EU-Binnenmarkt: Betriebe sollen Daten offen legen

Nach Einschätzung der Europäischen Kommission sollen Unternehmen mehr Informationen offen legen. Dem Mittelstand drohen Mehrbelastungen. Dem politischen Ziel helfen die Pläne aber wenig.

Brüssel, 07.09.2016 - Der Europäische Binnenmarkt scheint nach Einschätzung der Europäischen Kommission noch nicht zu funktionieren. Deshalb sucht sie jetzt einen Schuldigen. Die Mitgliedstaaten bleiben allerdings verschont, denn die Staaten setzen die EU-Gesetzgebung bereits in nationales Recht um.

Praxis in Unternehmen schadet Binnenmarkt

Vielmehr seien es die Unternehmen, die das europäische Recht im Anschluss nicht oder nur unzureichend anwenden würden. Daraus würden sich nicht unerhebliche Schwierigkeiten für den EU-Binnenmarkt ergeben, so die Einschätzung der Europäischen Kommission. Um diesen Missstand aus der Welt zu schaffen, benötigt sie allerdings Daten. Informationen, die bisher noch nicht vorliegen.

Was ist zu tun?

Das soll sich nun ändern. So stellt die Kommission ein neues Informationssystem vor, wie dem latenten Informationsmangel zukünftig beizukommen ist. Für Unternehmen ist mit den Maßnahmen mit erheblichen Mehrbelastungen zu rechnen. Schlimmstenfalls könnten die Betriebe verpflichtet werden, sensible Informationen zwingend offen zu legen – und das zum Zwecke einer wagen Verbesserung des Binnenmarkts.

Option 1: EU-Recht im operativen Geschäft

Unternehmen könnten demnach grundsätzlich verpflichtet werden, in ihren Jahresabschlüssen auch Informationen über die Umsetzung europäischer Gesetzgebung im operativen Geschäft darzulegen, inklusive Kostenstruktur, Auftragsvolumina, getrennt nach Mitgliedstaaten sowie Liefer- und oder Arbeitsverträge.

Option 2: Umfangreichere Statistiken

In einer weiteren Option wird diskutiert, dass das europäische Amt für Statistik (Eurostat) Binnenmarktumfragen zukünftig detaillierter ausgestaltet. Und auch ein größeres Zugriffsrecht der Kommission auf die nicht-aggregierten Daten (also: einzelne Unternehmensdaten) steht hier zur Diskussion.

Option 3: Mehr Auskunftspflicht

Weiterhin könnte der Europäischen Kommission ein umfassendes Befragungsrecht vis-á-vis von Unternehmen zukommen. Die Kommission könnte danach in vorab festgelegten Fällen verbindlich Unternehmen zu bestimmten Aspekten befragen. Dieses Fragerecht würde in der Tiefe über die in der ersten Option diskutierten Punkte hinausgehen.

In welchen Fällen ein solches Instrument Anwendung finden könnte oder welche Fragen im Einzelnen zulässig sein können, bleibt allerdings offen. Es wird jedoch auch über die Möglichkeit einer Sanktionierung der Unternehmen diskutiert, die eine Auskunft verweigern. Inwiefern das Befragungsrecht auch auf Firmengeheimnisse angewendet werden darf, ist bisher fraglich.

Schließlich könnten die nationalen öffentlichen Mechanismen zur Informationsbeschaffung weiter harmonisiert und bei der Kommission zentralisiert werden.

Worüber nicht diskutiert wird

Liest man das Aktionsprogramm oberflächlich, scheint das Anliegen der Europäischen Kommission durchaus legitim zu sein. Bei näherer Betrachtung werfen die Pläne jedoch Fragen auf.

