. Sie betonte auch, dass es die Entscheidung der Mitglieder sei, ob und wie neue Multichannel-Konzepte ausgestaltet werden. Viele Verbundgruppen ständen dabei gerade erst am Anfang zur Digitalen Entwicklung. Neue Regeln könnten daher eher kontraproduktiv auf diesen Prozess wirken.

Der Weg ist steinig. Um vollumfängliche Multichannel-Lösungen anzubieten, sei es ein langer Weg, brachte es Alexander Hock, Geschäftsführer der ANWR Media GmbH, auf den Punkt. Sein Haus habe sich dazu entschieden, seine Mitglieder auf der Plattform schuhe.de zu vernetzen und so ins digitale Zeitalter zu überführen. Am Anfang eines solchen Vorhabens stehe dabei vor allem eines: viel Erklärarbeit.

Erfahrungen mit Online-Plattformen sammelte auch die Einkaufsbüro Deutscher Eisenhändler (EDE) GmbH aus Wuppertal. Mit einer Plattform startete die Verbundgruppe ein echtes Start-up namens „Toolineo“, erklärte Geschäftsführer Hendrik Sassman. Auch hier der Grundton: Die Zusammenarbeit im Verbund führt gerade Online zu positiven Synnergieneffekten für Verbundgruppenmitglieder.

Die bunte Welt von Amazon

Die Vorträge und Ergänzungen durch andere Mitglieder von Independent Retail Europe zeigten auch Beispiele auf, wie die Plattform-Welt außerhalb von Verbundgruppen aussieht. So würden auf Amazon angeschlossene Händler immer wieder „On hold“ gesetzt, wenn dies für Amazon opportun erscheint, um selber eigene Produkte zu verkaufen. Ähnliches wussten die Teilnehmer von Herstellern zu berichten, die den Verkauf auf Plattformen für eine gewisse Zeit untersagten, um die gleichen Produkte selber zu verkaufen.

Die These einiger Teilnehmer: Das Doppel-Spiel von Amazon bleibt dem Kunden zunächst verborgen. Mangels entsprechenden Wissens könne dieser daher keine bewusste Kaufentscheidung (eventuell im Sinne einzelner Händler) treffen. Es bestünde mithin eine erhebliche Monopolisierungs-Gefahr. Diese werde weiterhin durch Hindernisse für die Kooperationen in Verbundgruppen – beispielsweise durch einheitliche Preise – verschärft.

Auch in Abgrenzung zu diesen Negativbeispielen konnten die Teilnehmer daher gegenüber der Kommission überzeugend die Vorteile von Verbundgruppen-Plattformen darstellen. Zudem konnten sie sich erneut als kompetenter Partner in Fragen des EU-Binnenmarktes gegenüber der Kommission platzieren.

Zwischenbericht zur digitalen Agenda erwartet

Es bleibt abzuwarten, welchen Weg die Kommission wählen wird. Ein erstes Anzeichen wird der für Mitte Mai erwartete Zwischenbericht zur digitalen Agenda darstellen. Darin wird die Kommission Farbe bekennen müssen, welcher Weg für die digitale Entwicklung eingeschlagen wird.

DER MITTELSTANDSVERBUND wird daher weiter eng mit den Entscheidungsträgern zusammenarbeiten und auch an das Versprechen einer möglichst geringen Belastung des kooperierenden Mittelstandes erinnern.

Ausdrücklich dankt DER MITTELSTANDSVERBUND den Referenten und Teilnehmern, ohne die der Workshop nicht möglich gewesen wäre.

Seite drucken

Zurück zur Übersicht