So unterlässt es die Kommission, darzustellen, inwiefern mangelnde Umsetzungen und Durchsetzungen der Mitgliedstaaten Schuld am nicht-funktionierenden Binnenmarkt haben. Auch DER MITTELSTANDSVERBUND weist in vielen Bereichen darauf hin, dass das EU-Recht vom deutschen Gesetzgeber nur unzureichend umgesetzt wird. So werden die nationalen Umsetzungsvorschriften oft so vage gefasst, dass der eigentliche Sinn für den Unternehmer – als Hauptanwender der Vorschriften – nicht ersichtlich wird.

Die Folgen sind vor allem Rechtsunsicherheit und Mehrbelastungen, die auch auf Nachfragen bei Kommission und den zuständigen Ministerien unbeantwortet bleiben. In vielen Fällen wird der Ball zwischen Kommission und Mitgliedstaaten hin und her gespielt. Aufgrund des hohen Abmahnrisikos in Deutschland eine Situation, die höchst kostenintensiv für Unternehmen sein kann.

Hinzu kommt, dass die Kommission es auch unterlässt, Ansätze einer besseren Information für Unternehmen zu finden. Dies könnte in den meisten Fällen ohne Not geschehen. Unabhängig vom jeweiligen Rechtbereich steht in jeder Richtlinie, dass diese bis zu einem bestimmten Termin umgesetzt werden muss. Die genauen Umsetzungsmaßnahmen müssen die Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission mitteilen. Die Kommission muss danach meist nach mehreren Jahren einen Umsetzungsbericht vorlegen. Ist sie der Auffassung, dass ein Mitgliedstaat einen EU-Rechtsakt unzureichend umgesetzt hat, stehen ihr gegenüber diesem Mitgliedstaat umfassende Auskunftsrechte zur Verfügung. Diese können im Zweifel zu einem Vertragsverletzungsverfahren führen. Es bleibt daher fraglich, warum die Europäische Kommission dieses Instrument nicht weiter ausbaut.

Kosten ungeklärt

Weiterhin bleibt ungeklärt, wie hoch die Kosten für die Unternehmen sein werden. Die Kommission unterlässt dabei sogar eine Schätzung und redet lediglich von „möglichen Kosten“ in einem „gewissen Umfang“. DER MITTELSTANDSVERBUND warnt deshalb vor unseriösen Folgenabschätzungen, die der mittelständischen Wirtschaft kostenintensive Mehrbelastungen bescheren.

Schließlich lässt die Kommission auch offen, was mit den erlangten Informationen geschehen soll. Haben diese rein informatorischen Charakter oder können sie auch für weitergehende Schritte – Abmahnungen oder Klagen – verwendet werden. Eine klare Umgrenzung des Zwecks unterlässt die Kommission (absichtlich).

Fazit

Die Kommission versucht erneut, die Kosten für das Funktionieren des Binnenmarkts auf die Unternehmen und damit auch auf den Handel zu übertragen. Der Spitzenverband des kooperierenden Mittelstandes hatte das Vorgehen in der Vergangenheit bereits mehrfach kritisiert.

Der Handel ist als Hauptanwender jeglicher EU-Vorschriften selbstverständlich verantwortlich für das Gelingen neuer Vorschriften. Doch können die Regeln oft nicht oder nicht richtig angewendet werden. Nationale Umsetzungsvorschriften bleiben häufig unklar und unverständlich. Informationen können die Unternehmer in den seltensten Fällen erlangen – oder nur unter Aufwendung enormer Ressourcen. Die Mitgliedstaaten scheinen jedoch weder willens noch in der Lage, diesen Missstand zu ändern. Logischerweise – oder besser: zynischer Weise - zieht die Kommission daher die Unternehmen in die Verantwortung.

In der nun folgenden politischen Diskussion wird DER MITTELSTANDSVERBUND verdeutlichen, dass es nicht die Unternehmen sind, die in die Pflicht genommen werden müssen. Vielmehr sind die Mitgliedstaaten gefragt, die Regeln in einer anwenderfreundlichen Art und Weise umzusetzen und Unternehmer entsprechend zu informieren. Anders wird die Europäische Kommission nämlich kaum ihr Ziel erreichen können, um das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern.

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